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Thomas Leif über Parteien in der Nachwuchsfalle: Angepasst und ausgebrannt

Cliquen und Claqueure beherrschen den politischen Betrieb und verhindern den Ein- und Aufstieg junger Talente. Der grassierende Legitimationsverfall wächst sich zu einer handfesten Demokratiekrise aus.

„Die Willy Brandts' wachsen eben nicht auf Bäumen.“ Erhard Eppler



„Warum sind die Parteien so unpopulär? Gerade die SPD leidet unter Mitgliederschwund,“ fragten die Reporter der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Mitte April 2009. Die Antwort von Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) war verblüffend: „Gemessen an den meisten demokratischen Ländern sind unsere Parteien immer noch groß.“ Eine typische, verharmlosende Antwort, die so ähnlich auch von der politischen Konkurrenz verbreitet werden könnte. Es ist diese Mischung aus gezielter Verdrängung, dreister Ablenkung und naiver Beschwichtigung, die zunehmend die Glaubwürdigkeit der politischen Klasse auszehrt. Immerhin hat die SPD in den vergangenen drei Jahrzehnten die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Auch in den anderen Parteien gleichen viele Parteiorganisationen Geisterarmeen, die nur noch in den Organigrammen der Parteizentralen fortleben. Schon heute finden die Parteien nicht mehr genügend Kandidaten aus den eigenen Reihen für ihre Wahllisten. Junge Politiker und Politikerinnen unter 25 Jahren kann man mit der Lupe suchen. Dieser Trend wird sich im nächsten Jahrzehnt noch massiv verschärfen, wenn die jetzt noch das Feld beherrschende Kohorte der über Fünfzigjährigen sich in den politischen Ruhestand verabschiedet.

Dabei sind die Alarmsignale, die auf eine sehr ernste Demokratiekrise hinweisen, eigentlich nicht zu überhören: 82 Prozent der Bürger haben kein oder nur wenig Vertrauen in die Parteien. Eine Mehrheit ist unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie. Langjährige Abgeordnete verabschieden sich, nicht ohne ihre Kollegen als „geschwätzig, prinzipienlos, populistisch“ zu charakterisieren. Das Heer der Nichtwähler und Protestwähler kann selbst bei wichtigen Wahlen – wie Europa- und Landtagswahlen – nicht länger ignoriert werden. Nur wenige haben bisher den Ernst der durch angepasste und ausgebrannte Parteien beförderten Demokratiekrise erkannt. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle, analysierte die Lage Mitte April noch im gebotenen diplomatischen Ton: Es ist „problematisch und gefährlich, dass sich die Bevölkerung abwendet vom politischen Prozess und dass die Akzeptanz von Politikern schwindet.“

Der Befund des Buchautors Thomas Leif fällt nach der Besichtigung des überalterten und nahezu jugendfreien politischen Personals kritischer aus: „Die Politik in Deutschland befindet sich heute in der schwersten Legitimations-Krise seit der Gründung der Bundesrepublik vor 60 Jahren. Wer die Folgen der Nachwuchsfalle in der Politik weiter verdrängt, handelt grob fahrlässig und beschleunigt die wachsende Demokratie-Distanz der Bürger.“

Dabei hat die Vergreisung und Abschottung der Politik allein hausgemachte Gründe:
  • Die Parteien in Deutschland werden von den älteren Mandatsträgern dominiert. Maximal zwei Prozent der Parteimitglieder sichern vor allem ihre eigenen Mandate und Listenplätze und organisieren sich ein jugend- und dami konkurrenzfreies Umfeld in den Wahlkreisen.
  • Die Kursbestimmung in den Parteien erfolgt – im Kontrast zur offiziellen Verfassungslehre – fast ausschließlich „von Oben nach Unten nach Oben“, ist geprägt von Regierungs- und Fraktionsspitzen, regionalen Patriarchen und den Führern von informellen, geheim agierenden Gruppen und Kreisen.
  • Das „Kartell der Mittelmäßigkeit“ (Gerhard Schröder) hat sich flächendeckend in den Parlamenten ausgebreitet und fördert den Politikertypus des administrativen, angepassten Nachfolgers. Dieses auf Gremienarbeit abonierte Geschäftsführer-Milieu zeichnet sich programmatisch durch eine flexible Unverbindlichkeit aus und konzentriert nahe zu alle Energien auf die eigene Machtabsicherung und die Ausschaltung vor allem junger Wettbewerber.

Thomas Leif hat für das Buch „angepasst & ausgebrannt“ im Superwahljahr 2009 die Innenausstattung der Republik untersucht und liefert bedrückende Fakten, die im Kontrast zur beschönigenden Sozialkunde und Parlaments-Folklore stehen. Intensiv-Interviews mit drei Dutzend Spitzenpolitikern in der Bundeshauptstadt die Auswertung unveröffentlichter Dokumente und die „Betriebsgeheimnisse“ vieler Politiker werden zu einem nüchternen Realbild der politischen Macht in Deutschland verdichtet.

Die Bilanz seiner Recherchen führt zu zwei zentralen Konsequenzen: „Wir brauchen wieder eine Renaissance des Primats der Politik, eine Selbstbehauptung der gewählten Politiker gegenüber der Ministerialbürokratie und den Lobbyisten. Wo Politik draufsteht, muss auch Politik drin sein. Und: Nach der erfolgreichen Frauenquote muss jetzt in allen Parteien eine Jugendquote eingeführt werden. Andernfalls blutet das politische Personal in wenigen Jahren aus, entsteht aus dem schleichenden Legitimationsverfall der Politik eine handfeste Demokratiekrise.“

Wie das „Kleinmachsystem“ (Peter Gauweiler, CSU), Geheimbünde und informelle Gruppen in der Politik funktionieren, wie die Parteien mit Eliteschulungen auf die Personalnot funktional reagieren und wie – im Sinne der Demokratie – auf die „Nachwuchsfalle“ reagiert werden müsste, ist in diesem Buch, das sich als „Navigationssystem für interessierte Demokraten“ versteht, erstmalig mit allen Konsequenzen nachzulesen.

In „angepasst & ausgebrannt“ finden Wähler und Bürger wichtige Informationen aus dem Maschinenraum der Demokratie. Selbst die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages müssen in einer unveröffentlichten Studie uneingeschränkt einräumen: „Eine wissenschaftlich systematische Untersuchung der Schwachstellen und Defizite in der aktuellen Praxis der Rekrutierung und Selektion des politischen Personals wurde bislang noch nicht vorgelegt.“ Der Grund für diese „weissen Flecken“ klingt überzeugend: weil es sich „oftmals um ungeregelte und intransparente Abläufe“ und „zentrale Betriebsgeheimnisse“ der Politik handelt.

„Die Partei-Oligarchen wollen angepasste, bequeme Ja-Sager, die so glatt sind wie ein Stück Seife. Damit züchten sie die gefährliche Politikverachtung.“ Thomas Leif