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Stephen Baxter, Die letzte Flut, Banner big, Heyne

SPECIAL zu Stephen Baxters Science-Thriller »Die letzte Flut«

"... und kam ein Regen auf Erden vierzig Tage und vierzig Nächte"

Rezension von Dr. Hendrik Müller-Reineke

Bereits vor über 20 Jahren warnte der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros Ghali, dass in Zukunft die Menschheit Kriege um die knapper werdende Ressource Wasser führen würde. Denn auch wenn die Erde zu 75% von Salzwasser bedeckt ist, so ist der Vorrat an Trinkwasser nicht gleichmäßg auf die Kontinente verteilt. Angesichts der rasant wachsenden Weltbevölkerung und der steigenden Nachfrage wird Wasser unweigerlich zu einem immer knapperen Gut.
Wie aber sähe die Zukunft der Erde aus, wenn genau die gegenteilige Entwicklung einsetzte? Wenn die Menschheit keinem Mangel, sondern einem Übermaß an Wasser ausgesetzt wäre? Dieser spannenden Frage geht der britische Science-Fiction-Autor Stephen Baxter in seinem neuesten Thriller „Die letzte Flut“ nach und entwirft damit ein äußerst realistisches und zugleich beklemmendes Zukunftsszenario.

Alles beginnt mit einer Geiselhaft
Die Handlung des Buches beginnt im Jahr 2016 in Barcelona: Eine Gruppe von britischen und amerikanischen Geiseln befindet sich seit mehreren Jahren in der Gewalt ultrakonservativer christlicher Terroristen. Das für uns gewohnte politische System des Landes ist bereits seit Jahren völlig zusammengebrochen, und im Spanien der Zukunft liefern sich ethnische und religiöse Splittergruppen erbitterte Kämpfe. Ausländische Geiseln dienen den unterschiedlichen Fraktionen als beliebtes Faustpfand und werden wie eine beliebige Ware hin- und hergeschoben.
Aus ihrem scheinbar aussichtslosen Martyrium werden die Geiseln schließlich durch die erfolgreiche Intervention von Nathan Lammockson gerettet. Lammockson, Nachkomme ugandischer Einwanderer, ist Gründer und Chef der privaten Security-Firma AxysCorp und bereits mit 45 Jahren einer der reichsten Männer Großbritanniens. Der großzügige Mäzen hat auch nach der Befreiungsaktion ein großes Interesse an den ehemaligen Geiseln, und diese geloben, miteinander im Kontakt zu bleiben. Das gemeinsame Schicksal in Spanien hat sie zusammengeschweißt und Bande geschaffen, die sich später oft als stärker erweisen werden als familiäre Verpflichtungen. Und so stellt Stephen Baxter die Schicksalslinien Lammocksons und der Geiseln, die sich immer wieder kreuzen, in den Mittelpunkt der opulenten Handlung seines Buches, die sich über drei Jahrzehnte bis in das Jahr 2052 erstreckt.

Rückkehr in eine veränderte Welt
Doch zunächst kehren die vier Überlebenden nach Jahren im Kerker in eine Welt der scheinbaren Normalität zurück. Da ist vor allem Lily Brooke, Engländerin und Kapitän der US Air Force, die im Haus der mittlerweile verstorbenen Mutter ihre Schwester Amanda und deren Kinder Benj und Kristie antrifft. Von ihnen erfährt sie gemeinsam mit dem Leser von den Veränderungen und verpassten Ereignissen der letzten Jahre: den vielen Vorzügen, die die olympischen Spiele in London im Jahr 2012 dem Land gebracht haben, aber auch den weltweit immer stärker werdenden Regenfällen.
Auch am Abend der vom Lammockson ausgerichteten Party regnet es. Noch fragt man sich, warum der Milliardär die Partie auf einem schwimmenden Floß außerhalb Londons organisiert hat, da weitet sich der übliche Regen unvorhergesehen zu einer massiven Flutwelle aus, die die Tore der Thames Barrier schließlich überwindet und weite Teile der britischen Hauptstadt zerstört. Mit diesem sprichwörtlichen Dammbruch setzt eine unumkehrbare Entwicklung ein, denn der Wasserspiegel steigt weltweit immer weiter an.
Unbrauchbar sind jetzt alle worst-case-Szenarien, die Klimaforscher als Folge des Klimawandels prognostiziert haben, unaufhörlich und immer schneller steigt die Flut und stellt die Helden des Buches und die gesamte Menschheit vor ungeahnte Herausforderungen.

Die Katastrophe nimmt ihren Lauf
Zunächst sind es kleine Inselgruppen im Pazifik, die überschwemmt werden, doch bald müssen Städte wie London und Sydney, die nur knapp über dem Meeresspiegel liegen, evakuiert werden. Schließlich werden ganze Küstenregionen Opfer von Tsunami-Flutwellen. Aber damit nicht genug: Weil das Wasser permanent steigt, verschwinden bald ganze Länder einfach von der Landkarte.
Weltweit sind Regierungen und Wissenschaftler angesichts der unvorhergesehenen Ereignisse überfordert oder ignorieren sie zunächst einfach. Dank Lammocksons Vermögen kann die Ozeanographin Thandie Jones das Phämomen aus erster Hand untersuchen. Sie entdeckt schließlich auch die Ursache der Katastrophe: Unter der Erdkruste befindliche Wasservorräte von der Größe des Atlantischen Ozeans dringen durch den aufgebrochenen Meeresboden an die Oberfläche und füllen die bereits vorhandene Menge an Wasser um ein Vielfaches auf. Lammocksons Wissenschaftssponsoring ist dabei von Beginn an ebenso visionär wie eigennützig. Er weiß durch Jones, dass dieses Phänomen der Flut unumkehrbar ist und wie eine tödliche Spirale immer weiter zunehmen wird. Und so geht es letztlich um den Fortbestand der Menschheit, den Lammockson garantieren möchte, wobei er natürlich auch an sein eigenes Überleben denkt.
Genau das wird für viele Menschen ohne die Finanzkraft eines Nathan Lammockson immer schwieriger. Während sich die Superreichen der Erde ihre Zukunft in abgeschirmten Enklaven noch sichern und von ihnen Auserwählte daran teilhaben lassen können, sind die meisten Erdbewohner der Flut hilflos ausgeliefert und auf der Flucht. Und mit dem Wasser kommen Tod bringende Krankheiten, Hunger und Durst. Millionen sind auf der Wanderung, das Nomadentum ist zu einer neuen Form der Existenz geworden. Doch das Wasser steigt weiter. Im Laufe weniger Jahre liegen große Teile Europas und der USA unter Wasser, und schon bald zeichnet sich eines ab: Nur die höher gelegenen Punkte auf der Weltkarte sichern zumindest für eine Zeitlang den Fortbestand der Existenz. So errichtet auch AxysCorp eine Siedlung in den peruanischen Anden.

Die Arche
Doch auch diese Lösung kann angesichts des stetig wachsenden Meeresspiegels nur temporär sein. Und während sich inzwischen Russland, China und Indien nukleare Kämpfe um Tibet liefern, lässt Lammockson in Peru eine riesige „Queen Mary“ nachbauen. Dieses Schiff ist Lammocksons ultimative Waffe gegen das Wasser, und geht zu einem Zeitpunkt auf seine Reise, da bereits über 5 Milliarden Menschen der Flut zum Opfer gefallen sind. Weite Teile Westeuropas, Russlands, Amerikas und Afrikas befinden sich inzwischen unter der Wasseroberfläche.
Doch wird in der untergehenden Welt die Reise der Arche Drei die gewünschte Rettung bringen, oder muss sich die Menschheit schließlich andere, drastischere Wege und Orte suchen, um zu überleben?

Ein erschreckendes Zukunftsbild
Diesen Fragen geht der studierte Mathematiker und Ingenieur Stephen Baxter, der als Science-Fiction-Autor längst Kultstatus genießt, im letzten Teil von „Die letzte Flut“ nach und entwirft ein Zukunftsbild, das naturwissenschaftlich ebenso realistisch gezeichnet ist, wie es gnadenlos in seiner Konsequenz erscheint.
Denn im Gegensatz zur Geschichte der Sintflut in der Bibel scheint es keine Erlösung, zu geben, kein Wunder, dass den Wasserspiegel wieder sinken lässt. Vielmehr muss die Menschheit nun die Konsequenzen ihres unverantwortlichen Handelns gegenüber der Erde tragen. Am Ende erscheint deshalb ihre gesamte Zukunft fraglich. Und doch vermag der Leser im Verlauf der Handlung einen kleinen Hoffnungsschimmer zu erhaschen – tatsächlich hat der Autor bereits eine Fortsetzung angekündigt.
Beim Lesen des Buches aber wird man das Gefühl der Beklemmung einfach nicht los - und es bleibt die bohrende Ungewissheit, wie realistisch unsere momentanen Prognosen zum Klimawandel tatsächlich sind, und ob es normal ist, dass es gerade wieder regnet …

Cuxhaven, April 2009
Dr. Hendrik Müller-Reineke