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SPECIAL zu Sascha Adamek, Kim Otto »Schön reich - Steuern zahlen die anderen«

Von der Kapitulation des Steuersystems

Rezension von Carsten Hansen

Eigentlich müsste sich Peer Steinbrück, der sich mit regelmäßigen Polemiken gegen Steueroasen wie die Schweiz oder Luxemburg zu Wort meldet, über dieses Buch freuen, illustriert es doch ungeschönt, wie Vermögende ihr Schwarzgeld ins Ausland transferieren oder auch die Erbschaftsteuer mithilfe eines Umzugs in die einschlägigen Alpenländer umgehen. Auf der anderen Seite belassen es Adamek und Otto in ihrem Buch nicht bei der Kritik an der Steuerhinterziehung. Die Autoren gehen sehr viel weiter und prangern die heillos überforderte deutsche Finanzverwaltung ebenso an wie die dem hiesigen Steuersystem immanente Ungerechtigkeit. Über die Passagen zu diesen Themen dürfte Peer Steinbrück weniger glücklich sein.

Der Millionär und die Krankenschwester
Da ist der Multimillionär aus dem feinen Taunus, der es schafft, lediglich ein Einkommen von 26.000 Euro zu versteuern, und am Ende gerade mal 2.300 Euro Steuern zahlt – im Jahr und völlig legal. Und dann ist da die Kinderkrankenschwester, die zusammen mit ihrem Mann veranlagt wird und von 2.800 Euro brutto nur 1.200 Euro mit nach Hause nehmen kann. Zusammen mit ihrem Mann zahlt sie sieben Mal so viel Steuern wie der Millionär. Arbeitnehmer müssen, so die Autoren, hierzulande immer größere finanzielle Belastungen schultern; Einkommensmillionäre, vermögende Unternehmer und Selbstständige hingegen profitierten weiterhin von einem Steuersystem, das den Gedanken an eine gerechte Besteuerung längst aufgegeben habe.

Abschied von einer gerechten Besteuerung der Bürger
Ausgangspunkt des Buchs ist die große Finanz- und Wirtschaftskrise, die die Autoren den Spekulationsgeschäften und der Renditegier von Wirtschaftsmanagern anlasten. Die Hunderte Milliarden schweren Rettungspakte, z.B. für das Bankensystem, werden derzeit und noch in den kommenden Jahrzehnten die Steuerzahler abstottern – zumindest diejenigen, die so ehrlich oder „dumm“ sind, in Deutschland ihre Steuern zu zahlen. Die Krux sei nicht, dass nur Reformen alleine das Steuersystem gerechter gestalten können. Adamek und Otto rechnen auch vor, dass, würden die geltenden Steuergesetze nur konsequent angewendet, der Staat schon saniert wäre: Auf 72 Milliarden Euro schätzen sie die jährlichen Steuerausfälle durch Mängel in der Finanzverwaltung. Diese könne es schon lange nicht mehr aufnehmen mit „gewitzten Unternehmern und Selbstständigen, mit cleveren Wirtschaftsanwälten und Steuerberatern“. Wie auch – haben Finanzbeamte im Schnitt 210 Minuten Zeit für die Veranlagung eines Millionärs (inklusive sechs Anlagen), beim normalen Steuerzahler verringere sich das Zeitbudget auf lächerliche 16 Minuten.

Besserung nicht in Sicht
Die Autoren haben mit Insidern auch aus der Finanzverwaltung gesprochen, die von grotesken Zuständen berichten. Da werden besonders fähige Beamte und hoch spezialisierte Steuerfahnder von Prüfungen bestimmter Unternehmen plötzlich abgezogen oder gar in den Vorruhestand versetzt. Vorgesetzte rufen so genannte „Durchwinkwochen“ aus, für die die Dienstanweisung lautet, alle Angaben ohne Prüfung zu übernehmen, um die Zielvorgaben zu erfüllen.
Prüfer, die jährlich im Schnitt für Steuernachzahlungen von 1,5 Millionen Euro sorgen, werden nicht nur nicht zusätzlich eingestellt, sogar viele vorhandene Planstellen bleiben unbesetzt. Offenbar ist eine zu genaue Prüfung der vermögenden Bevölkerungsschichten politisch gar nicht gewollt, vermuten die Autoren, etwa um einen Umzug ins Ausland zu verhindern. Das Chaos, das darüber hinaus die elektronische Finanzverwaltung regelmäßig anrichtet, steht noch auf einem anderen Blatt. So ist beispielsweise das EOSS-Steuerprogramm nur für den Datenabgleich mit 500 Investmentfonds eingerichtet. Da diese Grenze längst erreicht ist, schießen nun neue Fonds wie Pilze aus dem Boden – deren Erträge der Finanzverwaltung vermutlich nie bekannt werden …

Neue Wege gehen
Das Autorenduo belässt es aber nicht bei Dokumentation und Analyse der desolaten Situation. Mit dem Wirtschaftsprofessor Lorenz Jarass präsentieren sie einen ausgewiesenen Finanzexperten, der ganz konkrete und schnell umsetzbare Vorschläge unterbreitet. Er gibt z.B. an, wie das Stopfen von Steuerschlupflöchern, die Besteuerung von Einnahmen aus ausländischen Beteiligungen, die Einführung einer Vermögenssteuer und Mindestbesteuerungen aussehen könnten.

Brisantes Material
Adamek und Otto legen hier keine trockene finanzwirtschaftliche Studie vor. Ihre Reportage über den deutschen Steuerstaat liest sich streckenweise wie ein Wirtschaftskrimi – und tatsächlich haben die Strategien vieler Besserverdienender oft genug auch etwas mit Kriminalität zu tun. Es ist mitunter brisantes Material, das den Autoren zugespielt wurde und hier meist anonymisiert veröffentlicht wird. Die tolldreisten Steuertricks einiger besonders skrupelloser Unternehmer zeigen nicht nur die Ohnmacht oder auch die Trägheit des deutschen Fiskus' – sie dokumentieren auch, wie sich gerade so genannte Leistungsträger von eben der Gesellschaft verabschieden, die die Grundlage ihres komfortablen Lebens bildet. Die Autoren öffnen in schnörkellosem, pointiertem Stil den Blick auf einen grotesken Missstand, der das Gemeinwesen um Hunderte Milliarden Euro Einnahmen gebracht hat und das Prinzip einer gerechten Besteuerung verhöhnt. Der Leser nimmt so teil an einer Deutschlandtour der etwas anderen Art, mit Stationen in Finanzdirektionen, baufälligen Finanzämtern, Villenvororten, exklusiven Jachthäfen und diskreten Flughafenhotels sowie kleinen Ausflügen in karibische Steuerparadiese; eine Urlaubsreise ist das nicht gerade, aber spannend und außerordentlich erhellend allemal.

Carsten Hansen
(Literaturtest)
Berlin, Mai 2009

Schön reich - Steuern zahlen die anderen

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