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Mo Hayder - Die Sekte

SPECIAL zu Mo Hayder

Die Insel des Teufels

Buchempfehlung von Bianca Reineke

Sie sieht so harmlos aus, so zerbrechlich und zart. Doch wer genauer hinsieht, erkennt den wissenden Blick und meint, die wilden und ungezähmten Gedanken der hübschen Blondine lesen zu können.
Die aus Essex stammende Mo Hayder trat vor einigen Jahren mit einem wahren Paukenschlag in die Welt der Kriminalliteratur und schuf mit ihrem Erstlingswerk "Der Vogelmann" gleich ein neues Genre. Die Britin, die bereits mit fünfzehn Jahren von zu Hause ausriss, um das Abenteuer zu suchen, und einen Lebenslauf aufweisen kann, der einer bunten Patchworkdecke gleicht, hat mit ihrem Buch eine neue Art britischer Spannungsliteratur geschaffen. Angesiedelt im doch eigentlich so gemütlichen "Cosy Crime"-England, kreierte sie eine brutale und abstoßende Gewaltatmosphäre, die derjenigen von US-Autoren wie Thomas Harris (Das Schweigen der Lämmer) und Patricia Cornwell (Die Tote ohne Namen) durchaus ebenbürtig ist.

Mo Hayder verzichtete in "Der Vogelmann" konsequent auf ruhige Schilderungen beschaulicher Cottages, Teenachmittage oder skurriler britischer Charaktere, stattdessen servierte sie mit ungeheurer Wucht die bildhaftesten Beschreibungen von Mord, Folter und Schmerz. Der Leser wurde so zum unfreiwilligen Voyeur der Kälte und Erbarmungslosigkeit der Täter und verfolgte atemlos und zutiefst erschüttert die Ermittlungen von Inspector Jack Caffery, die ihn auf die schmutzige Seite der schillernden Großstadt London führten. Auch der Nachfolgethriller "Die Behandlung" ersparte dem Leser kein grausames und brutales Detail der schauerlichen Verbrechen. Für Menschen mit schwachem Magen ist diese Lektüre nicht unbedingt geeignet …
Mit "Tokio", einem Thriller, in dem sie ein altes Trauma der Japaner aufarbeitete, schrieb sich Mo Hayder endgültig in die Topriege der Kriminalschriftsteller. Es war ihr erstes Buch ohne den Helden Inspector Jack Caffery, das sie in ihrer ehemaligen Wahlheimat Tokio ansiedelte. Nun erscheint endlich der mit Spannung erwartete neue Roman dieser umwerfenden Autorin.

Ein Blick in die tiefsten Abgründe der Seele
Hayder's Thriller "Die Sekte" erfüllt alle Erwartungen und übertrifft die vorherigen Bücher noch um einiges. Wieder einmal leuchtet Mo Hayder die Tiefen der menschlichen Seele bis auf ihren schwärzesten Grund aus und legt ungeahnte, hasserfüllte Brutalität und Grausamkeit offen. Die Hauptfigur, der Journalist Joe Oakes, muss dabei durch die Hölle gehen und bekommt doch nur eine vage Ahnung vom Leid und Elend der anderen Beteiligten.
Oakes, ein desillusionierter freier Schreiberling Ende Dreißig, dessen Lebens- und Arbeitsziel es ist, moderne Mythen und irregeleitete Sektenideen zu entzaubern, reist gemeinsam mit seiner Frau Lexie an die kalte und windige Küste Schottlands, um für einen Artikel zu recherchieren. Die "Gemeinde für psychogenes Heilen" hat den Journalisten in ihre Mitte eingeladen, weil sie die unheimlichen und mysteriösen Gerüchte, die sich um ihre Existenz gesponnen haben, endlich widerlegen und sich als normale religiöse Gemeinschaft der Welt präsentieren will.
Oakes, der mit Anfang Zwanzig eine ernüchternde Begegnung mit der Sekte und vor allen Dingen mit ihrem charismatischen Sektenführer Malachi Dove hatte, ist wie besessen von dem Gedanken, dem Scharlatan und seinem Gefolge endlich das Handwerk zu legen und den Mythos ihrer Gemeinde zu zerstören.
Die Gelegenheit ist günstig, denn seit einiger Zeit kursiert ein Amateurvideo in Großbritannien, das die einsame schottische Insel zeigt, auf die sich die "Gemeinde für psychogenes Heilen" seit langem zurückgezogen hat. Im Loch-Ness-verrückten Schottland hat dieses Video schnell fragliche Berühmtheit erlangt, meint man doch auf der verschwommenen Aufnahme den leibhaftigen Teufel über die Insel Cuagach Eilean huschen zu sehen. Selbst die seriöse BBC und der skeptische Oakes müssen nach mehrmaligen Sehen des Videos zugeben, dass am Strand der "Pig Island" genannten Insel ein menschenähnliches Wesen herumläuft, das einen langen Schwanz hinter sich herzieht. Dass regelmäßig stinkendes Schweinefleisch und Kadaverteile am Festland angeschwemmt werden, verstärkt die Gerüchte um satanische Opferriten nur noch mehr. Inwiefern es sich hierbei um einen üblen Scherz oder tatsächlich ausgeübten Satanismus handelt, will Oakes mit seinem Besuch bei Malachi Dove und der Gemeinde klären.

Dem Teufel auf der Spur
Während Ehefrau Lexie im gemieteten Cottage auf ihren Mann wartet, lässt sich Oakes auf die Insel bringen und wird mit der Gemeinde konfrontiert. Doch zu seiner Überraschung hat sich Malachi Dove schon lange von seinen Gefolgsleuten losgesagt und lebt abgeschieden und alleine auf der anderen Seite der Insel.
Der enttäuschte Oakes muss sich mit den selig lächelnden und ermüdend freundlichen Sektenmitgliedern zufrieden geben, die ihm eine heile Welt voller Gottesfurcht und Nächstenliebe präsentieren, und deren Harmonie erschreckend falsch und verlogen erscheint. Über ihren ehemaligen Sektenführer Dove wollen sie nicht sprechen und erstarren beinahe, wenn Oakes ihn nur erwähnt. Ihr Wunsch nach Öffentlichkeit und Presse hat nämlich nur ein Ziel: Malachi Oakes für unzurechnungsfähig erklären zu lassen und ihm endlich "Pig Island" abzukaufen. Doch Dove hat sich auf seiner Seite der Insel wie ein Wahnsinniger verbarrikadiert und den Mitgliedern der Sekte sogar gerichtlich verboten, sich ihm zu nähern. Als Oakes auf eine Mauer des Schweigens stößt, und aus den Menschen keine Einzelheiten über Doves Wahnsinn herausbekommt, schleicht er sich auf eigene Faust in die Nähe von Doves Versteck. Dabei entdeckt er Ekel erregende Beweise von dessen Besessenheit.
Mit Hilfe der jungen Sovereign, einer siebzehnjährigen Rebellin unter den gestrengen Gläubigen, erfährt er endlich mehr über Doves Machenschaften und beginnt langsam zu begreifen, woher die Satanismusgerüchte und der widerliche Gestank, der über der Insel weht, kommen…

Die Insel des Todes
Nach einem kurzen Zusammenprall mit Dove verlässt Oakes die Insel für einige Zeit: Bei seiner Rückkehr muss er entsetzt erkennen, dass er den Wahnsinn der Beteiligten völlig unterschätzt hat. Ein unvorstellbares Blutbad ist über "Pig Island" hereingebrochen und nicht nur Oakes wird für sein restliches Leben von den Geschehnissen gezeichnet sein.
Es gelingt ihm zwar, von "Pig Island" zu fliehen, doch der allgegenwärtige Schatten Malachi Doves verfolgt ihn weiter. Denn Oakes nimmt jemanden von der Insel mit, jemanden, der für Dove die Welt bedeutet, der Mensch, für den der Sektenführer die Einsamkeit, den Irrsinn und die grausamen Rituale überhaupt erst auf sich genommen hatte …Von dem Moment an, an dem Oakes Dove das Liebste genommen hat, beginnt ein dramatischer Wettlauf gegen die Zeit und das ultimative Böse. Oakes ohnehin zerrütteter Ehe mit Lexie wird dabei der Todesstoß versetzt. Zugleich nimmt die Polizei, die seit den brutalen Geschehnissen auf der Insel zu seinem ständigen Begleiter geworden ist, Oakes Leben unter die Lupe und kann ihn doch nicht immer schützen.
Als Lexie hinter Oakes Rücken auf eigene Faust zu ermitteln beginnt und sich damit in tödliche Gefahr begibt, als die Presse auf die Geschichte aufmerksam wird und der von Rache erfüllte wahnsinnige Mörder Malachi Dove immer näher zu kommen scheint, überschlagen sich die Ereignisse.
Am Ende kommt es zu einer überraschenden Wendung, die selbst den eingefleischtesten Krimifan regelrecht umhaut, und ihn ungläubig zurücklässt. Man möchte sofort eine erneute Lektüre des Buches in Angriff nehmen, um mit dem Wissen des Schlusses alles noch einmal aus einem völlig anderen Blickwinkel zu lesen. Doch die Geschichte, ihre bedrückende Dramatik und brutale Wucht muss erstmal einmal in Ruhe verarbeitet werden, bevor das Meisterwerk ein zweites Mal zur Hand genommen werden kann.

Der Teufel in Person
Mo Hayder hat mit "Die Sekte" ein furioses Buch geschrieben, das alle Grenzen sprengt und mit den Erwartungen des Lesers auf grausame Weise spielt. Schnell erfolgt die Identifizierung mit dem abgeklärten und realistischen Oakes, der dem dubiosen Treiben Malachi Doves ein Ende machen will, nimmt dieser doch eiskalt und abgebrüht hoffnungsvolle Menschen aus, die sich aus Verzweiflung und in Todesnöten an ihn wenden. Oakes ist einer wie wir, ehrlich, bodenständig und getrieben von der Sehnsucht nach dem Guten und der Liebe. Beides hat er noch nicht gefunden, und dass er vor den Trümmern einer überstürzt geschlossenen Ehe steht, sich dies aber nicht eingestehen will, macht ihn nur noch sympathischer. Seine Frau Lexie, aus deren Erzählperspektive einige Kapitel des Buches geschrieben sind, beobachtet sein Tun mit Skepsis, und überlegt schnell, wie man aus der schlimmen Tragödie, die Oakes Nachforschungen verursachen, Profit schlagen kann.
Die Sektenanhänger hingegen sehen sich als Gutmenschen, die in ihrer selbst gewählten Einsamkeit ihrem Gott nachfolgen, nur Nächstenliebe praktizieren und harmlos sein wollen. Doch ihr ehemaliger Führer, der dem Wahnsinn verfallen sein soll, und von dem sie sich abgewandt haben, bleibt der Gründer ihrer Ideologie und ihrer Gemeinschaft, so dass die obskuren und geheimnisvollen Rituale auf der Insel vielleicht nicht nur von Dove praktiziert werden …
Joe Oakes, der die schlimmsten Dinge mit ansehen, erleben und erleiden muss, wird scheinbar zur Schachfigur im Spiel um Macht und die Insel "Pig Island". Doch in Wahrheit es sind tiefe Liebe, glühender Hass, gestörte Familienbande und ein wahrhaft teuflisches Treiben, die viele Leben für immer zerstören und schließlich eine Kreatur hervorbringen, die auf den ersten Blick unschuldig erscheint, in der aber der Leibhaftige in Person verborgen ist.

Beklemmend düstere Spannung - ein brillanter Roman
Mo Hayder schafft in ihrem Roman eine düstere und wohlig schauerliche Stimmung. Der Schauplatz an der schottischen Küste mit nebelverhangenen Strandabschnitten, kargen Landschaften und brummig verstockten Bewohner ist einfach perfekt gewählt. Die geheimnisumwitterte Insel in der sturmgepeitschten Nordsee strotzt vor wilder Urkraft, sie ist kaum für die Zivilisation geeignet und bietet den wenigen Bewohnern nur eine einfache und bescheidene Heimat. Umso erschreckender ist die Kälte und lebendige Boshaftigkeit, die Oakes dort verspürt. Die hoch technisierte Festung des Sektenführers Dove erscheint wie ein fehlplazierter Fremdkörper und ist doch nur Zeichen der Abgebrühtheit und Vorsicht des ehemals verehrten Meisters. Denn das, was er vor seinen früheren Jüngern verstecken will und verbergen muss, kann nur mit allergrößtem Aufwand verheimlicht werden. Malachis Taten sind mehr als teuflisch, sie sind menschenfeindlich, grauenhaft und widernatürlich. Als Oakes sie schließlich offen legt, entfacht er eine Orgie der Gewalt, deren Strudel nicht nur ihn in den Abgrund ziehen wird.
Die Autorin schildert die beklemmende Atmosphäre des Irrsinns auf der Insel ebenso lebendig und faszinierend, wie die sachliche Nüchternheit und das bodenlose Entsetzen des Beobachters und Eindringlings Oakes. Es ist ein Geniestreich, wie sie aus der Sicht des Ich-Erzählers Oakes Einblicke in das verstörende Seelenleben der Sektenmitglieder und ihres ehemaligen Leiters ermöglicht.
Die Kapitel, in denen Oakes Frau Lexie die Geschehnisse schildert, bieten eine weitere, auf spannende Weise andere Sichtweise auf das Geschehen und erlauben uns einen Blick in Joe Oakes Innerstes, der seine Probleme und Sorgen dem Leser eigentlich vorenthalten möchte.

"Die Sekte" ist ein brillantes Buch - verstörend, beängstigend und dabei so faszinierend, spannend und mitreißend, dass man gar nicht anders kann, als die ganze Nacht hindurch zu lesen, nur um beim Zuklappen schließlich hellwach im Bett zu sitzen und plötzlich an die Existenz des Bösen zu glauben …

Bianca Reineke
Cuxhaven, März 2007

Die Sekte

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