Ein Roman über Angst und Hoffnung – und über die Entscheidung, sich selbst zu verraten oder seine Liebe:
Takis Würger erzählt die Geschichte der historischen Stella Goldberg aus der Sicht ihres Liebhabers Friedrich.
Stella lebt als Jüdin unter falscher Identität in Berlin, doch sie wird von der Gestapo enttarnt – und zu einem unmenschlichen Pakt gezwungen.



Takis Würger hat uns im Tonstudio besucht, um Valery Tscheplanowa und Robert Stadlober
bei den Hörbuch-Aufnahmen zu seinem Roman »Stella« zu erleben.
Entstanden sind zwei intime Werkstattgespräche über die Schönheit und Zerbrechlichkeit von Stimmen,
über den Berliner Dialekt und über die bewegende Geschichte von Stella und Friedrich:

Gespräch mit Valery Tscheplanowa

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Takis Würger: Valery, wir sitzen hier gerade – das kann natürlich keiner sehen, der uns hört – in einem Studio in Berlin und ich sitze zum ersten Mal in so einem Studio. Es ist alles sehr aufregend und vor mir steht so ein Mikro in der Luft, das aussieht wie eine außerirdische Waffe. Gibt es irgendwelche Tricks, wie man da besonders schön reinspricht?

Valery Tscheplanowa: Tricks nicht wirklich, aber mit den Jahren habe ich gelernt, glaube ich, wirklich da rein zu sprechen. Ich mache einen Trick, dass ich mich selber höre. Dadurch ist man in so einem Raum mit seiner Stimme und das mag ich ganz gerne.

Ich habe auch gerade ein bisschen zugeschaut, als du gesprochen hast und du hast dich unter anderem mit beiden Händen am Pult festgehalten.

Das liegt an den Texten, die du geschrieben hast. Die sind zwar sehr trocken, aber die Dinge, die man da aufreibt, muss man erstmal verkraften. Deswegen habe ich mich ein bisschen am Brett festgehalten. Und dann machte mein Magen auch noch so viele Geräusche, dass wir jetzt unterbrechen mussten. Es ist nicht ganz ohne.

Ist es wirklich so? Lässt man das als Sprecher an sich rankommen?

An sich Rankommen ist immer so ein Satz. Das sind ungeheure Dinge, die da stehen und wenn man mit sich allein in so einem Studio sitzt, kommt man nicht umhin, sie zu hören. Ich glaube manchmal ist es sogar leicht das zu lesen, so nebenbei, aber hier ist man ja wirklich in so einer Stille eingesperrt, da wird das schon gegenwärtig.

Mir ging das so, als ich gerade da hinten saß, dass ich es kaum ertragen habe, zuzuhören, weil plötzlich das Buch, dass ich ganz alleine in meiner eignen Kammer geschrieben habe, nicht mehr nur mein Buch ist, sondern dadurch, dass du dem Buch eine Stimme gibst, auch dein Buch. Deswegen bin ich irgendwann rausgegangen. Und gleichzeitig ist es so, dass – ich weiß nicht genau, woran das liegt – deine Stimme in mir irgendetwas zum Schwingen bringt. Als ich dich zum ersten Mal gehört habe, war das bei der Verleihung des deutschen Hörbuchpreises, wo du gewonnen hast und wo du auf die Bühne gegangen bist und der Moderator dich irgendetwas Bescheuertes gefragt hat und dann hast du den Mund aufgemacht und ich habe in der Sekunde gedacht: Wow, diese Frau muss Stella sprechen. Und ich glaube es war doch so, dass ich dich an dem Abend... Habe ich dich an dem Abend angesprochen?

Ne, ich habe dich angesprochen, weil mir so gefallen hat, wie du aus dem Schwingtürchen gekommen bist. Du standst mit ein paar Jungs irgendwo herum und ich habe dich angesprochen.

Meine Erinnerung war, wie ich an dem Abend zu dir gegangen bin und gesagt habe, du musst Stella sprechen.

Ne. Das kam auch gar nicht da. Sondern ich habe dann das Buch gelesen und gesehen, dass du hinten deine E-Mail Adresse im Buch hast. Das habe ich noch nie gesehen und dann habe ich geschrieben, dass ich gern dein Buch einlesen würde.

Genau. Und weißt du, wie es wirklich war? An dem Abend waren die Leute von Random House da und die hatten sich gerade dazu entschieden, Stella zu machen und ich bin zu der Chefin hingegangen und habe gesagt: Die Frau, die heute Abend gewonnen hat, muss Stella sprechen.

Und dann hast du einen Satz gesagt, den ich schon ganz, ganz häufig zitiert habe. Den kann nur ein Autor sagen. Du hast zu mir gesagt: Geile Stimme, aber die Frau will man nicht zu Hause haben (lacht).

Du sollst hier keine Geheimnisse verraten. Wo wir beim Thema wären und ich jetzt erstmal ein paar Fragen von meinem Zettel ablesen werde. Die Stimme ist für mich so eine Elfenstimme. Kannst du eigentlich auch so richtig…

Normal reden?

Ne, böse klingen?

Böse klingen? Natürlich kann ich böse klingen. Das ist alles im Repertoire.

Weißt du noch, wann du das letzte Mal privat jemandem vorgelesen hast?

Ja. Die unendliche Geschichte. Meinem Bruder. Wir haben uns da durchgequält. Der ist jetzt 15, der ist 22 Jahre jünger als ich. Der ist von meiner Mutter, die hat mich mit 22 und ihn mit 44 bekommen. Ich kann ja nicht so oft zu ihm, das heißt, wir haben, glaube ich, ein ganzes Jahr Die unendliche Geschichte gelesen.

Das ist schön. Musst du eigentlich auf deine Stimme aufpassen?

Ich habe meine Stimme schon zweimal zerstört. Bis zur Unkenntlichkeit. Als ich jünger war, habe ich viel experimentiert und auch mit extremen Lautstärken und Aggressivität und habe zweimal die Stimme wirklich zerstört und musste sie wieder aufbauen. Ich habe beim zweiten Mal ein ganzes Jahr gebraucht, um sie wiederherzustellen.

So als Laie hat man keinen Begriff dafür, was das heißt. Also ich kenn das, wenn man einen gesoffen hat, dann ist die Stimme am Sonntag zerstört und am Montag ist sie wieder aufgebaut.

Das ist was anderes. Also wenn man zum Beispiel zwanzig Vorstellungen im Monat spielt, was mir passiert ist in Frankfurt, und dann nicht auf sich achtet, dann kann man so weit kommen, dass es einen Stimmverschluss gibt. Die Stimmbänder schwingen ja und dort können sich Knoten bilden. Und diese Knoten kann man operieren oder man schabt sie sozusagen, man lässt sie sich wegentwickeln und das dauert fast ein Jahr. Also sicherlich habe ich auch irgendwelche Knoten zurückbekommen, aber man muss schon, wenn man sich was leistet auf einer Bühne – und auf einer Bühne ist man ja auch nicht immer Herr seiner selbst – das heißt, man kann sich da schon verletzen und auch an der Stimme. Dann muss man das wieder reparieren.

Das heißt, das Zerbrechliche an deiner Stimme ist gar nicht angeboren?

Nein, das hat sich entwickelt über die Jahre. Ich habe sogar vor kurzem nochmal einen Logopädie-Kurs gemacht. Ich bin zu einer Logopädin gegangen, die nur mit Kindern arbeitet. Und das habe ich immer geliebt, dann bin ich morgens immer dahin und da saßen dann so 3-, 7- oder 5-Jährige, die ein Stimmproblem haben und ich in einer Reihe. Und dann haben wir nochmal drei Monate geübt.

Lustigerweise steht auf meinem Zettel die Frage: Wie hast du so schön sprechen gelernt? Und jetzt merke ich, dass die Schönheit deiner Stimme daher kommt, dass du sie kaputtgemacht hast.

Das hast du gut erfasst. Und außerdem hatte ich ein Glück auf der Schauspielschule, denn ich wurde da nur auf Probe aufgenommen, weil sie mich für unbelehrbar hielten. Und meine Sprecherzieherin hat gesagt, du schaffst es sowieso nicht in den Beruf. Und dann habe ich gesagt: Ja und was machen wir? Ich bin ja noch da. Und dann habe ich einfach immer meine Gedichte vorgelesen und wir haben kein Sprechunterricht gemacht.

Und bist du hingegangen und hast ihr eine reingeballert jetzt?

Nö. Ich fand das gut.

Eine Frage, die ich fragen soll und die ich dich natürlich auch frage als braver Autor. Du hast ja den deutschen Hörbuchpreis gewonnen im Jahr 2018. Wirst du seit dem wie bekloppt gebucht?

Nein. Bei Preisen ist es tatsächlich so – das Klischee bestätigt sich – dass man weniger gebucht wird, wenn man einen Preis gekriegt hat.

Woran liegt das?

Keine Ahnung. Die Leute denken, dass man ausgebucht ist und trauen sich nicht zu fragen. Das habe ich letztens gehört. Sogar Theatermacher denken, dass man die ganze Zeit beschäftigt ist, bis ihnen auffällt, dass man auf keinem Spielplan zu verzeichnen ist. Dann erinnern sie sich. Aber das dauert ja ein ganzes Jahr bis sie entdecken, dass man nirgendwo spielt. Oder man ruft sie dann an. Ich warte lieber, bis sie entdecken, dass ich nirgendwo spiele.

Ich habe mich vorhin etwas gefragt, als ich da hinten dringesessen habe. Das letzte Mal, dass ich dich gesehen habe, hast du das Theatertreffen hier in Berlin eröffnet und hast vor tausend Leuten gespielt und jetzt hast du vorhin vor drei Leuten gelesen. Und die Texte, die du liest, diese kleinen Elemente des Buches sind relativ schwierig geschrieben und du hast dich dauernd verlesen (lacht). Und dann habe ich mich gefragt, ob …

Oh, müssen wir das erzählen? Ja, ich verlese mich oft. Bei sowas natürlich noch viel mehr, weil es keine – ich will nicht sagen, dass es nicht unrhythmisch ist – aber es ist sehr viel Inhalt, sodass ich dann manchmal hängen bleibe. Und es sind sehr viele Namen. Also es ist ein bisschen wie beim Jodel-Diplom. Außerdem wie ist das bei Loriot? Ich habe mein Jodel-Diplom und kann jetzt so Namen vorlesen? Englische Namen liest sie da vor. Das ist irgendwie so eine Schattenseite meines Berufs, wenn man plötzlich wissenschaftliche oder sachliche Texte und Namen lesen muss. Da gibt es so eine kleine Gegenwehr in mir drin, ich glaube deswegen verlese ich mich.

Vorhin kam ein Name, als ich drin saß, der ungefähr 50-mal vorgelesen wurde. Pritzowitz oder so. Und ich habe gedacht, ich werde mal ein ganzes Buch schreiben mit der Hauptfigur Pritzowitz. Und dann sag ich, es darf nur Valery machen (lacht).

Ja (lacht). Aron Pritzowitz. Abenteuer in Schlesien.

Ist es tatsächlich seltsam gewesen in dem Moment, als der Autor reingelaufen ist, weil man wusste, das ist sein Buch? Oder ist sowas komplett egal, wenn man so eine Schauspielerin von deinem Format ist?


Komische Frage. Nein, es ist überhaupt nicht egal. Erstens ist es wundervoll, wenn der Autor noch lebt. Das ist schon mal eine große Sache. Als Theaterschauspielerin sind alle tot und ich kann mit niemandem in Kontakt treten, sodass der Autor tatsächlich etwas dazu sagen könnte, was ich mache. Das ist fantastisch. Aber es erzeugt auch Unruhe. Vielleicht habe ich mich deswegen so viel verlesen.

Herzlichen Dank, dass du dieses Buch liest. Es ist wunderbar.

Ich freue mich auch.

Valery Tscheplanowa wuchs in Kiel und Lübeck auf. Nachdem sie zunächst Tanz und Puppenspiel studierte, absolvierte
sie an der Hochschule Ernst Busch eine Schauspielausbildung. Von 2006 bis 2009 war sie festes Ensemblemitglied des Deutschen Theaters Berlin, danach am Schauspiel Frankfurt. 2013 gab sie in München ihr Debüt am Residenztheater.

Hörprobe »Stella«

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Friedrich kommt aus gut behütetem Haus nach Berlin, ein stiller Mann auf der Suche nach der Wahrheit. In einer Kunstschule trifft er Kristin. Sie nimmt Friedrich mit in ihre Nächte in geheimen Jazzclubs. Sie trinkt Kognak mit ihm und gibt ihm seinen ersten Kuss. Bei ihr kann er sich einbilden, der Krieg sei weit weg.
Eines Morgens klopft Kristin an seine Tür, verletzt, mit Peitschenstriemen im Gesicht: „Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt.”
Kristin ist nicht ihr richtiger Name. Sie heißt Stella und ist Jüdin. Die Gestapo hat sie enttarnt und zwingt sie zu einem unmenschlichen Pakt: Wird sie, um ihre Familie zu retten, untergetauchte Juden denunzieren?
Ihre Entscheidung stellt Friedrich vor eine unmögliche Wahl.

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Gespräch mit Robert Stadlober

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Takis Würger: Du hast gerade erzählt, dass du Kärntner bist und ich habe jetzt so eine Stunde zugehört, als du gelesen hast und du hast extrem gut berlinert.

Robert Stadlober: Ja, das liegt ein bisschen daran, dass ich qua Geburt Kärntner bin, aber aufgewachsen in der Obersteiermark. Das liegt aber daran, dass das Krankenhaus, wo meine Mutter mich gebären wollte, eben in Kärnten lag und wir von der Grenze zwischen Kärnten und der Steiermark kommen und besagte Mutter kommt aus Berlin. Das heißt, ich konnte als Kind nicht wirklich hochdeutsch und auch nicht berlinern, aber ich habe es natürlich immer irgendwie so im Ohr gehabt. Und dann sind wir, nachdem meine Eltern sich getrennt haben, kurz bevor ich Teenager geworden bin, nach Berlin gezogen und ich bin dann in Berlin aufgewachsen und zur Schule gegangen. Und dann lernt man sehr schnell hochdeutsch und auch schnell berlinern, weil auf dem Schulhof wird kärntnerisch – oder steierisch – nicht so wirklich akzeptiert.

Ich habe, als ich das Buch geschrieben habe, das Problem gehabt, dass ich aus Hannover komme und natürlich nicht berlinern kann, aber die Grammatik von Stella berlinerisch ist. Ich habe mir eine Schauspielerin in Berlin gesucht, die alle Kristin-Teile auf berlinerisch übersetzt hat und ich habe es dann wieder reingeschrieben. Die Grammatik habe ich so gelassen aber das „Ick“ und so habe ich dann rausgenommen. Ich habe mich gefragt: Hast du mal gedacht, das ist aber falsch jetzt? Oder läuft das ganz gut durch?

Ob es jetzt berlinerisch-falsch oder hochdeutsch-falsch ist?

Berlinerisch.

Ne, bis jetzt bin ich noch nicht gestolpert.

Wir sind jetzt auf Seite 94.

Ne. Man merkt natürlich, dass es manchmal ein bisschen abgeschwächt ist, aber das ist ja auch gerade richtig. Sie redet ja die meiste Zeit mit einem Schweizer und da würde man sich auch als Berlinerin Mühe geben, vielleicht manchmal die Grammatik dementsprechend anzupassen. Aber mir ist jetzt nichts direkt aufgefallen. Berlinerisch ist ja auch ein seltsames Idiom, es ist sehr fließend. Das kennt man ja selber, es geht bis zum Bäcker an der Ecke und da ist es dann irgendwann eine Sprache, die kaum noch zu verstehen ist. Aber es gibt auch Leute wie Henry Hübchen. Wenn er ein Interview gibt, versteht man ihn ja auch, obwohl er eigentlich richtig krass berlinert. Oder Kathi Thalbach. Harald Junke konnte ja auch so sprechen, dass ihn ganz Deutschland verstand.

Ich finde es wunderbar, dass du in dem Hörbuch berlinerst. Wir haben eine Zeit lang überlegt, ob wir in der gedruckten Version des Textes auch Ick mit „ck“ schreiben und es hat immer so drollig gewirkt und ein bisschen genervt, interessanter Weise. Aber beim Hörbuch habe ich gerade da gesessen und mit geschlossenen Augen zugehört, als wäre es ein Kinofilm und es war fantastisch. Dadurch wird es so lebendig.

Es ist auch beim Berlinerischen oder bei vielen Dialekten so, wenn man es leise für sich liest, stellt es sich nie her, wenn man es so schreibt, wie man es lesen würde. Tucholsky, zum Beispiel, kann man eigentlich nur laut lesen, sonst wird man wahnsinnig. Das kannst du eigentlich leise nicht lesen. Aber sobald du es laut liest, ergibt es Sinn. Ich kenne wenige Leute, die es so schreiben können. Fil, der Autor von den Comics aus der Zitty, Didi & Stulle, er bekommt es irgendwie hin, dass man es auch leise so liest, ohne dass es einem komisch aufstößt. Ich wollte jetzt nicht sagen, dass Fil besser ist als Tucholsky, aber ich glaube, ich habe es getan. Es ist nicht wahr. (lacht).

Wir sitzen hier in einem Tonstudio in der Ackerstraße in Berlin. Und wenn man die weiter runtergeht, kommt ungefähr nach 300 Metern die Große Hamburger Straße und in dem Roman »Stella« ist in der Großen Hamburger Straße ein Sammellager für inhaftierte Juden. Gerade habe ich dir beim Lesen zugehört und wir sind jetzt noch relativ weit vorne im Buch, in dem Teil, wo alles leicht erscheint, aber das kippt dann irgendwann. Ich habe mich gefragt, wie nahe dir beim Vorlesen das Buch kommt.

Schon ziemlich nahe. Aufgrund von zwei Aspekten. Erstmal weil ich dieses durch Berlin fallen und irgendwie nicht so richtig wissen, was die Zukunft so bringt aus meinem eigenen Leben kenne und es ja tatsächlich Vergleichsmöglichkeiten zu dem Berlin von – heute ist vielleicht übertrieben – aber von gerade gestern, von vor 10 Jahren oder 15 Jahren gibt und gleichzeitig – was jetzt vielleicht auch ein bisschen aufhört – auch in meiner Jugend in Berlin das, was in der Großen Hamburger Straße beschrieben wird, immer irgendwie mitschwang. Und deswegen – das ist der zweite Aspekt – geht es mir dann schon auch nahe, weil es einem vor Augen führt, wie nahe das an einer Normalität alles dran war. Dieses mörderische Regime von dem immer gesprochen wird und ein bisschen so getan wird, als wenn irgendwelche Marsmännchen gekommen wären, sich nach Deutschland reingeschossen hätten und dann alle kurz mal versklavt hätten und dann ein paar Jahre später war es wieder vorbei. Das ist ja nicht wahr und das weiß man, wenn man in Berlin aufwächst, glaube ich, nochmal anders als in anderen Städten, weil es an jeder Ecken irgendwie die Geschichte gibt, aber man muss sie suchen. Und ich finde eben in diesem Buch kommt man dem aber tatsächlich durch den Fakt so nahe, dass viele Dinge so alltäglich sind, wie sie auch jetzt sein könnten und gleichzeitig aber das passiert, was da passiert, weil es eben in einer Alltäglichkeit passiert ist. Deutschland hat sich als gesamtes Land dazu entschlossen, Menschen in solche Keller zu sperren und danach in Lager zu schicken. Und Deutschland ist trotzdem weiter in Clubs gegangen, in Diskotheken oder war essen oder ist mit dem Ruderboot durch den Tiergarten gefahren. Das sind die zwei Aspekte, warum mich das Buch dann wirklich sehr berührt.

Eine Figur an der – hoffe ich zumindest – diese Ambivalenz zwischen „Ich geh jetzt mal feiern und saufe einen und koks ein bisschen“ und „Ich bin ein begeisterter Antisemit“ deutlich wird, ist die Figur Tristan. Tristan hast du – ich weiß gar nicht, wie ich das in Worte fassen soll – eine Stimme gegeben, die schwankt zwischen vergnügt aber immer auch ein bisschen was Teuflisches hat. Kannst du sagen, wie du vorgehst, um so eine Stimme zu finden?

Es ist viel Intuition, muss ich mal ganz ehrlich sagen, weil alles andere gelogen wäre. Und natürlich auch eine gewisse Form von Vorstellungskraft. Fußend auf der Ausführung, die ich vorher gemacht habe, glaube ich, dass dieser Weg zu dem Teuflischen, wie du es nennst, kein weiter ist. Dass eine Kultur und gerade eine Hochkultur ganz schnell Risse bekommen kann und ganz schnell etwas in eine falsche Richtung kippen kann und gerade die deutsche Hochkultur, auf die man sich so gerne beruft, die hat eben auch einen Grundstein gelegt für das, was dann passiert ist und hat es möglich gemacht, dass solche „Tristane“ entstanden sind. Dementsprechend fiel es mir jetzt nicht schwer eine Stimme dafür zu finden, weil eigentlich ist die nicht viel weiter weg von vielen Leuten, die du abends hier in Berlin in Bars triffst. Es ist nämlich oft nicht der Mob, der in Chemnitz auf der Straße ist. Es sind nicht die, die den Faschismus vorantreiben, oder den Faschismus erfinden oder erfunden haben. Das sind dann schon eher Leute, die Geige spielen können, die sich ausgedacht haben, wie man Faschismus massenkompatibel machen kann.


Ich finde, dass deine Sprechstimme eine andere ist, als deine Vorlesestimme. Sagen wir mal, wenn ich lernen wollen würde, so zu sprechen wie du, wie macht man das? Geht man da zur Schule oder so?

Wie ich vorlese?

Ja

Das hat auch immer was mit dem Text zu tun. Man passt sich da irgendwie an den Text an. Also ich könnte auch in der Stimme Sachen vorlesen. Es gibt auch Texte, die man so vorlesen kann. Es hat schon auch immer was mit der Figur zu tun, die da erzählt, oder aus welcher Position da erzählt wird. Und hier habe ich mich jetzt dazu entschieden. Und es ist auch so geschrieben, dass es der innere Monolog eines zurückhaltenden, schüchternen, jungen Mannes ist und eben keine Distanz zur Figur entsteht. Dementsprechend ist man wie in einem inneren Monolog und das sind natürlich Sachen, die man als Schauspieler lernt und das kann man möglicherweise auch auf einer Schule lernen. Ich habe es nicht auf einer Schule gelernt. Also ich habe deutlich sprechen auf einer Schule gelernt, auf einer Waldorfschule. Ich danke nochmal der Emil-Molt-Schule in Berlin-Zehlendorf für meine Sprachausbildung (lacht), die dann ganz automatisch kommt, wenn man jeden Morgen Gedichte aufsagen muss, darf, soll. Und dadurch lernt man da einfach anders sprechen, glaube ich, als an anderen Schulen. Alles andere kommt dann irgendwann über die Arbeit. Wie gesagt, man kann das an einer Schauspielschule lernen aber ich glaube, gerade wie man Hörbücher spricht oder liest, das macht jeder anders. Und da gibt es ja auch verschiedene Ansätze. Es gibt Leute, die jeder Figur dann eine eigene Stimme geben und dann den riesen Märchenonkel aufmachen, es gibt Leute, die da eher ein bisschen drüber hinweglesen. Ich tendiere eher dazu, wirklich so zu tun, als würde man vorlesen. Aber es kommt auf den Text an. Bei dem Text ist es irgendwie ein Hybrid. Ich finde, dass es relativ filmisch geschrieben ist und da hat man dann die Vorstellung von einem Subtext, der immer auch gerne über Filme gelegt wird. Das war für mich dann so eine Orientierung, warum ich jetzt wahrscheinlich anders spreche, als wenn ich mit meiner Sprechstimme vorlesen würde.

Ich glaube, ich höre dir gleich noch ein bisschen zu. Ich finde es ganz wunderbar und herzlichen Dank, dass du dieses Buch zum Leben erweckst.

Danke, dass du es geschrieben hast.

Robert Stadlober ist einer der gefragtesten jungen deutschsprachigen Schauspieler. Er spielte zum Beispiel in Sonnenallee, Crazy, Krabat und Jud Süß - Film ohne Gewissen. Als Hörbuchsprecher liest er u.a. Die Reifeprüfung von Charles Webb.

Die Geschichte einer Liebe im Jahr 1942: »Stella« von Takis Würger – gelesen von Hörbuchpreisträgerin Valery Tscheplanowa und Schauspielstar Robert Stadlober

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