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Rezensionen zu
Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau

Clarice Lispector, Benjamin Moser

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Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, Essays, Eindrücken junger Frauen, ihrer zerreißerischen Gedanken, der Paradoxien des Leben, irgendwo zwischen Wahrheit und Wahnsinn. Sie zeichnet in jeder Geschichte einzigartige Bilder, Charakterstudien, die mich berauscht haben, entzückt und begeistert. Sie ist wahrlich eine der talentiertesten und wichtigsten Autorinnen feministischer Literatur und hat mit diesem Werk ein Stück hinterlassen, das nachhallt.

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Es ist keine Lüge, dass in der Regel die ersten 20 Zeilen eines Textes darüber entscheiden, ob einem der Ton gefällt oder nicht. Denn es geht – wie im echten Leben – auch bei einer Geschichte immer um den Ton. Er bestimmt den Sound, die Vibration, und wenn Sie so wollen, den Herzschlag dessen, was nach außen dringt – er ist die Basis einer jeden Erzählung, die dafür sorgt, dass man hin- oder weghört. In diesem Fall reichten genau acht Zeilen: und ich hörte den Soundtrack meines Lebens. Ja, pathetisch und noch pathetischer, aber Spaß beiseite: und ich verliebte mich in Clarice Lispector. Denn ich konnte die Gewissheit nicht abschütteln, die weibliche Stimme jeder Kurzgeschichte dieses Bandes solle eine andere unglaubliche Figur sein, als jene auf dem Cover und den unzähligen Schwarz-Weiß-Fotografien, die ich bei der Lektüre unter „Clarice Lispector - Autorin“ nebenher googelte. Ich werde in dieser Kurzkritik deshalb die Trennung von Autor:in und Figur auflösen und für „den Text“ immer das „sie“ verwenden, weil ich nicht anders kann, und weil ich glaube, dass ich damit goldrichtig liege. Mit anderen Worten: Diese Kurzgeschichten, die unter dem fulminanten Titel „Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau“ zusammengefasst sind, – und die an nichts weniger als an Emma Bovarys, Ingeborg Bachmanns und Sylvia Plaths Gefühlsodysseen erinnern – tragen eine Lebendigkeit in sich, die Fiktion und Realität so miteinander verwebt, das man nur eines glauben kann: Jemand, der das geschrieben hat, muss dies WIRKLICH erlebt, gefühlt und gedacht haben. Es geht nicht anders. Nun ja, manche/r würde hier sagen: die Kunst der literarischen Fiktion at its best. Ich halte mir die Ohren weiterhin zu, denn mir ist diese Wissenschaftlichkeit an dieser Stelle völlig egal. Ich will nicht analysieren, ich will bewegt werden. Und das werde ich hier ohne Unterlass. Hier geht es um Obsessionen, die Liebe, Melancholie – oh ja, ganz viel Melancholie. Da wird einem ganz mulmig, so tief geht das Gelesene in den Bauch und legt sich dort nieder. Was ich mit diesen schrägen, metaphorischen Umschreibungen sagen will, ist: Clarice Lispector ist eine Virtuosin in der literarischen Darstellung weiblicher Emotionen und der Suche nach: sich selbst, dem anderen, einer unbekannten Tiefe, einer weiteren und mehr Bedeutung, der Durchdringung von Oberflächlichkeiten. Dabei erinnert ihr textueller Detailreichtum an Joyce, das Literarische ihrer Erzählungen an Flaubert, und das unterhaltsam Düstere wie Faszinierende an Baudelaire. Wahnsinn – nicht nur diese verblüffende Ähnlichkeit, sondern auch die Themen ihrer Textarbeit, die allesamt um Erscheinungsformen des Wahnhaften, Entrückten und Ausbrüchen kreisen. Ganz gleich, wie man hier literaturgeschichtlich einzuordnen hat, man kommt immer wieder zum Ausgangspunkt der Analyse: Der Versuch dieser Einordnung begründet sich darin, dass die unglaublichen Texte von Lispector zweifelsohne in den Litertaur-Kader der ganz Großen Könner:innen gehört. Ich könnte ewig so weitermachen, so berauscht bin ich von dem, was sie über Obsessionen schreibt und Austritte aus einem Schein-Dasein, der sich Glück des Alltags, unzweifelhafte Zufriedenheit, Beständigkeit im Gesellschaftlichen und Konventionellen nennt. Liebe Leute, falls mein Funke noch nicht übergesprungen ist: lesen! Alle bitte lesen, die die Ur-Kraft der Literatur und Kunst, ihr Mediales, das uns ‚An-gehende‘ endlich, wieder, aufs Neue erfahren will. Danke für das Rezensionsexemplar, es war mir eine ganz große Ehre.

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„Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau“ ist der erste der beiden Erzählbände der renommierten russisch-jüdischen Autorin Clarice Lispector. Sie lässt den Leser mit ihren Erzählungen in die Tiefen des Alltags und der Innenwelten ihrer überwiegend weiblichen Figuren eintauchen. Wir begeben uns mit ihr auf eine Gratwanderung zwischen äußeren und inneren Realitäten und gelangen so von der einen auf die andere Ebene. Von der Oberfläche in die Tiefe. Hochinteressant ist das, und ein Lesevergnügen, das nachhallt! Aber nun möchte ich erst einmal einen Eindruck vom Inhalt der Geschichten geben, in denen es meist um Frauen und oft um Rebellion, Ausbruch, Befreiung und Loslösung aus rigiden Strukturen geht. In einer Art Schauergeschichte, die an einen nächtlichen Traum erinnert, umgibt uns eine eigentümliche, märchenhafte und fast unheimliche Atmosphäre. Drei Maskierte, ein Hahn, ein Stier und ein Ritter mit Teufelsmaske, kommen im Mondlicht an einem Garten vorbei und machen sich daran, Hyazinthen zu stehlen. Aber sie werden dabei beobachtet. In einer anderen Erzählung sucht Idalina einen Weg zwischen Vernunft und Leidenschaft. Luísa ringt um innere Stärke und Tuda will ein Leben ohne therapeutische Unterstützung führen. Dann lesen wir von einer Frau, die im Café sitzt und auf eine Verabredung wartet oder von Laura, die gerade eine Krise überwunden hat und zwanghaft für alles Listen anfertigt. Die sensible und labile Familienmutter Ana verliert den Boden unter den Füßen, nachdem sie einen blinden, Kaugummi kauenden Mann erblickt hat. Eine weitere Frau begleiten wir durch den Zoo und von einer anderen erfahren wir, dass sie sich von ihrer langweiligen Ehe verabschieden möchte. Vordergründig sind es alltägliche und unspektakuläre Geschichten, aber hinter den Kulissen stoßen wir auf brisante und spannende Details. Wir lesen in oft traumartigen, melancholischen und geheimnisvollen Geschichten, die nicht selten Bewusstseinsströmen, Assoziationsketten oder Tagträumen gleichen, von Verrücktem, Klugem, Beängstigendem, Mutigem und Verstörendem. Ein Plot im eigentlichen Sinn findet sich nie so wirklich, es sind eher Zustände und Momentaufnahmen, über die reflektiert wird. Die Sprache der Schriftstellerin hat etwas extrem klares, eindringliches, wahrhaftiges und zupackendes. Clarice Lispector schlängelt sich nicht vorbei, sie redet nicht drum herum, sie bringt alles auf den Punkt. Auf diese Weise erzählt sie sehr authentisch von der Vielschichtigkeit und Rätselhaftigkeit des Lebens und von der Konflikthaftigkeit und Widersprüchlichkeit der seelischen Vorgänge. Sie beleuchtet die Komplexität hinter der vermeintlichen Banalität. Mit starken Bildern, Metaphern und bildhaften Vergleichen brachte sie mich immer wieder zum Staunen. Aber nicht nur das. Trotz aller Tiefgründigkeit und Ernsthaftigkeit sparte sie nicht mit Komik und Humor. Nicht selten musste ich schmunzeln. Eine außergewöhnliche Schriftstellerin hat ein originelles, poetisches und tiefgründiges Werk mit 40 eigensinnigen, lebendigen und teilweise verstörenden Geschichten vorgelegt, die mit überraschenden und kuriosen Wendungen und schrägen Pointen aufwarten und sich flüssig und leicht lesen lassen. Clarice Lispector wurde 1920 in der Ukraine als Tochter einer jüdischen Familie geboren. 1977 starb sie als eine der bedeutendsten brasilianischen Schriftstellerinnen einen Tag vor ihrem 57. Geburtstag an Krebs. Im Dezember 2020 wäre sie 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass erschienen ihre gesammelten Erzählungen erstmals auf Deutsch in zwei Bänden. Der zweite Band, „Aber es wird regnen“, wird definitiv bald von mir gelesen. Ich freue mich schon darauf!

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Eine bedeutende Autorin des 20. Jahrhunderts bekommt über vierzig Jahre nach ihrem Tod zwei neue Bände mit Erzählungen im Penguin Verlag. Clarice Lispector, 1920 in der damaligen Ukrainischen Sowjetrepublik geboren, aufgrund wiederkehrender Juden-Pogrome mit ihren Eltern emigriert nach Brasilien, war bereits mit 23 Jahren eine erfolgreiche Romanautorin. Nun, zu ihrem 100sten Geburtstag erschienen zwei Bände mit Erzählungen. Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau. Sämtliche Erzählungen I Wer Jean Paul Sartre und Albert Camus kennt, findet deren Gedanken in literarische Formen gegossen bei Clarice Lispector wieder. Die Faszination ihrer Erzählungen speist sich aus der Infragestellung des Selbstverständlichen und aus einem ganz besonderen Blick auf das Existentielle. Die Figuren stellen nicht nur die sie umgebende Welt infrage, sondern auch ihre eigene Existenz. Oder sie hängen ihre Existenz an etwas scheinbar völlig Bedeutungsloses und werden zu einem Spielball des Lebens, oft durch Kleinigkeiten in einen Abgrund gerissen. Die Frage der Existenz und die der Absurdität treffen aufeinander. Das Absurde ist in der Lücke zwischen Mensch und Welt zu verorten. Der Mensch prallt auf die Welt, ohne je mit ihr in Übereinstimmung zu kommen. Genau so lässt sich ein Miniaturporträt der meisten Figuren von Clarice Lispector zeichnen. Und darin liegt auch die Faszination: die Art und Weise des Aufeinanderprallens von Mensch und Welt ist so vielfältig, verwirrend und verstörend und gibt doch immer wieder den Blick frei auf das Besondere, das jede/n zu einem Schöpfer Ihres/seines Universums macht, gewählt oder ungewählt. Häufig stehen Frauenfiguren im Zentrum von Clarice Lispectors Erzählungen. Wie schon der Titel >>Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau<< verrät, sind es meist Frauen, die mehr oder weniger aus ihrer Realität rutschen. Ein exemplarisches Beispiel: >>Liebe<<. Die Protagonistin Ana erlebt während des Heimwegs von einem Einkauf eine tiefe seelische Erschütterung. Sie sieht von ihrem Strassenbahnplatz aus einen Blinden am Strassenrand. Und sie sieht, wie er Kaugummi kaut. „Vorgebeugt starrte sie den Blinden an, wie man anstarrt, was uns nicht sieht. Er kaute Gummi in der Dunkelheit. Ohne zu leiden, mit offenen Augen. Die Kaubewegung ließ ihn aussehen, als lächelte er und hörte plötzlich wieder auf, lächelte und hörte wieder auf - als wäre sie von ihm beleidigt worden, so starrte Ana ihn an.“ (S.138) Es ist passiert. Etwas ist verrutscht, Ana ist aus ihrer gewöhnlichen Wirklichkeit herausgerissen. Sie sieht Pflanzen auf ihrem Nachhauseweg, duftende Blumen, geht durch den botanischen Garten. „Sie liebte die Welt, liebte, was geschaffen worden war - liebte voller Ekel.“ (S.142) Das erinnert an Jean Paul Sartres Protagonisten Roquentin in >>Der Ekel<<, dem Roman des Existentialismus von 1938. Der Historiker Roquentin wird überfallen von einem überwältigenden Gefühl von Ekel, das ihn selbst auf einen neuen Platz in seinem Lebensweltzusammenhang stellt. Die Sinnlosigkeit von Existenz, die Zufälligkeit der Existenz, all dies wird ihm bewusst während eines Spazierganges im Park und der Betrachtung einer Wurzel. So auch hier bei Clarice Lispector. Für die Protagonistin Ana verändert der Moment der Beobachtung des Blinden ihre eigene Lebens- und Erlebenswelt. Es gibt nun zwei Seiten, die Seite des Blinden und die Seite der dicht wachsenden Pflanzen. Und sie weiß nicht mehr, auf wessen Seite sie ist. Sie bringt die Bilder nicht mehr zusammen.
Faszinierend sind auch die Schilderungen, wie sich die äußeren Erscheinungen der Personen verändern durch ihre inneren Erregungen. Eine unüberbrückbare Dissonanz und das Bemühen um Wiederherstellen eines Gleichgewichts von innen und außen durchzieht die Geschichten. „Und wenn sie die Liebe durchquert hatte und ihre Hölle, so kämmte sie sich jetzt vor dem Spiegel, für einen Augenblick ohne Welt im Herzen.“ (S.146) Beeindruckende Lektüreerlebnisse, die allerdings einer gewissen anhaltenden Düsterkeit nicht entbehren. Es gibt keine Auflösungen dieser Zustände. Der Leser, die Leserin bleibt in einem in einem Unsicherheitsraum zurück in >>Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau<<. Clarice Lispector: Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau. Sämtliche Erzählungen I
in der Übersetzung von Luis Ruby 
Penguin Verlag, München 2019
ISBN 9783328600947
Gebunden, 416 Seiten, 24,00 EUR

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Clarice Lispector lebte in Brasilien. Sie arbeitete als Lehrerin und als Journalisten. Sie schrieb außerdem Romane und Kurzgeschichten. Ich erfuhr erstmals von ihr und ihren Werken auf dem YouTube Kanal Better than Food. Schnell war meine Neugier geweckt. Als ich erfuhr, dass der Pinguin Verlag sammlungen mit ihren Kurzgeschichten herausbringen wird, hat mich das sehr gefreut. Mit Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau hat man einen guten Einstieg in Clarice Inspectors Werke. Sie schreibt leichtfüßig, metaphorisch, künstlerisch. Ihre Kurzgeschichten behandeln Sehnsüchte und Melancholie, Ängste und Wünsche. Sie fühlen sich leicht und schwer zugleich an, auf eine eigentümliche und originelle Art. “ ‘Ist das hier ein Moment’ fragt er richtig laut. Nein, jetzt ist es keiner mehr. Und was ist mit dem hier? Auch schon vorbei. Man hat nur den Moment, der als nächstes kommt. Die Gegenwart ist schon Vergangenheit. Legt die Leichen der Toten Momente aufs Bett. Bedeck sie mit einem blütenweißen Laken, steck sie in einen Kindersarg. Sie sind noch jung gestorben, frei von Sünde. Ich will Momente, die erwachsen sind!” (Seite 58) Allen Lobes zum Trotz muss ich auch etwas kritisieren. Der Klappentext des Kurzgeschichtenbandes enthält die Formulierung: “Clarice Lispector ist eine Ikone weiblichen Schreibens”. Da frage ich mich schon was weibliches Schreiben ist und ob es im Umkehrschluss auch Ikonen männlichen Schreibens gibt. Oder ist männliches Schreiben einfach Schreiben?Der Stellenwert von Literatur von Frauen sollte nicht herabgewürdigt werden, indem man weibliches Schreiben wie ein Subgenre des allgemeinen Schreibens behandelt. Aber soviel dazu… Alles in allem ein sehr gelundener Band mit faszinierenden Geschichten. Keine leichte Kost, aber dafür ein Erlebnis.

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