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Rezensionen zu
Der Beginn

Carl Frode Tiller

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"Ich blickte sie direkt an, aber auch jetzt sah sie mich nicht, sie sah durch mich hindurch. Jetzt sterbe ich tatsächlich, dachte ich, so ist es, wenn man stirbt." (Seite 12) Nach einem Suizidversuch liegt Terje im Sterben. Während sich seine Familie im Krankenhaus um sein Bett versammelt, denkt er über sein Leben nach. Dabei geht er immer weiter in die Vergangenheit zurück und lässt den Leser so teilhaben an den großen und kleinen Wendepunkten und prägenden Erlebnissen seines Lebens: am Leben mit seiner Ehefrau Turid und seiner Tochter Marit, an der schwierigen Beziehung zur alkoholabhängigen Mutter, an den wechselhaften Gefühlen für seine Schwester Anita, an der Abwesenheit des Vaters, an der Liebe zur Natur. Die Idee des Rückwärtserzählens hat mir sehr gut gefallen und wurde meiner Meinung nach meisterhaft von Carl Frode Tiller umgesetzt. Auch die Darstellung der dysfunktionalen Beziehung zwischen Mutter und Sohn, die von Double-Bind-Botschaften und Manipulation gekennzeichnet ist, ist Tiller hervorragend gelungen und wirkt durchweg überzeugend. Dies trifft auch auf die Beziehungsdynamik zwischen Terje und seiner Frau Turid sowie zwischen ihm und seiner Schwester und zwischen ihm und seiner Tochter zu, die allesamt komplex und mit emotionaler Tiefe geschildert wurden. Wie exakt und lebensnah Tiller seine Figuren gezeichnet hat, lässt sich sehr gut daran erkennen, wie unangenehm diese Personen auf mich wirkten, dass sie echte Gefühle in mir auslösten, dass sie mich mit ihrer Art zu kommunizieren, andere zu verletzen und zu intrigieren wütend gemacht haben. Andererseits zeigt Tiller bei allen Personen auch eine gewisse Wärme und Weichheit, erzeugt Sympathie für die Figuren, die man eigentlich ablehnen möchte, macht ihre Handlungen verstehbar. Sprachlich bewegt sich der Roman auf anspruchsvollem Niveau, wirkt an wenigen Stellen allerdings etwas hölzern, was jedoch nichts an meinem sehr positiven Gesamturteil ändert. Carl Frode Tiller: Der Beginn. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger und Nora Pröfrock. btb Verlag, 2019, 352 Seiten; 22 Euro.

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Dieser Roman startet am Ende, als sich Terje, ein Familienvater mittleren Alters nach einem Suizidversuch im Sterben liegt. Im Totenbett lässt er sein Leben Schritt für Schritt Revue passieren und stellt sich die Frage, wie es zu diesem drastischen Schritt kommen konnte. Er stellt sich schmerzhaften Erinnerungen; an seine depressive und alkoholkranke Mutter, seinen abwesenden Vater und das ständige Gefühl der Einsamkeit. Diese Geschichte hat mich sehr bewegt und beeindruckt. Schon alleine der vom Ende her chronologisch schrittweise rückwärts gerichtete Erzählstil war für mich etwas ganz Neues und hat mich zwar einiges an Konzentration gekostet, mir aber dennoch sehr gut gefallen. Das psychologische Geschick, mit dem der Autor Charaktere und Situationen schildert, fand ich genial. Eine absolute Leseempfehlung!

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Leben

Von: Frau Lehmann

11.10.2019

"Ich wartete noch einen Moment, dann zog ich den Wagen auf die Gegenfahrbahn." Terje liegt nach einem Suizidversuch im Krankenhaus, seine Lebenszeit ist nur noch knapp bemessen. Er blickt zurück, immer weiter in Richtung Vergangenheit. Carl Frode Tiller erzählt von einem Leben, in dem es von Anfang an nur wenig Chancen gibt. Terjes Mutter kämpft mit Depressionen und Alkohol, sein Vater verlässt die Familie schon früh. Nicht erkannte und nicht behandelte Depressionen führen wohl auch zu Terjes Selbstmord. Erkennen kann man das aber nur im Nachhinein, im täglichen Überlebenskampf bleibt keine Zeit für solche Schlussfolgerungen. Stück für Stück folgen wir Terje zurück in seiner Lebensbahn, lesen von der gescheiterten Ehe, dem schlechten Verhältnis zu Mutter und Schwester, erfahren von seinen Gewaltausbrüchen als Teenager und den Überforderungen seiner Kindheit. Vieles bleibt für den Leser im Moment des Lesens undurchsichtig, klärt sich bruchstückhaft erst mit dem nächsten Schritt. Mal liegen nur Tage zwischen den einzelnen Momenten, mal sind es Jahre. Immer ist da aber Terje, schwankend zwischen Aggression und maskenhaftem Lächeln. Ein düsteres, realistisches Bild zeichnet Tiller in diesem Roman. Zeigt, dass die Wurzeln für einen Suizid ganz weit in der Vergangenheit liegen können, verschüttet durch den Alltag und Phasen des vermeintlichen Glücks. Mit dem Ende vor Augen, erhalten die einzelnen Szenen eine ganz andere Bedeutung, achtet man auf Anzeichen weitaus mehr als man das hätte tun können, wäre der Roman dem normalen Lebensverlauf gefolgt. Dass das Konzept überhaupt aufgeht, ist Tillers Schreibstil zu verdanken. Immer geradlinig, mit schwarzem Humor, lässt er den Leser nicht komplett in Düsternis versinken. Er bleibt nah an seinem Protagonisten und ihm gelingt dabei das Kunststück, Terjes Handlungsweisen nachvollziehbar zu machen, selbst bei Gewaltausbrüchen. Trotz der Bruchstücke bleibt ein roter Faden erkennbar. Ein ganzes, kompliziertes Leben so lakonisch in Worte zu fassen, das ist nicht jedem gegeben. Daher verwundert es auch nicht zu lesen, dass Tiller zu Norwegens bedeutendsten Gegenwartsautoren gehört.

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Am Anfang steht das Ende. Terje liegt nach einem Suizidversuch im Krankenhaus und wird sterben. Ist er nun bei Bewusstsein, befindet er sich in einem Zwischenstadium? Denn er kann mit Mutter und Schwester, die zu ihm ans Krankenbett gekommen sind, nicht sprechen. Ihm ist bewusst, dass es kein Zurück gibt, dass man ihn nicht wird retten können, und so reist er gedanklich in die Vergangenheit, um nachzuspüren, wie es so weit kommen konnte, frei nach Søren Kierkegaard, in dessen berühmtem Zitat es ja heißt, verstehen könne man das Leben nur rückwärts, während es vorwärts gelebt werden müsse. So geht es nun rückwärts in Carl Frode Tillers neuem Roman, auf den „Beginn“ zu, und immer steht die Frage im Raum, ob wir, einmal dort angekommen, dann wirklich verstehen werden, wieso Terje beschlossen hat, nicht mehr weiterleben zu wollen. Die Konstruktion erinnert stark an Inger Maria Mahlkes 2018 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman „Archipel“, mit dem Unterschied, dass es dort ein gesamtes Jahrhundert war, das auf diese Weise erzählt wurde, über mehrere Generationen hinweg, während bei Tiller ein einziges Leben im Mittelpunkt steht. Wir lesen also aus Terjes Leben, die Kapitel jeweils überschrieben mit der Angabe des Zeitraums, den wir in die Vergangenheit springen. Die Schritte sind sehr unterschiedlich groß, manchmal geht es nur ein paar Tage zurück, oft Wochen und Monate, manchmal auch einige Jahre. Tiller macht das geschickt: Immer wieder war ich beim Lesen irritiert, habe mich gewundert über Terjes barsches Auftreten, seine Selbstgerechtigkeit, sein Verhalten gegenüber Menschen, die ihm doch wichtig sind, doch nach und nach habe ich ihn verstanden. Manchmal ist es eine Situation, die direkt nachgeliefert wird und zum Verständnis beiträgt, doch mit Fortschreiten der Lektüre ist es mehr und mehr ein großes Ganzes, das immer deutlicher wird. Zu Beginn des Romans hat Terje eine Frau, von der er getrennt lebt, eine jugendliche Tochter, eine alkoholkranke Mutter und eine Schwester, mit der er in einer Art Hassliebe verbunden ist. Das Verhältnis zu ihnen allen ist kompliziert. Terje selbst ist ein schwieriger Charakter, fährt schnell aus der Haut, wirkt arrogant und hält sich oft für klüger als sein Umfeld, wobei es sicher stimmt, dass er seine Mitmenschen schnell durchschaut. Es gibt aber auch den selbstkritischen Terje, denjenigen, der in Situationen, in denen er ungerecht oder gar eklig zu seinen Liebsten ist, genau um sein falsches Verhalten weiß. Es sind Situationen, in denen er Worte noch im Moment des Aussprechens bereut, aber nicht aus seiner Haut kann. Carl Frode Tiller gelingt es, diesen zerrissenen Charakter in seiner Ambivalenz zum Leben zu erwecken, einen Protagonisten, den man oft nicht ausstehen kann, den man aber nach der Lektüre glaubt, zu verstehen, und dem man sehr nah gekommen ist. Natürlich stellt sich dabei die Frage, ob sich der Entschluss, sich das Leben zu nehmen, anhand der rückwärts gelebten Lebensgeschichte wirklich befriedigend erklären lassen kann und vor allem, ob es eine Frage der Schuld ist, die hier beantwortet werden soll. Terje hat früh einschneidende Verluste erlitten, die ihn sein Leben lang prägten, aber ist es wirklich so einfach? Tiller lässt seine Leser das Geschehen selbst einordnen, und das ist gut so. Ich habe immer wieder gehadert mit der chronologisch umgekehrten Weise des Erzählens. Es liegt auf der Hand, dass sie Vor- und Nachteile hat. Einerseits ist es spannend, erst von einem Ereignis zu lesen und danach von dem, was unmittelbar auf dieses Ereignis hingeführt hat. Andererseits bricht die Erzählung immer wieder ab, wo man sie gerade ganz einfach nicht verlassen möchte. Auch lässt Tiller bewusst immer wieder größere Zeitabschnitte unter den Tisch fallen, so dass Leerstellen bleiben. Es wäre interessant, „Der Beginn“ nach Beenden der Lektüre noch einmal in umgekehrter Reihenfolge zu lesen, also chronologisch vom Damals ins Heute. Ob Tiller seinen Roman auf diese Weise geschrieben und später die Kapitel umgekehrt angeordnet hat? „Der Beginn“ erscheint bei uns im Vorfeld zur Frankfurter Buchmesse, wo Norwegen in diesem Jahr Gastland ist. Carl Frode Tiller wird dort sein, um diese oder ähnliche Fragen zu beantworten. Sein Roman gibt tiefe und schonungslose Einblicke in ein Leben, das mit der Zeit aus den Fugen gerät und hallt auch einige Zeit nach Beenden der Lektüre noch nach.

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"Der Beginn" vom norwegischen Schriftsteller Carl Frode Tiller ist ein Roman über Depressionen, Alkoholismus und die daraus entstehenden Familienkonflikte, erzählt auf eine außergewöhnliche Art und Weise. Der Protagonist Terje begeht zu Beginn des Buches einen Selbstmordversuch und lässt daraufhin sterbend im Krankenhaus sein Leben Revue passieren. Dabei schildert er die für ihn prägenden Lebensabschnitte, die Einfluss auf seinen Selbstmordversuch hatten, wie z.B. die Alkoholkrankheit seiner Mutter oder das frühe Verschwinden seines Vaters. Diese kurzen Abschnitte erzählt er aus seiner Perspektive von der Gegenwart rückwärts in die Vergangenheit im Kindesalter. Der ausdrucksstarke Schreibstil hat mir von Beginn an unglaublich gut gefallen, er lässt sich sehr flüssig lesen und schafft eine mitreißende Atmosphäre. Die in dem Buch im Vordergrund stehenden psychischen Erkrankungen der Familienmitglieder (Terje, seine Mutter und seine Schwester) beschreibt Carl Frode Tiller eindrucksvoll, sodass ich ein gutes Gefühl dafür bekommen habe, wie es sich anfühlen muss darunter zu leiden. Leider wurde mir Terje durch seine, Gedanken, Aussagen und Handlungen im Verlauf der Geschichte zwar immer unsympathischer, aber das hat die Geschichte auf eine gute Weise ergänzt. Einen sehr interessanten Aspekt fand ich im Übrigen die Verbindungen der psychischen Erkrankungen unter den Familienmitgliedern. Öfters habe ich mich gefragt, ob die Veranlagung dazu genetisch bedingt ist oder er durch die Behandlung der Mutter in der Kindheit so geworden ist. Oder ob es eher ein Zusammenspiel von beidem ist. Die Schilderung der einzelnen Lebensabschnitte in umgekehrter Reihenfolge fand ich sehr außergewöhnlich. Obwohl ich mir zum Schluss gedacht habe, dass ich das Buch jetzt eigentlich noch einmal von vorne hätte lesen müssen, um die Beweggründe zu Beginn der Geschichte besser zu verstehen. Zudem fand ich es schade, dass zwischen den einzelnen Abschnitten teilweise so große Zeitsprünge stattgefunden haben. In bestimmten Situationen hätte ich gerne gewusst, was zu dem Zeitpunkt in Terjes Leben noch passiert ist. "Der Beginn" ist ein sehr bewegendes Buch, das mich vor allem durch den beeindruckenden Schreibstil in den Bann gezogen hat. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung, vorausgesetzt man möchte sich auf die besondere Art der Erzählung einlassen.

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Terje liegt nach einem Suizidversuch im Sterben. Er lässt sein Leben revue passieren. >Das Leben kann nur rückwärts verstanden werden, gelebt werden muss es vorwärts< Søren Kierkegaard Terje, ein Klimaforscher, ist ein sehr komplizierter und kompromittierender Zeitgenosse. Seine Kindheit verlief suboptimal und er scheint nun das Produkt dieser lieblosen Erziehung zu sein. Die Mutter, depressiv und stark Alkoholkrank, der Vater meist abwesend. Er fühlt sich verlassen und spiegelt dies mit seiner ruppigen, voller Ironie und Sarkasmus geladenen Haltung nach außen. Er versprüht geradezu diese toxische Mischung und ein Gegenmittel lässt sich nicht finden. Seine Frau Turid und seine Tochter Marit lieben ihn trotz seiner Eigenart. Ja, er ist ein faszinierender Unsympath. Er hat sich in seinem Beruf einen Namen gemacht, fachlich ist er höchst kompetent. Menschlich ein Versager. Immer wieder wird von Gefühlen übermannt, die ihm vermitteln wollen, dass obwohl er sich alleine, im Büro, in der Garage etc. aufhält, noch jemand in seiner unmittelbaren Nähe sich aufhält. Nun, nach seiner unglaublichen Odyssee seines Lebens, liegt er im Sterben, alle möglichen Geschichten und Ereignisse fallen ihm ein. Sein anstrengendes Leben zieht an ihm vorbei. Fazit: Carl Frode Tiller hat hier etwas sehr außergewöhliches zu Papier gebracht. Eine Lebensgeschichte, wohl eher ein Schicksal, vom Sterbebett betrachtet. Terje, um den es hierbei hauptsächlich geht, ist oftmals so dermaßen dreist und berechnend, dass einem die Spucke im Halse stecken bleibt. Das fassungslose Kopfschütteln nicht zu vergessen. Dieses Buch genießt einen gewissen Grad an Anspruch, denn Tiller wechselt von Kapitel zu Kapitel die Zeiten der Vergangenheit. Das kann verwirren. Leider weist die Story Längen auf, und zwar wenn Terje sehr ausschweifend und langatmig über seine Forschungsergebnisse und Prognosen berichtet. Mein Interesse zu dieser Thematik ist durchaus vorhanden, doch da ist es mir zu viel des Guten. Carl Frode Tiller hat hier zwei Schwerpunkte in seinem Buch beschrieben. Zum einen das Produkt einer konfusen Kindheit, die Gene mit eingeschlossen, und zum anderen die globale Krise. > Der Beginn < werte ich als ein durchaus faszinierendes und sehr bewegendes Buch , dekoriert mit einigen poetischen Pralinés. Leseempfehlung ! 4,5 von 5

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Auch wenn nach wenigen Seiten bereits das Drama geschehen ist und Terje mit seinem Auto, aus dem Nichts heraus, wie es scheint, zielgerichtet den LKW auf der Gegenfahrbahn ansteuert, der Weg dahin, ein gesamtes Lebensresümee, das ist überaus lesenswert, was Tiller da an Rückblicken dem Leser intensiv mit auf den Weg gibt. Die Mutter, die zunächst einfach nur ein wenig sehr „bemutternd“ erscheint. „Mein Gott, Du bist fast 50. Ich mache es selbst“ (einfach nur ein paar Blumen für eine Vase fertig machen). Und doch wankelmütige Gefühle in sich trägt, nach dem Tod ihres Mannes auch hier und da versucht, nochmal auf die „Sonnenseite“ des Lebens zu gelangen (aber nicht, wenn Terje da mitzureden hat, denn der gezielte Unfall ereignet sich auf dem Rückweg von einer eigentlichen „Mission“ zum Geraderücken des gemeinsamen Lebens mit der Mutter) und dabei ein teils klägliches Bild abgibt. Oder liegt es an Terje? Wie bei dem damaligen Freund seiner Schwester, den er mit seinem Kumpel zusammen auch mal sich so richtig vornimmt. Also, richtig sympathisch ist dieser Terje nicht. Erst nun, auf dem Bett auf der Intensivstation, reflektiert er, was er da eigentlich gelebt hat. Und öffnet ein weites Bild auf die moderne Welt und den modernen Menschen, auf ein Leben, das vor sich hin gleitet, das kaum absolute Leidenschaften kennt, in dem Langeweile auch nicht selten den Ton vorgibt und in dem Beziehungen „aus dem Bauch heraus“, wie in einer langen Pubertät bis weit ins mittlere Alter hinein, gestaltet werden. Ohne dass diese wirklich gelingen dadurch. Und doch hält man aneinander, eng sogar. „Ich sah sie an und lächelte, aber sie lächelte nicht zurück, ihr Gesicht zeigte überhaupt keine Mimik. Sie sieht mich nicht einmal an, dachte ich“. Du auch wen n das dadurch erklärbar ist, dass Terje zu diesem Zeitpunkt weit in sich selbst zurückgezogen nurmehr existiert, es ist doch ein Bild auch für dieses hin- und her wankende Leben, dass der Mann und Journalist führt und das Tiller wie nebenbei und entspannt mit klaren Sätzen und klarer Sprache erzählt samt all den allgemeinen und situativen Ungereimtheiten, die dieser Terje in die Welt setzt, Tag für Tag. „Ich fing an zu lachen, klang aber nicht so echt, wie ich gewollt hätte“. Weil so oft Rollen gespielt werden, weil Terje die Kunst der doppeldeutigen Botschaft und der versteckten Intentionen pflegt, weil er gerne nahe tritt, aber ohne dafür belangt werden zu können, Was im Übrigen auch für die Liebe in seinem Leben gilt. Immer haarscharf am Eigentlichen vorbei, das ergibt sich mehr und mehr als roter Faden dieses Lebens bis hin zum Ende, nicht nur des Buches. Was durch Tiller als nochmaliger Höhepunkt in den Raum der Seiten gesetzt wird, denn wie her das letztliche Sterben intuitiv und intensiv geschildert wird, wie Terje sich von außen da liegen sieht und zugleich wie eine Fruchtfliege dem Leben nochmal einen neuen Geschmack abringt, wie die Liebe zueinander findet kurz bevor es zu spät ist und wie sein Vater noch einmal eine tragende Rolle im Leben einnimmt, die Terje lange an die Seite gedrängt hat, das lässt den Leser am Ende erschüttert zurück. Vom ersten Atemzug bis zum letzten reicht diese Lebensbeschreibung, von innerer Unruhe und Aggression, von ein paar zärtlichen, tiefen Momenten bis hin zu diesem ständigen Gefühl, nicht wirklich zu reichen, nicht anzukommen, nicht das zu leben, was möglich wäre, sondern oft nur das, was impulsiv durch schwierig geprägte Emotionen an die Oberfläche schwappt. Bei dem Terje schon als Kind symbolhaft den Eimer im frisch gestrichenen Zimmer umwirft, als Bild für sein Leben, in dem Terje so oft knapp daneben tritt und sich, augenscheinlich, viel zu lange gar nichts daraus macht. „„Kann solche Typen nicht ausstehen“, sagte ich, schloss das Fenster und setzte mich“. Erst spät wird Terje erkennen, was der Leser schon nach den ersten 20, 30 Seite spürt: Dass Terje genau ein solcher Typ ist. Bis es eigentlich zu spät ist. Das Ganze hervorragend geschrieben, flüssig und emotional dicht vor die Augen geführt, ergibt eine sehr empfehlenswerte Lektüre, die das Leben der Moderne bestens mit reflektiert.

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Terje will sterben. Nach einem Selbstmordversuch liegt er im Krankenhaus. Während seine Mutter und Schwester Anita drüber streiten, wie Blumen richtig in eine Vase zu stellen sind, rollt Terje in Gedanken sein Leben auf, vom heute bis zurück in seine Kindheit. Das Leben kann nur rückwärts verstanden werden, gelebt werden muss es vorwärts, heißt es bei Søren Kierkegaard. Dieses Motto ist dem Buch voran gestellt. Terje hatte ein Leben an der Seite seiner Frau Turid, mit der Tochter Marit. Ein kleines Haus, einen guten Job bei der Verwaltung. Er ist engagiert für den Artenschutz, den Erhalt des Ökosystems. Während der Alltag ihm immer schon zu schaffen machte, findet er Ruhe und Erfüllung in der Natur. Terje könnte glücklich sein, ist es aber nicht. Er stellt seine Leben, seine Beziehung zu Turid, zu seiner Mutter immer mehr in Frage. Schon als Kind war er mit Ticks geplagt. Der Vater hat die Familie früh verlassen, die Mutter war depressiv und alkoholkrank. Terje versteckt seine wahren Gefühle hinter einer Maske von schwarzhumorigem Sarkasmus. Menschen, die ihm nahe stehen, stößt er vor den Kopf. Manche von denen scheinen das auch verdient zu haben. Seine wirklichen Gefühle bleiben ungesagt. Einzig seiner Tochter Marit kann er unverfälscht gegenüber sein. In seinem Innenleben spielt sich viel ab: unterdrückte Wut, sexuelle Frustration, der Wunsch nach Ausbruch, nach Aufbruch. Er ist sehr einsam und doch fühlt er oft die (nicht vorhandene Anwesenheit) einer anderen Person. „feeling of presence“ heiß dieses Phänomen, Terjes stiller Begleiter ist die Depression. Carl Frode Tiller widmet sich dem Thema Depression, der Volkskrankheit Nummer eins, mit erzählerischer Finesse und sprachlicher Wucht. „Der Beginn“ ist empathisch, behutsam und eindringlich zugleich, ein Buch über endgültige Entscheidungen. Terje hat sich entschieden, „finally he is facing his waterloo…“

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