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Mitch Alborn - Ein Tag mit dir

SPECIAL zu Mitch Albom

"Die wichtigsten Dinge lernen wir von den einfachsten Menschen"

Mitch Albom über "Ein Tag mit dir"

Zwischen dem Erscheinen Ihrer beiden Bücher "Dienstags bei Morrie" und "Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen" liegen sechs Jahre. Ihr Buch "Ein Tag mit dir" folgte bereits nach drei Jahren. Dürfen wir uns darauf freuen, nun häufiger neue Bücher von Ihnen zu lesen?

Mitch Albom: Vermutlich sind einige Leute der Meinung, ein neues Buch alle drei Jahre sei auch schon ziemlich wenig. Um ehrlich zu sein, habe ich deshalb sechs Jahre für "Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen" gebraucht, weil ich überwältigt von dem riesigen Echo war, das "Dienstags bei Morrie" ausgelöst hatte, zumal niemand je damit gerechnet hätte - am allerwenigsten ich selbst. Ich glaube, ich war nahezu gelähmt. Ich wusste wirklich nicht, womit ich nach diesem Erfolg weitermachen sollte. Schließlich beschloss ich, etwas ganz anderes zu schreiben, etwas Fiktives - und obendrein eine Geschichte über den Himmel. Das dauerte eine Weile. Nachdem ich "Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen" abgeschlossen hatte, konnte ich mir besser vorstellen, wie man einen Roman anpackt, und meine Ideen strömten gleich viel freier. Aber dann trieb mich um, welchen Stoff ich für mein nächstes Buch wählen sollte. Deshalb brauchte ich wieder drei Jahre. Ich fing vier verschiedene Bücher an, nur um sie jeweils beiseite zu legen und mit einem neuen zu beginnen. Und was künftige Projekte angeht: Diese Manuskripte liegen in der Schublade und fordern vehement Beachtung. Zwar gehe ich davon aus, dass ich meine Bücher fortan schneller als im Sechs-Jahres-Rhythmus veröffentlichen werde, doch kann ich mir nicht vorstellen, im Akkord zu publizieren, wie einige meiner hochbegabten Kollegen, die ein oder sogar zwei Bücher pro Jahr fertig bringen. Meine Bücher werde ich immer eine Weile im Kopf und im Herzen mit mir herumtragen, bis ich davon überzeugt bin, dass sie wirklich abgeschlossen sind.

Was inspiriert Sie zum Schreiben?

Mitch Albom: Ich achte auf die Momente im Leben, in denen ich von Gefühlen überwältigt wurde, in denen mir Tränen in den Augen standen oder in denen ich nach Luft ringen musste. Und dann denke ich darüber nach, was sich dahinter verbirgt, was mich veranlasste, so zu reagieren. Ich versuche herauszufinden, ob es etwas Allumfassendes ist, etwas, das viele Menschen so empfinden. Falls das zutrifft, weiß ich, dass ich auf eine Inspirationsquelle gestoßen bin, und ich fange an, aus der Quintessenz dieses Augenblicks eine Geschichte zu entwickeln.

Wovon handelt Ihr neues Buch "Ein Tag mit dir", und wie sind Sie darauf gekommen?

Mitch Albom: "Ein Tag mit dir" ist die Geschichte eines gebrochenen Mannes, der versucht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Wie im Taumel kehrt er in seine kleine Heimatstadt zurück mit dem Vorsatz, sich dort umzubringen. Aber als er sein altes Haus betritt, stellt er erschüttert fest, dass seine Mutter, die er seit Jahren für tot hielt, dort lebt, als sei nichts geschehen. Gemeinsam verbringen sie "einen letzten Tag", an dem die Familiengeheimnisse und die Opfer, die die Mutter in Wahrheit für ihn gebracht hat, ans Licht kommen. Und der Mann erhält eine Chance, mit seinem gescheiterten Leben ins Reine zu kommen.

In diesem Buch wollte ich etwas über Mütter und Söhne schreiben, über ihre einzigartige, aber nur selten ausgelotete Beziehung. Ich bin mit einer wunderbaren Mutter gesegnet, einer starken, liebevollen und eigenwilligen Frau. Es ist nicht auszudenken, wie das Leben einmal ohne sie sein wird, doch ich kenne viele Leute, die diesen Verlust erlitten haben. Sie sagen oft: "Ich wünschte, ich könnte noch einen einzigen Tag mit ihr verbringen." Ich habe mich gefragt, wie sich dieser Tag abspielen würde: Würde er anders sein als all die anderen? Würde man sich alles sagen, was einem auf der Seele brennt - oder in die alten Streitereien verfallen? In dem Buch konnte ich mich mit diesen ganzen Fragen auseinander setzen. Außerdem wollte ich über die schrecklichen Auswirkungen einer Scheidung auf Kinder schreiben. Ich konnte darstellen, wie verzweifelt sich Kinder nach einer Liebe verzehren, die sich ihnen entzieht, wenn ihre Eltern sich trennen. Diese Jagd nach Liebe treibt die Kinder häufig bis ins Erwachsenenalter um.

Die Protagonisten von "Fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen" und "Ein Tag mit dir", Eddie und Chick, sind in gewisser Weise Versager. Eddie ist davon überzeugt, dass sein Leben für niemanden auch nur die geringste Bedeutung hat. Bei Chick sieht es eine Zeitlang so aus, als läge eine erfolgreiche Karriere als Baseballprofi vor ihm, doch dann scheitert er kläglich in jeder Beziehung. Warum sind gerade diese unscheinbaren Menschen besonders interessant für Sie?

Mitch Albom: Weil die Welt schon genug über Berühmtheiten und reiche Prominente gehört hat. Ich habe jahrelang mit den größten Sportstars in Amerika zusammengearbeitet und wurde es leid, jeden Tag Menschen zu begegnen, die diese Spitzensportler vergötterten und meinten, sie seien viel bedeutender als sie selbst. Ich bin überzeugt davon, dass weder Reichtum noch Ruhm jemanden über andere erhebt und dass wir die wichtigsten Dinge in Wahrheit durch ganz alltägliche Begebenheiten und von den einfachsten Menschen lernen. Chick und Eddie machen etwas durch, das den meisten von uns widerfährt. Ich war der Meinung, die Leser könnten sich besser mit den Geschichten identifizieren, wenn ich ganz einfache Männer auf einen ungewöhnlichen Weg schickte.

In Ihrem Roman ist mehrmals die Rede davon, dass jede Familiengeschichte eine Geistergeschichte ist. Was meinen Sie damit und welche Familienmitglieder sind es, die uns als Geister erscheinen werden?

Mitch Albom: Es gibt keine einzige Familie auf der Welt, in der die Vorfahren nicht ihre Spuren hinterlassen haben. Wir alle sind durch unsere Vergangenheit geprägt und durch die, die uns aufgezogen haben. Wenn sie sterben, erklingen an unserem Tisch immer noch ihre Worte und wir sehen sie an unserer Seite. Wenn wir merken, dass wir die Sätze unserer Mütter und Väter wiederholen, leben sie durch uns weiter. Mag es dabei auch nicht immer gespenstisch zugehen - vielmehr ist es für gewöhnlich angenehm und sehr schön -, so sind alle Familien, die sie sich an einem Tisch versammeln, von denen umgeben, die einst mit ihnen dort zusammen gesessen haben.

"Ein Tag mit dir" handelt von Reue, Verlust und - so hoffe ich - auch von Erlösung. Sind Ihre Gefühle beim Schreiben ebenso Achterbahn gefahren wie die Ihrer Leser?

Mitch Albom: Der Ursprung meiner ganzen Bücher - und da bildet "Ein Tag mit dir" keine Ausnahme - liegt in Gefühlen und Erfahrungen, die ich selbst erlebt habe. "Dienstags bei Morrie" ist autobiographisch. Zu "Die fünf Menschen, die dir im Himmel begegnen" hat mich mein alter Onkel Eddie inspiriert, und ich habe es auch ihm gewidmet. Die Personen in "Ein Tag mit dir" gehen zum großen Teil auf meine Mutter und mich zurück. Natürlich durchlebe ich beim Schreiben ein ständiges Auf und Ab und wünsche mir, dass es den Lesern genauso ergeht. Sie haben eine kluge Frage gestellt: Meine Bücher handeln in erster Linie von Vergebung, und das trifft auch auf mein jüngstes zu. Vermutlich hoffe ich, dass es sich im Leben wirklich so verhält.

Ein Thema scheint Ihre ganzen Bücher zu verbinden: der Verlust. Wie hat die Erfahrung von Verlust Ihre Lebenshaltung und Ihr Schreiben beeinflusst?

Mitch Albom: Meine Mutter verlor ihren Vater, als sie 15 Jahre alt war. Er starb an einem Herzinfarkt. Ihr Leben hat sich dadurch von Grund auf verändert, und als Erwachsene erzählte sie uns immer wieder davon. Dadurch war mir schon als Kind bewusst, was es bedeuten kann, einen Menschen zu verlieren, den man liebt. Als ich 22 Jahre war, starb mein geliebter Onkel, der Bruder meiner Mutter, an Krebs. Das hat mich zutiefst getroffen, weil ich damals bei ihm lebte. Und natürlich war es eine einschneidende Erfahrung, Morrie zu verlieren. Es ist richtig, dass ich oft mit Sterbenden in Berührung kam. Doch das war viel besser für mich, als es sich anhören mag. Denn jede dieser Erfahrungen lehrte mich, jeden einzelnen Tag in Ehren zu halten, und zeigte mir, wie töricht es ist, so zu tun, als gehöre der Tod nicht zum Leben oder als könne man sich ihm entziehen. Ich habe begriffen, dass Verlust ein allumfassendes Thema ist und jeden angeht: Amerikaner, Afrikaner und Europäer, Reiche und Arme, Schwarze und Weiße, Männer und Frauen. Daher weiß ich: Wenn meine Geschichten gut geschrieben sind, werden sie auf Nachhall stoßen - unabhängig davon, woher die Leser kommen.

Interpretieren Leser aus unterschiedlichen Teilen der Welt Ihre Bücher jeweils anders, oder sind ihre Erkenntnisse allgemeingültig?

Mitch Albom: Es lassen sich wirklich ganz deutlich kulturelle und geographische Unterschiede ausmachen. In Japan beispielsweise waren viele Leser überrascht von "Dienstags bei Morrie", denn angeblich wird dort über Krankheit und Tod nicht geredet. In Brasilien erschien "Dienstags bei Morrie" zunächst unter Belletristik auf der Bestsellerliste - ich nehme an, niemand dort ging davon aus, es könne sich um eine wahre Geschichte handeln. Abgesehen davon scheint es ein paar universelle Themen zu geben, die sich durch alle Leserzuschriften ziehen, egal von woher sie stammen: Die Menschen möchten an die Liebe glauben, sie möchten mit einem geliebten Menschen, der gestorben ist, in Verbindung treten, und sie fühlen tief im Inneren, dass etwas Erhabenes darin liegt, seinem Leben einen Sinn zu verleihen, ganz gleich, wohin das in letzter Konsequenz führen mag.

Ihre Bücher haben den Menschen viele Erkenntnisse mit auf den Weg gegeben. Welche Reaktion der Leser hat sich Ihnen am tiefsten eingeprägt?

Mitch Albom: Es waren einfach zu viele, als dass man eine einzige herausgreifen könnte. Ich erhalte wirklich täglich Briefe und E-Mails, und jede Antwort löst in mir dasselbe ernüchternde Erstaunen aus: Ich hätte nie erwartet, das Leben eines Menschen auch nur im Geringsten beeinflussen zu können, und schon gar nicht so einschneidend, wie ich es mit meinen Büchern vermag. Ich öffne sehr gern die Päckchen von Schulklassen, die mir aus der ganzen Welt schreiben. Die Schüler werden von ihren Lehrern häufig dazu angehalten, einen Brief oder ein kleines Heft darüber zu verfassen, was meine Geschichten ihrer Meinung nach bedeuten. Ich bewahre alle auf. Und ich erinnere mich an einen Herrn, der vor acht Jahren eine Buchhandlung in Chicago besuchte, weil er mich dort treffen wollte. Er kam auf mich zu, fasste mich am Arm und begann zu zittern. Er erzählte, dass seine Frau vor ein paar Tagen gestorben sei und dass sie sich zuletzt gemeinsam aus "Dienstags bei Morrie" laut vorgelesen hätten. Er sagte, er habe mir begegnen wollen, "um sich ihr näher zu fühlen". Dann begannen wir beide zu weinen. Dieser Augenblick war überwältigend.

In Ihren Büchern geht es um die spirituelle Seite des Lebens. Sind Sie außer Morrie Schwartz noch anderen spirituellen "Lehrern" begegnet?

Mitch Albom: Aber gewiss. Viele Menschen haben mich in all den Jahren etwas gelehrt - spirituell und emotional. Ganz sicher haben meine Eltern auf diese Entwicklung eingewirkt, ebenso wie die Geistlichen, denen ich begegnet bin. Nach der Veröffentlichung von "Dienstags bei Morrie" wurde meine Spiritualität auch von Menschen geprägt, die im Sterben lagen und ihre Erlebnisse mit mir geteilt haben. Offen gesagt engagiere ich mich in letzter Zeit für ein Obdachlosenheim. Und einige Männer, die ich dort traf, haben mich, so verletzt wie sie sind, zutiefst berührt und meine Weltanschauung beeinflusst. Unseren Lehrern können wir überall begegnen.

Nach dem überwältigenden Erfolg von "Dienstags bei Morrie" sind Sie für viele Menschen selbst zu einem Vertrauten und einer Art spirituellem Lehrer geworden - besonders für Menschen, die ihnen persönlich begegnet sind. Wie kommen Sie mit dieser Aufgabe zurecht?

Mitch Albom: Zuerst wurde ich davon vollkommen überrollt. Ich fand, es stünde mir gar nicht zu, die Fragen der Menschen zu beantworten. Wenn mir jemand von einem geliebten Menschen erzählte, der im Sterben lag oder für immer verloren war, wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte. Ich meinte, ihre Probleme mit einem einzigen Satz lösen zu müssen. Mit den Jahren begriff ich, dass es gar nicht darauf ankommt, irgendwelche Weisheiten von sich zu geben. Manchmal ist es das Beste, einfach nur zuzuhören. Ich bin dadurch ein viel besserer Zuhörer geworden. Und durch das Zuhören habe ich etwas von der Haltung angenommen, mit der Morrie tagtäglich seinen Studenten begegnet ist. So wird Morrie auf ewig in mir weiterleben.

Worum wird es in Ihrem nächsten Buch gehen?

Mitch Albom: Ich habe begonnen, etwas über den Glauben zu schreiben, aber ich bin mir nicht sicher, ob es schon Thema meines nächsten Buches sein wird.

Angenommen, es wäre an Ihnen, das heutige Leben der Menschen zum Guten zu wenden, und Sie blicken auf das, was Sie beim Schreiben Ihrer Bücher bisher gelernt haben - was würden Sie raten?

Mitch Albom: Morrie sagte etwas zu mir, das für mich auch jetzt noch richtig klingt. Er sagte: "Wenn du eine Kultur nicht magst, übernimm sie nicht. Erschaffe dir deine eigene." Ich bin der Meinung, dass diese Aussage gerade heute, im Zeitalter von Massenmedien, Internet und Globalisierung, die unsere Welt immer stärker auf ein Durchschnittsniveau zurechtstutzen, mehr denn je zutrifft. Wir alle müssen ergründen, was uns bewegt, inspiriert und uns ein gutes Gefühl im Umgang mit uns selbst und anderen vermittelt. Ich finde nicht, dass eine Kultur, die durch Gruppendenken und die Jagd nach Marktanteilen geprägt ist, das leisten kann. Wir müssen alle selbst herausfinden, wie wir unser Leben und unseren Umgang miteinander gestalten möchten.
Die Fragen stellte Elke Kreil
München, Januar 2007