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SPECIAL zu Sergej Lukianenko

Eine Reise in eine phantastische Welt

Rezension von Klaus Greifenstein

Als der 14-jährige Dima im Stadtpark von einem Fremden um ein Foto für einen Zeitungsartikel gebeten wird, gibt der arglose Junge sein Einverständnis. Es ist ja schließlich hellichter Tag, sogar die Polizei sieht zu, als ihn der Mann mit seiner Kamera ins Visier nimmt. Kein Grund, dem Fotografen zu misstrauen. Doch Dima ahnt nicht, dass sich mit dem Klacken des Auslösers sein Leben für immer ändern wird ...

Insel Nummer 36
Das Geräusch des Auslösers, dann die Dunkelheit. Ein scheinbar endloser Sturz. Freier Fall bis zum heftigen, schmerzhaften Aufprall. Als Dima wieder zu sich kommt, ist von der vertrauten Umgebung nichts mehr zu sehen. Stadtpark und Fotograf sind verschwunden, dafür bietet sich ein Bild wie aus einem Fiebertraum. Dima ist auf einer Insel gelandet, vor ihm liegt ein Sandstrand, hinter ihm erheben sich die Mauern einer mächtigen Burg. Und er ist nicht allein. Eine Gruppe Kinder hat sich um ihn geschart, um sich zu überzeugen, dass er die letzten Minuten heil überstanden hat. Sie nennen sich die Ritter der scharlachroten Burg und von ihnen erfährt Dima die unglaubliche, niederschmetternde Wahrheit über seinen neuen Aufenthaltsort.

Das große Spiel
Sie alle sind Opfer einer außerirdischen Entführungsaktion geworden. Die mysteriöse Insel – eine von insgesamt 40 ihrer Art - treibt im Ozean eines fremden Planeten. Jedes Eiland ist von Kindern bewohnt, auf jedem steht eine Burg, die über Brücken mit den Nachbarinseln verbunden ist. In der Nacht bewegen sich diese Brücken wie von Geisterhand auseinander, am Tag jedoch können sie betreten und für das benutzt werden, was hier alle „das große Spiel“ nennen. Dabei wird versucht, möglichst viele Nachbarinseln durch bewaffnete Angriffe zu erobern. Denn die außerirdischen Kidnapper haben die wichtigste Regel des Spiels so formuliert: Nur wer alle 40 Inseln im Kampf erobert, darf auf die Erde zurückkehren.

Die Konföderation
Bald ist Dima in der Gemeinschaft der Insel Nr. 36 integriert, trainiert für bevorstehende Kämpfe und erkennt mit Schrecken, wie fürchterlich ernst es beim „großen Spiel“ zugeht: In der Hitze des Gefechtes verwandeln sich die hölzernen Waffen-Attrappen der Kinder in tödliche Stahlklingen. Jeden Tag beklagt eine der 40 Burgen Verluste, jeden Tag weinen irgendwo in der Stille des Weltraums Kinderkrieger um ihre gefallenen Freunde. Doch es gibt Lichtblicke in diesem schrecklichen Szenario. Während eines Gefechts entdeckt Dima in den Reihen des Gegners Inga, eine Freundin aus der irdischen Heimat. Als sich die Gelegenheit bietet, läuft sie zu Dima und seinen Kameraden über und schmiedet mit ihnen zusammen einen wagemutigen Plan: Eine Konföderation muss gegründet werden! Sämtliche Inseln und ihre Bewohner müssen zusammenhelfen. So kann der aussichtslose Kampf gegen die unheimlichen Entführer aus dem All gewonnen werden.

Der zerstörte Traum
Die direkt benachbarten Burgen lassen sich bald von der Idee begeistern, und dieser Erfolg beflügelt. Um allerdings die gesamte Inselwelt von der Konföderation zu unterrichten, muss man sich auf die Weiten des Ozeans hinaus wagen. Ein Team von fünf Kindern, darunter Inga und Dima, soll mit einem instandgesetzten Schiff, der Aliens Nightmare, das große Abenteuer wagen und vierzig Inseln zu einer gewaltigen Streitmacht vereinen. Leider erweist sich die hehre Idee mit dem Bündnis als extrem schwer durchsetzbar. Nicht auf allen Inseln heißt man die Jungen und Mädchen willkommen, im Gegenteil. Mehrfach entgeht das tapfere Quintett knapp dem Tod, wieder müssen Kinder ihr Leben lassen, obwohl die Aliens Nightmare doch in friedlicher Absicht aufgebrochen war. Verzweifelt kehren Dima & Co auf die Insel Nummer 36 zurück und müssen feststellen, dass ihre Mission gründlich fehlgeschlagen ist. Während ihrer Abwesenheit haben Verräter und Spione die Situation genutzt, um die Kräfteverhältnisse auf den Inseln zu ihren Gunsten zu verändern.

Strafe und Hoffnung
Als wären Verrat und Enttäuschung nicht schrecklich genug, bekommen die scharlachroten Ritter nun auch noch den Zorn der Außerirdischen zu spüren. Widerstand gegen die Herrscher ist auf den 40 Inseln ein Kapitalverbrechen und die Strafe der Außerirdischen fürchterlich. Aufgeben allerdings kommt für Dima und seine Freunde nicht in Frage. Als sie in einem geheimen Bereich ihrer Burg eine atemberaubende Entdeckung machen, keimt noch ein letztes Mal Hoffnung auf. Ein finaler Plan wird geschmiedet, alles auf eine Karte gesetzt. Wenn das Vorhaben gelingt, werden die Kämpfer ihren Widersachern zum ersten Mal Auge in Auge gegenüberstehen. Sie werden endlich das große Geheimnis ergründen, das hinter ihrer Entführung steckt und die Pläne ihrer Peiniger begreifen lernen. Wenn sie allerdings scheitern, müssen sie den Traum aufgeben, ihren Heimatplaneten jemals wieder zu sehen …

Es ist eine bedrohliche Welt, in die Sergej Lukianenko den Leser mitnimmt. Eine sonnendurchflutete Inselwelt, wie aus dem Urlaubsprospekt entsprungen, wird zum Schauplatz grausamer Auseinandersetzungen zwischen unschuldigen Kindern. Hinter allem verbirgt sich ein komplexer außerirdischer Plan, dessen dichter Schleier sich erst zum Ende des Romans lüften wird. Und wenn wir das Rätsel der 40 Inseln endlich gelöst haben, sich die Frage nach Schuld und Unschuld völlig neu stellt, dann registrieren wir mit Verblüffung, wie sich Lukianenkos phantastischer Roman in eine Parabel auf die Zeiten verwandelt, in denen wir leben.

Klaus Greifenstein
München, Februar 2009