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Jeaniene Frost: Romantasy mit Biss_l

SPECIAL zu Jeaniene Frost

Gestrichene Szene aus BLUTROTE KÜSSE

Cat & Bones

Bones saß neben mir. Er trug Anzug und Krawatte. Zu seinen Füßen, die in glänzend polierten Schuhen Marke Beamter steckten, stand eine Aktentasche. In diesem Büroaufzug, der noch durch eine randlose Brille ergänzt wurde, wirkte er wie der Innbegriff von Biederkeit. Was für eine gelungene Verkleidung.
   »Sie sehen also, Mrs. Phillips, warum wir dieser Sache so viel Bedeutung beimessen, dass wir Sie an ihrem Arbeitsplatz stören müssen«, sagte Bones gerade. »Beim Finanzamt nehmen wir Steuerhinterziehung nicht auf die leichte Schulter.«
   »Das ist doch selbstverständlich«, antwortete die brünette Dame uns gegenüber voller Verständnis. Ihre Finger spielten nervös an der falschen Perlenkette um ihren Hals. Madeline Phillips war Immobilienmaklerin in Hocking County. Ihr Büro war aufgeräumt, auf mehreren Fotos lächelte sie uns mit ihrer Tochter Amanda Phillips entgegen.
   »Wenn ich Sie also recht verstehe«, Bones warf einen Blick auf die Papiere in seinen Händen, die so gar nichts mit Steuerrichtlinien zu tun hatten, »haben Sie letztes Jahr angegeben, ihre Tochter Amanda lebe noch zu Hause, sei von Ihren Einkünften abhängig, und gehe aufs Hocking Community College. Ist das auch in diesem Jahr noch so?«
   Sie nickte entschlossen. »Ja.«
   Bones beugte sich vor. »Mrs Phillips. Sie haben im Juli bei der Polizei angerufen und gemeldet, ihre Tochter wäre nicht nach Hause gekommen. Dann haben sie die Vermisstenanzeige zurückgezogen. Bedeutet das also, dass Amanda bis heute bei ihnen lebt?«
   Ihre Finger trommelten nervös auf die Schreibtischplatte. »Ja. Ich gebe zu, dass ich mir in dieser Nacht große Sorgen um sie gemacht habe, aber sie hat sich entschuldigt und sich seither nichts mehr zu schulden kommen lassen. Sie sind noch zu jung, um selbst ein zwanzigjähriges Kind zu haben, aber ich kann ihnen sagen, dass die ganz schön anstrengend sind. Das Mädchen ist ständig auf Achse.«
   Madeline Phillips täuschte sich gewaltig. Bones hätte sogar schon Ur-ur-ur-Großvater sein können. Wenn Vampire in der Lage gewesen wären, sich fortzupflanzen, und wenn Amanda das Gleiche zugestoßen war wie den anderen Mädchen aus den zurückgezogenen Vermisstenanzeigen, denen wir nachgegangen waren, dann war sie nicht auf Achse. Dann war sie tot.
   Ich stand auf und zog den Vorhang zu. Unsere Scharade war jetzt vorbei. Schließlich hatten wir uns nur als Finanzbeamte ausgegeben, um Mrs Phillips privat sprechen zu können. Jetzt würden wir zu Stufe Grün übergehen und herausfinden, was Amanda wirklich zugestoßen war.
   Als ich mich umdrehte, um vorsichtshalber auch noch die Tür abzuschließen, hatte Bones schon seinen Strahleblick aufgesetzt. Er beugte sich über Madelines Schreibtisch und nahm seine Brille ab. Die war ohnehin überflüssig.
   »Sehen Sie mir tief in die Augen! Gut so … Und jetzt erzählen Sie mir, wann Sie Amanda wirklich zum letzten Mal gesehen haben.«
   Ihre kristallblauen Augen waren starr auf seine gerichtet. »Ich … ich weiß es nicht … Ich weiß es nicht!«
   »Kätzchen, willst du dich vielleicht lieber umdrehen?«
   »Warum?« Gott, er wollte sie doch jetzt nicht zusammenschlagen, oder?
   »Sie ist gebissen worden, ich kann es fühlen«, antwortete Bones. »Ich muss von ihr trinken, um an ihre Erinnerungen ranzukommen. Sonst kann sie mir nicht ehrlich antworten.«
   Oh, nein. Ich war durchaus nicht scharf drauf, ihm beim Blutsaugen zuzusehen, da hatte er Recht. Aber wenn ich mich umgedreht hätte, wäre ich mir wie ein totaler Feigling vorgekommen.
   »Mach ruhig. Tu, was du nicht lassen kannst.«
   Bones sah mir kurz in die Augen und ging dann um den Schreibtisch herum zu Madeline. Sie hatte das Haar bereits zu einem Dutt hochgesteckt, also war das schon mal aus dem Weg. Er öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse, zog den Kragen ein wenig weiter auf und beugte sich über ihren Hals.
   Ich konnte nur seinen Hinterkopf und ihr Gesicht sehen. Hörte ihr leises Einatmen, sah, wie sie dazu den Mund öffnete, und wie ihr die Lider schwer wurden. Als sie ganz geschlossen waren, ließ Bones von ihr ab, knöpfte ihr die Bluse wieder zu und kniete sich vor sie hin.
   »Keine Bissmale«, sagte ich, als ich mich mit einem mulmigen Gefühl daran erinnerte, wie ich das letzte Mal unfreiwillig Zeugin von Bones' Essgewohnheiten geworden war. »Ich habe nicht gesehen, wie du … äh … die Löcher geschlossen hast.«
   »Du weißt doch, wie ich das mache.«
   Meine Finger verkrampften sich, was lächerlich war. Ja, ich wusste es durchaus, aber jetzt, da er es mir auf den Kopf zugesagt hatte, machte mich das nicht glücklicher. Bones hatte sich die Zunge an einem Reißzahn aufgeritzt und damit die Bissmale an Madeleines Hals benetzt. So waren diese sofort verheilt. Seit wir miteinander ins Bett gingen, leckte ich Bones das Blut nicht mehr von den Fingern, sondern von der Zunge, wenn wir uns küssten. Es hätte mich also nicht überraschen sollen, dass der Trick alles andere als neu war.
   »Das ist nicht das Gleiche, Kätzchen«, sagte er und musterte mein Gesicht.
   »Wir haben im Augenblick dringendere Probleme. Frag sie endlich nach ihrer Tochter, um Himmels willen.«
   Mein Tonfall war schärfer als beabsichtigt, denn eigentlich war ich gar nicht sauer auf ihn. Ich hatte nur die Schnauze voll. So viele Mädchen waren verschwunden oder tot, und wir hatten noch immer keine Ahnung, wie viele Leute in der Sache mit drinsteckten. Bevor wir hierher gekommen waren, hatten wir die Namen der anderen Mädchen aus den Vermisstenanzeigen angesehen, die inzwischen seltsamerweise unvollständig waren. Abgesehen von Violet Perkins, die von ihrem sterblichen Geliebten im Meskalinrausch erwürgt worden war, war offiziell keines der Mädchen mehr als vermisst aufgeführt. Vermutlich waren sie tot, und niemand, nicht mal ihre eigenen Angehörigen, wussten etwas davon.
   Bones starrte mich noch einen Augenblick lang an und wandte sich dann wieder Madeline zu. »Und nun sagen Sie mir, und diesmal ganz ehrlich, wann Sie Amanda zum letzten Mal gesehen haben. Sie müssen keine Angst haben. Niemand tut Ihnen etwas.«
   Sie begann zu zittern. Tränen rannen ihr über das vom Kummer verzerrte Gesicht. »Ich weiß nicht, wo mein kleines Mädchen ist! Am Abend ihres Geburtstages im Juli ist sie ausgegangen, das ist jetzt schon Monate her, und sie ist nicht mehr nach Hause gekommen. Sie ist einfach nicht nach Hause gekommen!«
   Ihr Stimme war immer lauter und schriller geworden. Bones legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen.
   »Ganz ruhig. Ich werde Ihnen helfen, also haben Sie keine Angst. Wer hat Ihnen eingeredet, Amanda würde noch bei Ihnen wohnen? Wann war das?«
   In ruhigerem Tonfall erzählte sie, wie am Tag nach dem Verschwinden ihrer Tochter ein Unbekannter bei ihr aufgetaucht war. An das Aussehen des Betreffenden konnte sie sich nicht erinnern. Sein Hypnoseblick hatte sie zu schnell getroffen, aber sie wusste, dass es ein Mann gewesen war, auch wenn uns das nicht viel nützte. Er hatte ihr eingeredet, Amanda ginge es gut, sie hätte sie gerade gesehen, könnte weitermachen wie bisher und bräuchte nicht länger mit der Polizei in Kontakt zu bleiben. Praktischerweise war ihr Exmann ein Loser, der sich seit Jahren weder bei seiner ehemaligen Frau noch bei seiner Tochter gemeldet hatte. Madelines Eltern waren verstorben, und weitere Kinder hatte sie nicht. Falls Freunde von Amanda anriefen, sollte sie sagen, ihre Tochter wäre fortgezogen.
   Und so bezahlte Madeline eine Ausbildung, die ihre Tochter nicht mehr brauchte und eine Versicherung für einen Wagen, der nicht mehr da war, und war sich überhaupt nicht bewusst, dass sie ihre Tochter nie wiedergesehen hatte.
   »Also schön, Madeline«, sagte Bones, als sie zu Ende erzählt hatte. »Ich möchte, dass sie auf die Uhr sehen. Es ist drei Minuten vor fünf. Wenn es fünf Uhr ist, werden Sie sich an nichts von dem erinnern, was Sie gerade gesagt haben. Auch nicht an die Fragen, die ich Ihnen gestellt habe. Wir sind einfach zwei Finanzbeamte, die sich nach Ihren Einkünften erkundigt haben. Wir haben über nichts anderes gesprochen, und was Ihre Tochter angeht, hat sich nichts geändert.«
   »Was?«, keuchte ich.
   »Wenn sie rausgeht und irgendwas rumerzählt, was glaubst du, was dann passiert?«, fragte Bones, ohne den Blick von der Frau abzuwenden. »Die wissen, wer sie ist. Sie hätte Glück, wenn sie sie einfach nur umbringen würden, aber wie's aussieht, würden sie weit Schlimmeres mit ihr anstellen. Willst du ihr das antun? Ich finde, sie hat schon genug gelitten.«
   »Aber … aber das ist …« Es gab einfach nicht genug Worte, um zu beschreiben, wie falsch es mir vorkam, Madeline in ihrer künstlichen Unwissenheit zu belassen.
   »Es geht erst, wenn sie tot sind, Kätzchen. Sonst ist sie in Gefahr.«
   Daran gab es nichts auszusetzen. Bones hatte Recht. Es war zwar falsch, aber in diesem Fall war es das Beste, was wir für sie tun konnten.
   Die Sekunden vergingen. Bones entfernte sich, und als die Uhr fünf schlug, saß er wieder auf seinem Stuhl. Madeline blinzelte – und in ihrem Gesicht war wieder die verhaltene Höflichkeit von zuvor zu sehen, keine Spur von Verzweiflung mehr.
   »Danke, dass Sie sich Zeit für uns genommen habe, Mrs Phillips«, sagte Bones und erhob sich. »Wir gehen dann mal.«
   Sie stand ebenfalls auf, ohne zu merken, dass die Tränen auf ihrem Gesicht noch nicht getrocknet waren. »Ich werde meinen Buchhalter bitten, sich die Zahlen nächstes Mal genauer anzusehen.«
   Bones nickte. »Dann müssen wir bestimmt auch nicht mehr wiederkommen.«
   Ich verließ das Büro wortlos. Was hätte ich auch sagen sollen? Schönen Tag noch?
   Als wir gingen, legte mir Bones die Hand auf die Schulter. Es war eine leichte Berührung, fast nicht zu spüren, aber sie hielt meine Beine davon ab einzuknicken, während wir gingen. Ich wollte heulen. Ich wollte jemanden umbringen. Ich wollte nicht wissen, dass so etwas überhaupt passieren konnte.
   »Sie haben sie zwei Monate weiterleben lassen«, sagte ich, als wir in unseren Mietwagen stiegen.
   Bones ließ den Motor nicht an. Sein Blick war unverwandt auf mich gerichtet.
   »Du hast bereits viel für diese Mädchen getan, Kätzchen. Mehr als man erwarten kann. Es ist keine Schande, wenn du den Rest mir überlässt. Du lässt sie nicht im Stich.«
   Einen selbstsüchtigen, schwachen Augenblick lang dachte ich darüber nach, mich von der ganzen Sache zu verabschieden. Dann schüttelte ich den Kopf. »Ich stehe das durch bis zum Schluss. Egal, wie lange es dauert.«

Quelle: www.jeanienefrost.com