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»Nach ein paar Stunden haben wir uns so an das Gewicht gewöhnt...«

Frau Dittmar, als Buchautorin und Seminarleiterin kennen Sie sich aus mit dem Thema Gefühle und Emotionen. Ihr neuestes Werk heißt „Der emotionale Rucksack“. Was genau ist denn drin in diesem Rucksack?

In unserem emotionalen Rucksack befinden sich vor allem nicht verarbeitete Erfahrungen aus unserer Vergangenheit. An diesen Erfahrungen hängen Gefühle, die wir zum damaligen Zeitpunkt nicht fühlen konnten. Diese Emotionspäckchen tragen wir oft Jahre oder Jahrzehnte mit uns herum. Sie warten auf eine passende Gelegenheit, um endlich gefühlt und dadurch verarbeitet zu werden. Deshalb suchen wir unbewusst immer wieder Situationen oder Personen, die uns helfen, an diese Päckchen heranzukommen. Leider sind wir uns dieses Vorgangs meist nicht bewusst, so dass statt einer Verarbeitung eine erneute Verletzung geschieht.

Was bedeutet dabei das Bild des Rucksacks, dieser an sich praktischen, rückenschonenden und beliebten Art, sein kleineres oder größeres Gepäck zu transportieren, nicht nur beim Wandern?

Ein Rucksack hat den großen Vorteil, dass wir ihn auch mal vergessen können. Nach ein paar Stunden haben wir uns so an das Gewicht gewöhnt, dass es fast ein Teil unseres Körpers zu sein scheint. Genau das passiert auch mit unserem emotionalen Gepäck. Im Alltag hängt es oft ziemlich unauffällig an uns herum. Es hat zwar ein gewisses Eigengewicht, vor allem, wenn wir einen großen emotionalen Rucksack haben, doch weiter stört es nicht. Das ändert sich erst, wenn irgendetwas oder irgendjemand ein Emotionspäckchen in unserem Rucksack aktiviert und wir von jetzt auf gleich in einen emotionalen Ausnahmezustand geraten.

Was können wir tun, um einen Teil des Gepäcks, das wir mit uns herumschleppen, wieder loszuwerden – und den Rucksack leichter zu machen? Gibt es Tricks für die „Entladung“?

Eigentlich ist es ganz einfach: Was damals nicht gefühlt werden konnte, will heute gefühlt werden. Da die verdrängten Emotionen jedoch oft überwältigend waren, schützen wir uns ganz automatisch vor ihnen, bis wir genügend Unterstützung haben, um sie fühlen zu können. Der Schlüsselbegriff ist hier Anteilnahme. Und genau das ist der Knackpunkt: In unserer sehr auf Unabhängigkeit und Selbstständigkeit fixierten Gesellschaft haben viele Menschen verlernt, sich bei anderen Unterstützung für die Verarbeitung emotional schwieriger Erlebnisse zu holen. Dabei ist das etwas völlig Normales und Natürliches.

Sie haben Ihre Kindheit und Jugend auf drei Kontinenten verbracht – Europa, Asien und Nordamerika – und haben auch einen Teil Ihrer Ausbildung in nicht-westlichen Kulturen absolviert. Wird dort mit Gefühlen anders umgegangen – und wenn ja, was können wir daraus lernen?

Ich habe dort vor allem zwei Dinge gelernt, die für die Praxis der Bewussten Entladung, wie ich sie propagiere, zentral sind. Das erste ist, wie wir als Menschen wirklich füreinander da sein können. Dabei spielen unsere innere Anwesenheit, unsere Haltung und der heilsame Raum, den wir einander durch Anteilnahme schenken können, eine übergeordnete Rolle. Das sind menschliche Grundfertigkeiten, die ich in der westlichen Gesellschaft als stark unterentwickelt erlebe. Das zweite ist, dass wir gezielt Räume schaffen können, in denen alles gefühlt werden darf, was im Alltag keinen Platz hat. In vielen traditionellen und indigenen Kulturen erfüllen Rituale diese Funktion. Sie erfüllen die gleiche Funktion psychosozialer Hygiene, die ich bei Bewusster Entladung beobachte.

Seit vielen Jahren engagieren Sie sich für eine ganzheitliche Entwicklung von Mensch, Gesellschaft, Wirtschaft und Bewusstsein. Inwiefern trägt die Arbeit mit Gefühlen zu diesem Engagement bei?

Ich war zunächst selbst überrascht, wie eng das miteinander verknüpft ist. Viele Menschen wissen, dass unsere Lebensweise nicht zukunftsfähig ist, doch sie kommen mit den dazugehörigen Gefühlen überhaupt nicht klar. Man könnte sagen, wir haben als Gesellschaft einen großen kollektiven Rucksack, was diese Themen betrifft. Ich sehe hier auch eine der Ursachen für die große Anzahl an depressiven Erkrankungen. In den Bildungsangeboten der Be the Change Initiative laden wir Menschen daher ein, sich gemeinsam diesen schwierigen Gefühlen zuzuwenden, um sie dann als Kraftpotenzial und Motor für Veränderung für sich zu erschließen.




Die Fragen stellte Susanne Fink