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Thomas Leif über Parteien in der Nachwuchsfalle: Angepasst und ausgebrannt

Vom Stillstand der Demokratie

Thomas Leif untersucht in „Angepasst und ausgebrannt“ das Mitglieder-Debakel der deutschen Parteien

In aktuellen Trend-Unfragen geben über 80 Prozent der Bundesbürger an, kein oder nur wenig Vertrauen in die Parteien zu haben. Die großen Volksparteien verlieren seit den Achtzigern ihre eigentliche Basis: das Volk. 1976 hatte die SPD noch über 1 Million Mitglieder. Seitdem hat sich die Zahl halbiert. Auch der Beruf des Politikers gilt nicht mehr als erstrebenswert. Die jungen Eliten versuchen ihr Glück lieber in der Wirtschaft. Man verdient dort mehr Geld, Entscheider darf man dort auch spielen, und außerdem steht man nicht dauernd im Rampenlicht der öffentlichen Wahrnehmung, die allzu oft mit Beschimpfung einhergeht.
Thomas Leif recherchiert und analysiert in seinem Buch „Angepasst und ausgebrannt - Die Parteien in der Nachwuchsfalle“, wie schlimm es um die deutsche Parteienlandschaft wirklich bestellt ist. Das Bewusstsein von der Tragweite dieser Entwicklung sei bei den politischen Verantwortlichen noch gar nicht angekommen. So heißt es 2005 noch in einem Papier der SPD: „Das Ansehen der Parteien entspricht nicht ihrer Bedeutung und ihrer wichtigen Rolle in der der Demokratie.“ Das Offensichtliche wird verdrängt oder schön geredet, von Selbstzweifeln keine Spur.

Legitimationsprobleme
Zwar gründet sich die starke Machtposition der Parteien auf die Idee von demokratisch aufgebauten, funktionierenden Volksparteien, doch die Macht führender Politiker funktioniert eben auch ohne eine breite Basis, die vielleicht oft sogar nur lästige Diskussionen und ein gehöriges Maß an Überzeugungsarbeit verlangen würde. Was jedoch auf jeden Fall erodiert, ist die Legitimationsbasis der Parteien. Wesentliche Prinzipien wie demokratische Willensbildung und die Möglichkeit der Partizipation an politischen Prozessen verschwinden. Politische Entscheidungen würden in kleinen Kreisen gefällt, an externe Berater abgegeben, schlecht vorbereitet und dann nicht einmal ausreichend erklärt, mein Thomas Leif. In seinem Buch analysiert er die „Folgen dieser Legitimations-Vernichtung“. Er stützt sich dabei auf Recherchen innerhalb der Parteien, führte dazu zahlreiche Interviews mit Analytikern, etwa mit den Professoren Elmar Wiesendahl oder Lothar Probst, oder mit Spitzenpolitikern wie Andrea Nahles, Kurt Beck oder Christian Wulff. Die Interviews sind im Buch in voller Länge abgedruckt und bilden in gewisser Weise das Gerüst für Thomas Leifs Analyse.

Frustrationsprobleme
Zu Beginn des Buches werden einige hoffnungsvolle Nachwuchskräfte aus den verschiedenen Parteien vorgestellt, die mittlerweile das Handtuch geworfen haben. Mehr oder weniger attestieren sie alle ein wenig frustriert, Parteien wollten nur Mittelmaß. An eigenständig denkenden, engagierten Menschen mit Mut zu Veränderungen seien sie nur auf dem Papier, jedoch kaum in der Praxis interessiert.
Der einst „jüngste Landtagsabgeordnete“ der Grünen, der Bremer Jens Crueger etwa, sieht seinen Versuch, „die Bremer grüne Partei aus dem Blickwinkel junger Menschen zu erneuern und ihnen Möglichkeiten zur Mitgestaltung zu geben“, als gescheitert. Die Partei sei kaum bereit gewesen, den Jungen inhaltliche und strukturelle Zugeständnisse zu machen. Von ähnlichen Erfahrungen berichten auch ehemalige Jungpolitiker der anderen Parteien. Leif konstatiert, es sei anstatt Leidenschaft und politisches Engagement die bloße Hoffnung auf einen Posten, der die Menschen mittlerweile antreibt. Die Karriere würde durch Anpassung beschleunigt und durch eigene Meinungen und das Vertreten eines festen Standpunkts eher behindert. Seiteneinsteiger hätten es schwer, verlangt wird in vielen Fällen dann doch die Ochsentour, auch wenn sich die Parteien nach eigenem Bekunden öffnen wollen, um frisches Blut und neue Ideen zu sammeln.
Den Parteien ist das Problem der Überalterung durchaus bewusst. Es gelingt ihnen jedoch in den wenigsten Fällen, erfolgreiche Rekrutierungsarbeit zu betreiben. In Pressemitteilungen und sogar in internen Papieren sind die Zahlen geschönt und einseitig.

Kaderschmieden
In den letzten sechs Jahren haben jedoch fast alle Parteien Führungsakademien und Nachwuchs-Förderungsprogramme installiert, um zumindest die Wenigen, die ihnen bleiben, zu schulen und zu fördern. Führend ist hier die SPD. Sie hat etwa ihre Führungsakademie, in der der Funktionärs-Mittelbau für höhere Aufgaben fit gemacht werden soll. Die Kandidaten, die dort geschult werden, sind bereits verankert in der SPD, etwa als Oberbürgermeister, Generalsekretär auf Landesebene, Drogenbeauftragte, usw. Über zwei Jahre wird an etwa zwanzig Tagen versucht, aus bereits etablierten Politikern Spitzenleute zu machen - mithilfe von Powerpoint und Anführungsstrichen, zusammengebaut aus gängigen Management-Theorien, Merksätzen und Phrasen, wie Leif immer wieder spöttisch anmerkt. Echte Nachwuchsarbeit ist das nicht, die findet eher in der Kommunal-Akademie statt. Hier haben Einsteiger schon eher eine Chance und die Aussicht auf Erfolg: Vom Jahrgang 2001 etwa stiegen 40 von 100 Absolventen hoch auf der Karriereleiter.
CDU, Grüne und FDP setzen eher auf Mentoring-Programme, die jedoch nur wenig Reichweite haben können, da sie sehr zeit- und personalaufwändig sind. Mentoring könne hohe Qualität nur für wenige bieten, vorausgesetzt, die Kombination Mentor-Mentee ist sorgfältig abgestimmt.

Reformunwillige Geheimbündler
Um dem Mitgliederschwund und der zunehmenden Politikverdrossenheit entgegenzutreten, haben beinahe alle Parteien Reformprojekte ins Leben gerufen und Untersuchungen angeregt, deren Ergebnisse teilweise deprimierend ausgefallen sind. Getan hat sich seitdem wenig. Man macht weiter, wie man es immer gemacht hat. Konzept-Papiere, die bereit vor fünfzehn Jahren verfasst wurden und schon damals die Probleme von heute benannten, werden in der Praxis schlicht und einfach ignoriert.
Leif schreibt süffisant, die größte Reform der Volksparteien bestehe darin, das heikle Thema Parteireform überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen, ganz gleich, wie mit den Beschlüssen später verfahren würde. Reformdebatten seien faktisch Phasen der Selbstvergewisserung, aber praktisch weitgehend folgenlos. Im Großen und Ganzen würden Parteien weiterhin ihre „Closed Shop“-Mentalität verwalten anstatt sich zu öffnen. Für viele Nicht-Mitglieder wirken sie deshalb wie abgeschottete Zirkel, nach außen hin vollkommen undurchschaubar, intern gesteuert immer mehr von einer Top-Down-Agenda-Setzung anstatt von Debatten in der Basis, wie man es in einem demokratischen Prozess eigentlich erwarten dürfte. Immer weniger Menschen glauben noch an eine Verankerung der politischen Akteure in der Realität. Man hält sie für losgelöst, weit weg von den Menschen. Und in der Tat wird dieses Image gefördert durch Cliquenbildungen, geheimbundähnlichen Versammlungen wie dem „Xantener Bund“ der CDU, dem „Andenpakt“ oder der „Pizza-Connection“ der SPD, in denen über das Wohl und Wehe von Mitgliedern entschieden wird, wer welchen Posten bekommen und wer abgesägt werden soll.
Man gibt sich geheim und fördert die Intransparenz, da jede Form von Öffentlichkeit den Handlungsspielraum reduziert. Man schmiedet Bündnisse und geriert eine typische Parteisozialisation mit „Stallgeruch“. Für die Akzeptanz der Parteien in der öffentlichen Wahrnehmung dürfte solch eine Cliquenwirtschaft Gift, für das Fortkommen der einzelnen Karrieristen jedoch Gold sein.

Problemlösungen
Doch Thomas Leif lässt sein Buch nach seiner furiosen und äußerst lesenswerten Aufarbeitung der Lage der Parteien nicht nur frustrierend enden. Er unterbreitet Vorschläge, wie man die Partizipation der Bürger am politischen Prozess wieder fördern könnte. Unter anderem könnten mehr Bürgerentscheide oder die verstärkte Einführung von „Bürgerhaushalten“, über deren Gelder samt Verwendung die Bürger selbst entscheiden würden, das Interesse wieder wachsen lassen. Auch Methoden der direkten Beteiligung mithilfe der neuen Technologien wie E-Voting und andere Formen der E-Partizipation könnten die Bürger wieder stärker in Entscheidungsprozesse einbinden. Nur so könnte die Verkrustung der Parteienlandschaft aufgebrochen werden, über deren Funktionieren in allen Facetten man in diesem Buch eine Menge lernt. Gerade im Superwahljahr 2009 ist dieses Buch eine wichtige Lektüre. Man kann nur hoffen, dass auch die Beteiligten am Politbetrieb ihre Lehren daraus ziehen. Schließlich steht nicht weniger als die Zukunft unserer Demokratie auf dem Spiel.

Karl Hafner
München, Juni 2009