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Patrick Ness und Siobhan Dowd »Sieben Minuten nach Mitternacht«

Patrick Ness und Siobhan Dowd »Sieben Minuten nach Mitternacht«

"Eine wirklich gute und kraftvolle Geschichte, die nur darauf wartete, erzählt zu werden"

Patrick Ness im Interview

Patrick Ness
© Bildschön/Mark Bassett
Ihre Art des Erzählens, Ihre Stimme, ist so authentisch und mühelos, dass es beim Lesen fast scheint, als wären die Worte beim Schreiben einfach aus Ihnen herausgeflossen. Als hätte es keiner Vorarbeit, keiner Konstruktion bedurft. Wie müssen wir uns Ihre schriftstellerische Arbeit an diesem Buch wirklich vorstellen?
Das Nachdenken über die Geschichte gehört zum Schreiben dazu – die Überlegung, welche Ideen sich aus anderen Ideen entwickeln und wohin diese führen können. Außerdem fange ich nie an zu schreiben, bevor ich nicht den letzten Satz kenne. Das muss nicht unbedingt die Klimax sein, aber die Empfindung, die Situation oder das Gefühl, mit dem ich den Leser zurücklassen möchte. Bis dahin habe ich hinsichtlich des Aufbaus der Geschichte schon ein paar Dinge lose im Kopf arrangiert, sodass ich beim Schreiben nicht ganz orientierungslos bin, allerdings lose genug, damit ich unterwegs noch Entdeckungen machen kann. Im Fall von Sieben Minuten nach Mitternacht sind diese Dinge sehr, sehr schnell aus Siobhan Dowds ersten Ideen erwachsen. Daher wusste ich auch, dass es eine wirklich gute und kraftvolle Geschichte war, die nur darauf wartete, erzählt zu werden.

Jeder, der den Roman gelesen hat, war unglaublich tief berührt. Nicht wenige haben dabei Tränen vergossen. Wie ist es Ihnen beim Schreiben ergangen? Das muss für Sie doch eine ständige emotionale Achterbahnfahrt gewesen sein?
Ja, aber wenn Sie selbst beim Schreiben nicht berührt sind, dann wird es auch Ihr Leser nicht sein, davon bin ich fest überzeugt. Genauso ist es mit Komik (wenn Sie nicht lachen, lacht auch kein Leser) oder Action (was Sie langweilt, wird auch den Leser nicht packen.) Ich wusste, dass ich meine Leser nicht würde berühren können, ohne mir die traurigen und bewegenden Elemente der Geschichte so genau wie möglich anzusehen. Das kann schwierig sein, aber es ist unabdingbar. Andernfalls wäre die Geschichte nicht wahrhaftig. An den traurigsten Stellen weine ich immer noch, aber ich lächle auch über die witzigen Passagen! Auf diese Weise beweise ich mir selbst, dass das, was ich geschrieben habe, funktioniert. Wenn ich nicht bewegt bin, habe ich etwas falsch gemacht und muss es noch einmal versuchen.

Sie geben die Gefühle der dreizehnjährigen Hauptfigur Conor – die Trauer, die Angst, die Wut – angesichts des Verlusts seiner Mutter mit großer Glaubwürdigkeit wieder. Dürfen wir fragen, ob Sie eine ähnliche Erfahrung gemacht haben?
Ich glaube, dass diese Gefühle – nicht nur der Umgang mit Verlust, sondern die Angst vor drohendem Verlust – universal sind. Wir kennen sie alle, denke ich. Es sind die Dinge, die uns nachts den Schlaf rauben, und immer haben sie mit den Menschen zu tun, die wir am meisten lieben. Aber noch einmal – ich muss sie mir so genau wie möglich ansehen und aufschreiben, was ich sehe. Die Versuchung, wegzuschauen oder es sich leichter zu machen, ist stark, aber dann hätte ich das Gefühl gehabt, Conor und Siobhan einen Bärendienst zu erweisen. Denn wenn es gelingt, all die schlimmen Gefühle, die Conor hat – den Kummer, die Wut, die Angst –, ehrlich zu beschreiben, dann wird auch die Liebe, die er empfindet, werden all die guten Gefühle glaubhafter.

Die Idee zu „Sieben Minuten nach Mitternacht“ stammt von der Schriftstellerin Siobhan Dowd, die 2007 an Brustkrebs starb. Sie sind ihr nie begegnet. Was, glauben Sie, war der Grund, warum man Sie gebeten hat, ihr letztes Buch zu vollenden, und was gab für Sie den entscheidenden Ausschlag, die Arbeit von Siobhan Dowd weiterzuführen?
Meine englische Verlegerin, Denise Johnston-Burt, kam mit Siobhans Ideen zu mir und bat mich zu überlegen, ob ich ein Buch daraus machen wolle. Obgleich die Bücher, die wir bis dahin geschrieben hatten, oberflächlich betrachtet sehr verschieden scheinen, glaube ich, dass es Siobhan wie mir um die emotionale Wahrheit einer Geschichte geht, wo immer sie auch spielt. Wir sind beide darauf aus herauszufinden, was unsere Figuren fühlen, und das ist es, denke ich, was mich an jeder Geschichte am allermeisten reizt. Und ich glaube und hoffe, dass ich die mir angetragene Aufgabe aus dem besten aller Gründe angenommen habe: weil Siobhans Ideen spontane Begeisterung und Freude in mir auslösten und einen Sturm weiterer Ideen entfachten. Ich spürte ganz deutlich, dass dies eine Geschichte war, die nur darauf wartete, erzählt zu werden – und das ist für jeden Schriftsteller ein Geschenk.

Dürfen wir Ihnen ein bisschen in die Karten schauen? Wie viel von der Geschichte stammt von Siobhan Dowd und was steckt von Ihnen darin?
Siobhan hatte schon die Hauptpersonen, das Vorwort und ein paar erste Prosaskizzen. Außerdem hatte sie sich eine Menge Notizen darüber gemacht, wohin sich der Roman ihrer Meinung nach entwickelte. Zum Beispiel war sie sicher, dass das Monster drei Geschichten erzählen würde, und in einer E-Mail schreibt sie, sie habe wunderbare Ideen, was für Geschichten das sein würden. Sie hat sie nur nicht aufgeschrieben! Mein Beitrag bestand darin, diese schon vorhandenen Elemente zu nehmen, sie wachsen zu lassen – genauso wie Siobhan es getan hätte – und einen vollständigen Roman daraus zu machen. Dabei habe ich nie darüber zu spekulieren versucht, was sie wohl geschrieben hätte (denn dann hätte sich die Geschichte nicht organisch entwickeln können), sondern ich habe einfach versucht, eine Geschichte zu schreiben, die ihr genauso gut hätte gefallen können, wie sie mir gefiel. Es war, als würde ich ein wunderbares Zwiegespräch mit ihr führen.

Jim Kay hat das Buch auf hohem künstlerischem Niveau mit kongenialen Illustrationen versehen. Haben Sie bei der Auswahl des Illustrators mitgewirkt, und von wem stammt die Idee, den Auftrag an Jim Kay zu vergeben?
Jim war von Anfang an ein sehr starker Mitstreiter; ich hatte einige seiner Zeichnungen gesehen, und sie entsprachen genau dem, was ich vor Augen hatte. Dann zeichnete er das erste Monster, und es war offensichtlich perfekt. Was er da gemacht hat, ist einfach fantastisch. Es ist in großes Privileg, ihn mit im Boot zu haben. Die Illustrationen sind brillant.

Fand während der Arbeit an den Illustrationen ein Dialog zwischen Ihnen und Jim Kay statt?
Wir haben uns über einen Art Director unseres Originalverlags Walker Books miteinander verständigt, Ben Norland, dessen Aufgabe es war, meine Gedanken und Jims Gedanken zu einem Werk zu verbinden, das aus einem Guss ist. Es war eine großartige, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit sehr viel Austausch und Diskussion, und alles sehr, sehr positiv für unser Werk insgesamt.

Immer wieder ist in Ihrem Buch die Rede davon, dass Geschichten besondere Kräfte bergen. Können Sie uns etwas mehr über diese Kräfte erzählen, die auch die Hauptfigur Conor erfährt?
Nun, mithilfe von Wörtern und Geschichten machen wir uns ja einen Reim auf die Welt. Wir benutzen Sprache, um uns selbst, unser Leben und unsere Beziehungen zu definieren, und deshalb haben Geschichten in unserem Leben eine ungeheure Macht. Und ich glaube, das ist wichtig zu wissen, denn wenn man es mit einer Geschichte zu tun hat, die einen nicht weiterbringt, kann das sehr schmerzhaft sein. Die Geschichten, die das Monster Conor erzählt, handeln alle davon, dass die einfachste, ja unausweichlich scheinende Variante nicht immer die wahrhaftigste ist. Dass Geschichten einen verwirrenden und unerwarteten Verlauf nehmen können. Das soll Conor helfen, sich von der einen Geschichte zu befreien, die ihm solche Schmerzen bereitet – der Geschichte, die er selbst erzählt.

Sie schreiben im Vorwort zum Buch, dass Geschichten nicht bei denen aufhören die sie schreiben, und fordern Ihre Leser zum Unruhestiften auf. Das scheint Ihnen sehr am Herzen zu liegen. Können Sie genauer erklären, was Sie damit meinen?
Ich meine damit nur, dass jeder Leser sehr viel Eigenes mitbringt, wenn er ein Buch in die Hand nimmt. Er ist ja selbst kein unbeschriebenes Blatt. Und eine Geschichte ist das Zusammenspiel zwischen ihr und der Persönlichkeit des Lesers. Mehr habe ich damit gar nicht gemeint. Was das Buch für mich bedeutet, weiß ich ja, aber wenn man so will, bin ich nur ein Leser. Ich bin sehr, sehr froh, wenn andere beim Lesen der Geschichte etwas ganz anderes erleben als ich. Das macht ja den Reichtum des Lesens aus.
Interview: Elke Kreil
Übersetzung: Bettina Abarbanell

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