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SPECIAL zu Donald Ray Pollock

Knockemstiff revisited

Zwei gewaltig düstere Bücher reichten aus, um Donald Ray Pollock vom vollkommen unbekannten Arbeiter aus dem Hinterland Ohios zum international gefeierten Autor zu machen. Auf Deutsch erschien zuerst sein Roman Das Handwerk des Teufels, der mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet wurde. Nun folgt auch sein Debüt, benannt nach Pollocks Heimatort: Knockemstiff. Zugegeben, der Name klingt nach Fiktion. Doch es gibt den Ort wirklich. Der Journalist Johannes Boie hat sich dort umgesehen.

Über dem Süden Ohios scheint die Sonne, eine freundliche, helle Frühlingssonne. Sanft gleitet der Wagen über die Route 50. Die Straße nimmt in Maryland ihren Anfang, sie wird erst in Kalifornien enden. Einsam ist es hier draußen, die nächste Stadt ist viele Kilometer entfernt. Am Straßenrand gibt es kaum Siedlungen, die Route 50 ist einer der am spärlichsten besiedelten Highways Amerikas.
Eine unscheinbare Abzweigung nach links führt den Fahrer, der unterwegs in den Westen ist, an gelben Feldern vorbei, über einen Fluss, den Paint Creek.

Den Paint Creek? Wollte da nicht Sheriff Lee Bodecker seinen Vater hineinwerfen? Unvermittelt hat die Fahrt in den Horror Ohios geführt, wie Donald Ray Pollock ihn beschreibt, immer und immer wieder, am eindrücklichsten in seinem Buch Das Handwerk des Teufels. Die Straße führt noch mal ein paar Kilometer weiter, ehe die Sonne verschwindet. Plötzlich werfen große, alte Bäume Schatten über den Wagen, es wird dunkler und kühler. Kleine Häuser mit penibel gemähtem Rasen werden von windschiefen Katen abgelöst. Lack platzt vom Holz der Häuschen. Am Straßenrand liegen jetzt leere Bierdosen, in den Gärten wuchert Gestrüpp.
Ein Ortsschild gibt es nicht. Willkommen in Knockemstiff.
Hier stirbt 1958 die dreißigjährige Charlotte, und immer, wenn es ihr ein bisschen schlechter geht, schlägt ihr wahnsinniger Ehemann Willard, ein Weltkriegsveteran, ihren Sohn Arvin Eugene Russell ein bisschen fester, er habe nicht fest genug gebetet für die Gesundheit der Mutter.
Und denselben Weg, den man in dieses Kaff genommen hat, nehmen die Serienkiller Carl und Sandy Henderson, Letztere die Schwester des gewalttätigen Sheriffs Lee Bodecker, bei ihren Fahrten nach Knockemstiff. Was will man erwarten, von einem Ort, der, salopp übersetzt »Schlag sie bis zur Leichenstarre« heißt?
Donald Ray Pollocks deprimierende Gestalten leben in einer einfachen, bösen Welt. Ein einziges, endloses Blutvergießen, viele Schläge, wenig Mitgefühl, viele Tote, wenig Raum für Trauer. Harte Herzen. Einsame Menschen. Wenig Bildung, viel Hass. Religion, die längst zum Wahn mutiert ist. Menschen, die anderswo Freunde wären, sind hier Feinde. So hat der Autor sich das ausgedacht, der selber lange in Knockemstiff lebte und in einer Schlachtfabrik arbeitete, ehe er mit dem Schreiben begann.
Ausgedacht? Wirklich?
Der Wagen rollt jetzt eine Einbahnstraße hoch, die sich an einer kleinen Kirche vorbeiwindet. Hier bedeckt kein Asphalt mehr die Fahrbahn, Kies und Dreck knirschen unter den Reifen. Am Ende der Einbahnstraße stehen Häuser um eine Wendeplatte, wilde Köter streunen durch Müllhaufen, scharfe Hunde zerren an Ketten. Es sieht hier exakt so aus, wie Pollock die Szenerie beschreibt: »Willard hielt nicht am Laden, sondern bog scharf rechts ab in die Schotterstraße namens Shady Glen. Er gab Gas und fuhr schlitternd auf den kahlen, schlammigen Platz rings um den Bull Pen. Der Platz war mit Kronkorken, Kippen und Bierkartons übersät. Snooks Snyder, ein ehemaliger Eisenbahner mit warzigem Hautkrebs, lebte dort mit seiner Schwester Agatha, einer alten Jungfer, die den ganzen Tag schwarz gekleidet an einem Fenster im ersten Stock hockte und einen auf trauernde Witwe machte.«
Man würde sich nicht wundern, wenn Agatha nun tatsächlich aus einem Fenster gucken würde, aber stattdessen weist nur ein Mann seine Frau auf den viel zu funkelnden Mietwagen mit dem fremden Kennzeichen hin, es sieht nicht so aus, als freue er sich über den Besuch.
Eine junge Frau läuft den Weg von der Wendeplatte herab. »Sagen Sie, das hier ist Knockemstiff, oder?« – »Ja, und?«, antwortet sie gedehnt. »Pollock«, hört man sich sagen, »der Autor ...« Zugegeben, es ist auch alles andere als charmant, ein Besucher zu sein, der nur das Schlechteste über den Ort gelesen hat. Ein Besuch, um zu gucken, ob das Leben hier wirklich so schrecklich ist, ist kein charmanter Anlass.
»Seine Verwandten wohnen dort unten«, sagt die Frau. Sie denkt ziemlich angestrengt nach. Sie habe, sagt sie dann, ein paar Seiten gelesen von dem, was Pollock über ihre Heimat schreibt. Es sei »gar nicht alles wahr«, sagt sie über das fiktive Werk. Und bemerkt nicht, wie sehr sie Pollocks Knockemstiff-Geschichten mit ihren Worten bestätigt.
Der Ort ist zu einem Kaff geschrumpft im Vergleich zur Mitte des 20. Jahrhunderts, in dem Pollocks Geschichten oft ihren Anfang nehmen, der Trend setzt sich wohl fort, die Jungen ziehen weg. Es bleiben die Geschichten, weltweit gelesen. Der Mann hat nun seine Nachbarn gerufen, niemand ist erfreut über den Besuch. Niemand spricht, die Blicke sagen genug. Der Held des Romans, Arvin, hat es schon richtig gemacht, denkt man, am Ende des Buchs, wo es heißt: »Arvin ging nordwärts in Richtung Paint Creek. Wenn er sich beeilte, konnte er in einer Stunde an der Route 50 sein. Mit etwas Glück würde ihn jemand mitnehmen.« Heute geht das schneller. Ein sanfter Druck nur aufs Gaspedal und der Wagen entflieht dem Schatten Knockemstiffs, ein paar Minuten Fahrt nur, und der Highway ist in Sicht. Falls da ein junger Tramper steht, kann er gerne mitfahren.

Johannes Boie

Knockemstiff

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