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Mario Alberto Zambrano

„Mit „Sonne, Mond und Sterne“ wollte ich einer der vielen Migranten-Geschichten eine Stimme geben“

Luz, die elfjährige Hauptfigur von „Sonne, Mond und Sterne”, führt ein Leben zwischen der US-amerikanischen und der mexikanischen Kultur. Obwohl sie in den USA lebt und Englisch spricht, sind ihre Erinnerungen oft vom Spanischen geprägt. Die Grenze zu Mexiko scheint zumindest gedanklich immer sehr nah zu sein. Was interessiert Sie am Leben zwischen zwei Kulturen?

Ich bin als Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln in Houston in Texas aufgewachsen. Während meiner Jugend spürte ich eine große Verwirrung darüber, ob ich „mexikanisch“ oder „weiß“ war. Damit meine ich nicht die sozialen und politischen Einzelaspekte, die beide Gruppen unterscheiden, sondern vielmehr die Erwartungshaltungen, die sich in solchen Identitätszuschreibungen ausdrücken. Diese Verwirrung steht im Zentrum der Identitätskrisen, im Zentrum so vieler Migranten-Geschichten. Mit „Sonne, Mond und Sterne“ wollte ich einer dieser vielen Geschichten eine Stimme geben.

Die mexikanischen „Lotería”-Karten führen durch den Roman. Durch sie findet Luz die Möglichkeit, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzten. Warum haben Sie das Kartenspiel als „Gerüst“ für Ihren Roman gewählt?

Die „Loteria“-Karten sollten den erzählerischen Rahmen bilden, in dem sich Luz flüchten konnte. Betrachten wir die kindliche Psyche, so stellen wir fest, dass Kinder bis zu einem Alter von ca. 10 Jahren in einer eigenen Fantasiewelt aus Spielen und Spielsachen aufgehen. Die Spiele sind vertraut und spenden Trost und „Loteria“ ist ein Spiel, mit dem sich Luz wohlfühlt.

Luz‘ Familienalltag ist von Gewalt geprägt. Ihr Umfeld schützt sie nicht, sondern rechtfertigt die Gewalt eher. Wie schafft es Luz, damit umzugehen?

Die Liebe ist kompliziert, und ich glaube nicht, dass man erst erwachsen werden muss, um das zu erkennen. Es ist naiv zu denken, Liebe sei immer rein und zärtlich – sie ist oft brutal, verwirrend und gleichzeitig überraschend. Luz liebt ihre Mutter und ihren Vater. Sie versucht, ihrer Welt einen Sinn zu geben und vergibt ihren Eltern die Übergriffe, um sie weiterhin lieben zu können. Es ist ein sehr frühreifes Kind mit einer hohen emotionalen Intelligenz.

War es schwer, sich als erwachsener Mann beim Schreiben in die Haut eines elfjährigen Mädchens hinein zu versetzten?

Es war hart und zugleich leicht, in die Gedankenwelt einer elfjährigen Figur zu schlüpfen. In diesen Jahren ist die Neugierde sehr ausgeprägt, darauf habe ich mich konzentriert. Es fiel mir leicht, an dieses Gefühl anzuknüpfen, wenn ich mich an meine eigene Kindheit erinnerte.

In Ihrem Tumblr findet man den schönen Satz: “In order to love who you are, you cannot hate the experiences that shaped you.” Welchen Weg kann ein Mädchen wie Luz finden, mit ihren Erfahrungen umzugehen? Und hat ihr mit den Loteria-Karten letztlich auch die Kunst geholfen, mit dem Schmerz umzugehen?

Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, ob wir uns jemals wirklich mit unserer Vergangenheit versöhnen können. Es gibt ein Zitat von Joan Didion: „Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben“. Ich denke, dass wir genau dies tun. Als Kinder und als Erwachsene. Wir flüchten in die Kunst, um zu verstehen, was um uns herum passiert. Es gibt keine eindeutigen Antworten, um das erlittene Trauma zu begreifen. Wir können nur versuchen, ihm einen poetischen Ausdruck zu verleihen.

Sie haben als professioneller Tänzer für Hubbard Street Dance Chicago, das Nederlands Dans Theater, das Frankfurter Ballett-Ensemble und die Batsheva Dance Company getanzt. Dann haben Sie sich entschieden, als Künstler eine andere Form und eine andere Bühne auszuprobieren: die Literatur. Wie kam es zu diesem Wechsel?

Obwohl ich meine Karriere als Tänzer liebte, war es ein harter und anspruchsvoller Beruf. Das letzte, womit ich damals rechnete, war meine Leidenschaft dafür zu verlieren. Doch genau das geschah, als ich 25 Jahre alt wurde. Ich fühlte mich ausgebrannt. Daraufhin begann ich, Literaturkurse zu besuchen und verliebte mich langsam in das Schreiben fiktionaler Texte. Der Rest ist Hingabe und Beharrlichkeit, die bis heute andauern.

Finden Sie Parallelen zwischen Tanz und Literatur? Profitieren Sie beim Schreiben von Ihrer Erfahrung als Tänzer?

Am meisten hilft mir beim Schreiben die Disziplin, die ich mir als Tänzer angeeignet habe. Ohne Disziplin würde sich kein Autor an seinen Schreibtisch setzten. Aber abgesehen davon bilden sie zwei sehr unterschiedliche und gegensätzliche Erfahrungen: Die eine ist körperlich - die Bewegung zur Musik -, während sich die andere eher so beschreiben lässt, als würde man in einem schwierigen Balanceakt eine ganze Welt zu Bewusstsein bringen.

Und zuletzt noch die Frage: “Sonne, Mond und Sterne” ist Ihr Debütroman. Können wir in Zukunft hoffen, noch mehr von Ihnen zu lesen?

Ja, gerade schreibe ich an meinem zweiten Roman über einen Tänzer, der im Paris der 70er Jahre sein Gedächtnis verliert.



Fragen und Übersetzung Elsa Antolín / Luchterhand Literaturverlag

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