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Adrian Searle/Oliver Ninnis: Eine Katze muss tun, was eine Katze tun muss

Adrian Searle: Eine Katze muss tun, was eine Katze tun muss (Heyne Encore)

Mein Leben mit Katzen und anderen Tieren

Adrian Searle

Was Tierliebhaber angeht, habe ich da so eine Theorie. Und ich rede hier von Menschen, die wirklich vernarrt in sie sind. Die Tiere ihren Mitmenschen vorziehen. Ich würde mich auch zu dieser Kategorie zähen, obwohl ich kein tierliebender Einsiedler vom Kaliber einer Brigitte Bardot bin. Doch wenn es die Umstände erlauben, umgebe ich mich gern mit vielen flauschigen Freunden – hunderte vierbeinige Kameraden, insbesondere Katzen: Das wäre das Paradies.

Meine Theorie ist nicht besonders kompliziert, sondern recht augenfällig: Der wahre Tierfreund findet andere Menschen enttäuschend. Ich kannte mal eine Frau, die eine sehr schwierige Beziehung zu ihrer Mutter hatte (sie ertappte ihre Mutter an ihrem Hochzeitstag in ihrem Hochzeitskleid), und eine viel innigere Beziehung zu ihren beiden Rottweilern pflegte als zu den vielen Männern in ihrem Leben. Ein alleinstehender Verwandter von mir singt seiner Katze täglich Opern oder Musicalnummern vor. Eine Bekannte von mir liebt ihren Border Collie abgöttisch, obwohl er inkontinent ist und viel Arbeit macht, und ein befreundetes Pärchen hat €70.000 für ein Wohnmobil ausgegeben, das nun ungenutzt herumsteht, weil die beiden ihre altersschwache Katze nicht im Stich lassen wollen.

Bei mir zeigte sich die Tierliebe schon früh. Als ich in die Schule kam, stand in meinem ersten Zeugnis kein Wort von vielversprechenden intellektuellen oder kreativen Anlagen, dafür: „Adrian hat viel Freude am Umgang mit Tieren.“ Wir hielten Wüstenrennmäuse, Hamster und Meerschweinchen, die die Klasse abwechselnd übers Wochenende mit nach Hause nehmen durfte.

Für meine Tierliebe sind zum Teil meine Eltern und zum Teil die Umgebung verantwortlich, in der ich aufwuchs, nämlich der ländliche Norden Schottlands. Wir wohnten in einem riesigen Haus, umgeben von zwei Hektar Garten und Wald. Dabei waren wir alles andere als wohlhabend – das Haus war die Dienstwohnung meines Vaters, eines presbyterianischen Pfarrers. Um uns durchzubringen, baute er nicht nur sein eigenes Gemüse an, er hatte auch drei Bienenstöcke und hielt zwei Schafe, dreißig Hühner und drei Hähne. Claude, der größte Hahn, war ziemlich bösartig und scheuchte jeden Besucher durch den Garten. Dazu hatten wir noch ein Shetlandpony, kaum größer als ein großer Hund, und zwei Kaninchen.

Und wir hatten zwei Katzendamen. Damals in den Siebzigern machte sich keiner die Mühe, seine Katzen kastrieren zu lassen. Wahrscheinlich hätten wir uns es sowieso nicht leisten können. Beide warfen zur gleichen Zeit, sodass eine Weile lang zehn Katzen durch unseren Garten tobten. Was gar nicht so schlecht war, da wir ein massives Mäuseproblem hatten. Fast unser gesamtes Spielzeug war angenagt. Einmal saß eine Maus auf meiner Schachtel mit Legosteinen. Sie starrte mich an, schnappte dann nach meinem Finger, biss sich mit grimmiger Entschlossenheit fest und ließ sich geschlagene zwanzig Sekunden nicht abschütteln. Schottische Mäuse sind sehr aggressiv. Als die Kätzchen vier Monate alt waren, entdeckten sie hinter dem Boiler ein Loch in der Wand. Wenn ich von da an nachts in meinem Bett lag, hörte ich das Quietschen und Trippeln der Mäuse in der Wand, gefolgt vom Miauen und Scharren der sie jagenden Katzen.

Unser Grundstück war von Weiden und Feldern umgeben und praktisch überall standen Kühe und Schafe herum. Wenn mein Vater die Bauernhöfe seiner Pfarrei abklapperte, durfte ich ihn begleiten, die Hofhunde streicheln und den Kühen, die hintereinander im Stall standen, dabei zusehen, wie sie auf dem Silofutter herumkauten. Selbst heute noch kann ich mich am Duft von Kuhscheiße kaum sattriechen. Ich verbrachte meine Kindheit also umgeben von Tieren, und mir wurde nachgesagt, dass ich die unheimliche Fähigkeit besaß, sofort vierbeinige Freunde zu finden - egal wo ich mich befand. Einmal, als ich ungefähr zehn war, fuhr ich in ein Zeltlager. Eine Dohle flog von einem Baum erst auf meine Schulter, dann pickte sie ganze vierzig Minuten lang auf meinem Schnürsenkel herum.

Ich bin das jüngste von vier Kindern. Meine Schwester, die Zweitjüngste, kam drei Jahre vor mir in die Schule, daher verbrachte ich einen Großteil meiner frühesten Kindheit allein mit den Tieren im Garten. Heute weiß ich, dass ich erst im Alter von vierzehn oder fünfzehn eine funktionierende Mutter-Kind-Beziehung aufbaute. Vorher konnte ich sie nicht besonders gut leiden, und als jüngstes Kind verbrachte ich viel mehr Zeit mit meinem Bruder, meiner Schwester oder allein als mit ihr. Heute liebe ich sie bedingungslos (sie ist inzwischen achtzig Jahre alt und sehr lebensfroh). Doch als Tochter eines Alkoholikers in einer Zeit, in der es nur wenig psychologische Einsicht oder gar Hilfe gab, litt sie, wenn ihr Mann - wie so oft - arbeiten musste, schwer unter der Einsamkeit und konnte sehr distanziert und unnahbar sein.
Um diese emotionale Leerstelle auszugleichen, suchte ich tierische Gesellschaft, insbesondere die von Katzen und Hunden. Wenn ich heute bei jemandem zu Besuch bin und ein Tier anwesend ist, pflege ich den Gastgeber zu ignorieren und zuerst den Vierbeiner zu begrüßen.
© privat
Katzen sind mir ganz besonders wichtig. Katzen sind niedlich. Katzen sind schön. Katzen sind liebevoll (wenn sie etwas von einem wollen). Katzen machen gern Blödsinn und sind neugierig. Katzen sind manchmal schlecht gelaunt, gelangweilt, dann wieder voller Tatendrang oder todmüde. Mit anderen Worten: Katzen sind den Menschen ziemlich ähnlich. Flatterhaft, schlau, dumm und eigensinnig, und das alles oft gleichzeitig. Seien wir ehrlich – wenn Katzen auch noch Alkohol trinken würden, gäbe es kaum einen Unterschied zwischen ihnen und uns.

Doch bis dahin ist der große Unterschied zwischen den Spezies natürlich, dass Katzen weich und flauschig und dadurch bestens geeignet sind, einen menschlichen Schoß zu wärmen. Sie sind auch sehr sinnlich und mögen Körperkontakt. Da sind sie nicht so zugeknöpft wie wir.
Von den Hunden unterscheidet sie, dass Katzen Ironie und Sarkasmus verstehen. Wenn ein Hund einen ansieht, dann entweder voller Liebe oder weil er Hunger hat. Eine Katze dagegen lässt dich wissen, dass sie dich ständig beurteilt. Deshalb will es schon etwas heißen, wenn dich eine Katze gernhat. Dann darf man sich geehrt fühlen.

Ich habe einen neun Jahre alten Bichon Frisé namens Archie. Ich liebe Archie. Seit er als Welpe zu mir kam, ist er mein ständiger Gefährte. Dazu hatte ich in meinem Erwachsenenleben vier Katzen: Zuerst Mog, eine schwarzweiße Katze von einem Bauernhof, ein sanfter Riese und gefürchteter Mäusejäger. Ich weiß noch, wie ich einmal Gäste zum Abendessen eingeladen hatte und Mog unter dem Tisch auf den Knochen einer Maus herumkaute – knackknackknack. Wir mussten uns etwas lauter unterhalten. Danach kam die schöne, aber sehr schreckhafte Alina, eine prächtige und sehr anhängliche Russisch Blau. Als Orientalin redete Alina pausenlos und ging nicht gern nach draußen. Wir gaben ihr den Spitznamen Klette, weil sie so viel Aufmerksamkeit forderte.

Später rettete ich ein ausgesetztes kohlschwarzes Kätzchen, das wir Moth nannten – kurz für Behemoth, wie der dämonische schwarze Kater aus dem komischen russischen Roman Der Meister und Margarita von Michail Bulgakow. Der Name passt wie die Faust aufs Auge: Aus einem dürren kleinen Fellbündel wurde ein muskulöser, brutaler Kater, der keiner Rauferei aus dem Wege geht. Anhänglich ist er auch nicht. Er lässt sich zwei Mal streicheln, beim dritten Mal fährt er die Krallen aus. Moth ist ein Einzelgänger, der in seinem Leben nur einen echten Freund hatte: Einen kleinen, äußerst streitlustigen Jack Russell Terrier namens Freddie (den wir eine kurze Zeit bei uns aufnahmen und nicht ohne Grund nach Freddie Kruger benannten). Sie balgten sich für ihr Leben gern. Minutenlang sah man nur ein chaotisches Knäuel aus Zähnen, Krallen und Fell. Bedauerlicherweise versuchte Freddie, Archies Hundefriseur zu ermorden (kein Scherz!), woraufhin wir ihn weggeben mussten.
© privat
Der jüngste Familienzuwachs ist Mia, eine graue, getigerte Katze. Sie ist einfach perfekt. Mia ist entspannt und liebevoll und fühlt sich draußen auf der Jagd genauso wohl wie im Haus. Mia steht übrigens für Miau, und weil sie eine M-förmige Fellzeichnung auf der Stirn hat. Mias einzige schlechte Angewohnheit besteht in der Annahme, dass alles, was ich esse, automatisch auch für sie bestimmt ist. In dieser Beziehung ist sie sehr eigen und lässt sich auch nicht davon abbringen.

Letzten Sommer warf Mia fünf Kätzchen – ein tolles Erlebnis. So viele miauende Fellknäuel in unserer kleinen Wohnung sorgten für ständiges Chaos, doch ich genoss jeden Augenblick. Den Vater habe ich nie kennengelernt. Nach und nach fand jedes Kätzchen ein liebevolles Zuhause, und Mia wurde sterilisiert – das war’s dann mit dem Nachwuchs.

Die Inspiration für »Eine Katze muss tun, was eine Katze tun muss« waren nicht nur die Katzen meiner Kindheit, sondern auch Moth und Alina beziehungsweise Moth und Mia. Ich beobachtete sie, lebte mit ihnen zusammen und entdeckte nach und nach ihre Persönlichkeit. Katzen sind herrlich anzusehen, völlig kompromisslos in ihrem Verhalten und gleichzeitig sehr ehrlich in Bezug auf ihre Absichten. Wenn die Menschen doch genauso wären.

Eine Katze muss tun, was eine Katze tun muss

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