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Michael Miersch, Henryk M. Broder, Josef Joffe, Dirk Maxeiner »Früher war alles besser«

Straße, meine


Die war früher unser Wohn- und Kinderzimmer. Und der Ort der (auf Soziologen-Deutsch) »sozialen Kontrolle.« Die Straße war unser Wohnzimmer. Mutter musste sich nicht von Schulschluss bis zum Einbruch der Dunkelheit aus dem Fenster hängen, um den Kleinen im Blick zu behalten. Ein halbes Dutzend Augenpaare spähten uns aus, angefangen mit der »Portiehschen«, die säuberlich registrierte, wer den Ball in die Scheibe geschossen hatte. An der Ecke stand der Lebensmittelhändler vor der Tür, während der Bäcker durchs Schaufenster äugte. Karolas körperbehinderte Mutter war die zuverlässigste Wache am Fenster. Und alle kannten unsere Eltern.
Regelmäßig kam auch der Bulle vorbei, mit dem Tschako auf dem Kopf, den wir vor den Erwachsenen noch etwas vornehmer »Schupo« nannten, hinter seinem Rücken aber »Polente«. Jeder Erwachsene war eine Autoritätsperson, auch wenn wir schnell lernten, dass wir mit dem kriegsversehrten Parkwächter ein sicheres Spiel hatten. Grausam, wie Kinder sind, haben wir ihn von weitem provoziert, um ganz ruhig davonzutraben, wenn er sich schnaufend und stockschwingend zu nähern versuchte.
Die soziale Kontrolle ist genauso dahin wie der Kohlenmann und der leere Parkraum vor der Haustür. Genauso wie auch die klassische Konversationseröffnung mit der Mutter des besten Freundes: »Frau Müller, kann der Jochen runterkommen?« Die Straße ist heute nur Straße. In der Großstadtstraße, jedenfalls in den bürgerlichen Bezirken, sieht man keine Kinder mehr, die Versteck spielen oder Comics tauschen. Die Straße ist ein unwirtlicher Ort geworden. Sie gehört dem Auto oder (in unserer Vorstellung) dem Kinderschänder, nicht dem Kind. Die Aufsicht übernimmt der Fernseher. Oder die X-Box.

Bulle


Früher: Kinderschreck, Rollschuh-Räuber (wenn man auf dem Fahrdamm fuhr), Ganovenfänger und Studi-Prügler (ca. 1967-72). Heute »KOB«. Der »Kontaktbereichsbeamte«, schreibt die Berliner Zeitung »ist ein Polizist zum Anfassen. In seinem Gebiet ist er den ganzen Tag zu Fuß unterwegs, jederzeit ansprechbar und immer bereit zu helfen. ‚Wir wollen Bürgernähe demonstrieren und durch unsere Anwesenheit Sicherheit vermitteln.' Dazu gehört auch, dass er Touristen geduldig den Weg zur Philharmonie erklärt oder Radler, die auf dem Bürgersteig fahren, ermahnt.« Für den normalen Polizeieinsatz haben wir das Mobile Einsatzkommando mit dem Stunner und der MP-5 von Heckler & Koch.

Fräulein


Das Fräulein wurde von den Feministinnen abgeschafft. Zu recht, denn es war unfair, dass man unverheirateten Frauen ein Diminutiv anhängte. Ein Junggeselle war ja auch kein »Herrlein«. Verlierer dieser sprachlichen Gleichstellung war die Minderheit der Fräuleins, die diesen Titel mit Stolz trugen. Das waren meist ältere Damen, die mit der Ehrenbezeichnung »Fräulein« der Welt signalisierten: Ich bin selbständig, verdiene mein eigenes Geld und brauche keinen Mann. Andere wollten mit dem »Fräulein« auch kundtun, wie stolz sie auf ihre lebenslängliche Jungfräulichkeit seien. Und dann gab es noch das »Fräulein vom Amt«, das Telefongespräche vermittelte.
Die amerikanischen Soldaten sagten »Froulain« mit kehligem »r«. Deutsche »Froulains« waren viel aufregender als die »American Girls«, so verführerisch wie die französischen Mademoiselles und obendrein blond.

Leierkastenmann


Der i-Pod der frühen Jahre, brachte er doch live Musik ins/vors Haus, ohne dass man bei Apple downloaden musste. Ein runter geworfener Groschen, in Papier verpackt, ersetzte wohlfeil die 99 Cents, die man bei i-Tunes löhnen muss. Das Äffchen, das auf die Zimbel schlug, gibt's bei Apple auch nicht.

Telefonzelle


Gebaut aus Stahl und Drahtglas, postgelb angemalt. Gut auch als Bunker gegen kleinere Schrapnellstücke. Hier konnte man unbeobachtet von den Erzeugern mit der Angebeteten aus der Parallel-Klasse flüstern. Weiterer Vorteil: Man konnte anrufen, aber nicht angerufen werden, sei's von der nervigen Mutter oder von der noch nervigeren Ex-Angebeteten. Ersetzt durch das Handy.

Schwarze Fassade


Alle alten Häuser waren schwarz. Stadtkinder der 60er Jahre dachten, dass Schwarz die natürlich Farbe des Sandsteins sei. Denn alles, was historisch und aus Sandstein gebaut war, Schlösser, Kathedralen, Justizpaläste, war schwarz. In den 70ern wurden in Westdeutschland Filter in die Fabrikschornsteine eingebaut, Öl- oder Gas-Zentralheizungen lösten die Kohleöfen ab. Die Altstädte wurden saniert und herausgeputzt, Fassadenreiniger gingen ans Werk. Siehe da: Sandstein ist von Natur aus gelblich oder rötlich. In der DDR blieb er bis zum Schluss schwarz.