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Siba Shakib - Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen

SPECIAL zu Siba Shakib

Ein Gespräch mit Siba Shakib zu "Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen"

Interview von Siegrid Kroeber

Siba Shakib
© Giacomo Terracciano
In Ihrem einleitenden Kapitel erzählen Sie die wunderbare Szene, wie Shirin-Gol eigentlich Sie entdeckt hat. Während Sie in einem Moment der Schwäche über all das Elend im Flüchtlingslager nicht mehr weiter wissen, stellt Ihnen eine Stimme hinter einem verschleierten Gesicht die schlichte Frage: "Geht es Dir gut?" Und unter dem Tuch kommt eine Hand hervor und legt sich auf Ihren Arm. Diese Frage, diese Hand von Shirin-Gol entwappnet Sie. Und im Rückblick war dies der Anfang einer Verbundenheit über Jahre hinweg. Wie sieht Ihr Kontakt mit Shirin-Gol heute aus?
Seit dem 11. September habe ich keine Ahnung, wo Shirin-Gol und ihre Familie sich aufhält. 20.000 Menschen sind bei den Bombardierungen in Afghanistan seit dem 7. Oktober 2001 und auf der Flucht gestorben. Ich warte und hoffe, dass Shirin-Gol sich vielleicht doch noch meldet.

Sie sind in erster Linie Dokumentarfilmerin und diese Szene ist so visuell und plastisch beschrieben, dass man eigentlich schon einen Filmanfang vor sich sieht. Denken Sie daran, die Geschichte der Shirin-Gol auch zu verfilmen?
Ich arbeite zur Zeit an der Verfilmung meines Buches. Ich hatte sehr viele Angebote, auch aus Hollywood, habe mich jedoch für die Zusammenarbeit mit MTM, einer Produktionsfirma in München, entschlossen.

Der Stil Ihres Buches ist karg und poetisch zugleich. Ihre glänzenden Wortspiele steigern die Eindringlichkeit des Geschehens und inszenieren die Personen in ihrer Komplexität. Für mich blickt in Ihrem Stil immer wieder die Filmemacherin durch, die diesmal statt mit der Kamera mit Worten gemalt hat. Welchen Einfluss hat Ihre persische Herkunft auf Ihr Schreiben und Filmen?
Natürlich haben Kultur, Sprache und Erziehung einen großen Einfluss auf Lebenskonzepte und Einstellungen. Wenn man so will, bekommt man dadurch eine breitere, tiefere, eine andere Einsicht.

Schon lange nicht mehr hat mich ein Buch so berührt wie die Geschichte der Shirin-Gol. Sie geht unter die Haut. Die erschütternde Situation der Menschen und besonders der Frauen in Afghanistan, die Ausweglosigkeit des Dramas, das sich in diesem Land abspielt - aber natürlich nicht nur in diesem Land, sondern in weiten Teilen der Welt -, das alles bewegt einen weiter. Was können aber wir in der westlichen Welt dazu beitragen, dass Afghanistan wieder zu den lange zurückliegenden demokratischen Verhältnissen zurückkehrt, wieder das blühende Land wird, das es einmal war?
Wir müssen vor allem begreifen, dass wir Afghanistan beziehungsweise Frieden in Afghanistan brauchen, um selber im reichen Teil der Welt weiter in Frieden und Wohlstand leben zu können. Der 11. September hat auf tragische Weise gezeigt, wie viel wir mit Afghanistan zu tun haben, wie abhängig wir sind. Selbst George W. Bush hat gesagt, wenn wir in Afghanistan verlieren, verlieren wir in der Welt. Etwas anders gesagt: Wenn wir Afghanistan verlieren, verlieren wir die Welt.

Shirin-Gol ist eine ungeheuer starke Person, eine Mutter-Courage-Figur, die mit vielen anderen Frauen, Männern und Kindern in Afghanistan immer wieder das Prinzip Hoffnung aufrechterhält. Wie hat sie, wie haben andere Menschen in Afghanistan Ihr Leben verändert?
Shirin-Gol hat mein Leben absolut verändert. Ich bin mutiger geworden, lebensmutiger, aber auch entspannter. Meine Lebensperspektiven sind heute andere als früher. Vieles, was mir früher wichtig war, ist heute bedeutungslos geworden und umgekehrt. Frieden, ein Leben in Frieden, ist ein hoher Wert.

Sie sind Ende 2002 wieder für längere Zeit nach Afghanistan gereist? Wie sieht es dort heute aus? Gibt es nach dem Sturz der Taliban erste positive Zeichen für einen Neuanfang?
Inzwischen gibt es in Afghanistan sehr viele, sehr gute Fortschritte und Veränderungen, die vor allem mit der Präsenz der Internationalen Schutztruppe ISAF zu tun haben. Ich arbeite als Beraterin der KMNB, der Multinationalen Brigade in Kabul, sehr eng mit den Soldaten zusammen. Ohne die internationale Gemeinschaft schafft Afghanistan es nicht, das Land wieder aufzubauen.

Sind inzwischen einige Bildungseinrichtungen verwirklicht und die Verwaltungsstrukturen sowie die Gesundheitsversorgung verbessert worden?
In allen Bereichen gibt es positive Entwicklungen. Aber es muss mehr Geld fließen. Die internationale Wirtschaft muss sich konsequenter in Afghanistan engagieren, damit das Land wieder auf die Beine kommt und eigenständig arbeiten und existieren kann.

Ist die Einbeziehung von Frauen und Mädchen in die Gesellschaft gelungen? Lassen sich die alten Traditionen mit heutigen Vorstellungen in Einklang bringen?
Die Erfahrungen der Frauen waren in den letzten Jahren, speziell unter den Taliban, aber auch unter den Mujahedin, so schrecklich und grausam, dass man die Frauen nicht erst davon überzeugen musste, dass sie sich einmischen sollen. Sie tun es ganz von allein, weil sie erkannt haben, dass sie eine Verbesserung ihrer Lebenssituation nur erreichen können, wenn sie sich in das gesellschaftliche Leben einbringen.

Immer wieder hört man in den Medien, dass die Zentralregierung in sich bekämpfende ethnische Fraktionen aufgespalten ist. Wie sicher ist das Leben heute für die afghanische Bevölkerung?
24 Jahre Krieg kann man nicht im Schnellverfahren korrigieren. Die Welt hat zugesehen, wie die Menschen zweieinhalb Jahrzehnte Krieg und Terror, Vergewaltigung und Mord ausgesetzt waren. Jetzt muss die internationale Gemeinschaft Geduld und Mut beweisen, den Frieden in Afghanistan wieder herzustellen. Ich wiederhole: Wir brauchen Frieden in Afghanistan, um in Europa und in der ganzen Welt friedlich leben zu können.

Bislang ist die Arbeit der stationierten ausländischen Soldaten hauptsächlich auf Kabul beschränkt. Wie sieht jedoch die Sicherheit für die Bevölkerung im übrigen Land aus?
Die Situation in Kabul strahlt auf das ganze Land aus. Seit dem Einsatz der ISAF herrscht in ganz Afghanistan ein Zustand, den wir als Abwesenheit von Krieg bezeichnen.

Nach dem Krieg kehrten viele Exilafghanen, vor allem aus Pakistan und dem Iran, in ihre Heimat zurück. Schätzungen nach sollen aber immer noch 4 Millionen im Ausland leben. Welche Chancen haben diese Menschen, auch in die ländlichen Gebiete des Landes zurückkehren zu können?
Menschen, die anderswo ein neues Leben aufgebaut haben, fällt es schwer, sich ein weiteres Mal zu entwurzeln. Das ist klar und verständlich, aber jedes Land braucht auch seine Expatriierten.

Wie viele Strukturen der Taliban sind heute in Afghanistan noch intakt? Und wie real ist die Bedrohung durch die Terrororganisation Al-Quaida weiterhin?
Die Terroristen sind durch die Bombardierungen und die Jagd auf sie vertrieben, aber nicht gefangen. Auch die Bombardierung des Irak stellt eine weitere Eskalation dar. Die Bedrohung durch Terror steigt und fällt mit der Armut in der Region.

Doch zurück zu Ihnen. An welchem Projekt arbeiten Sie jetzt? An einem Film oder an einem Buch?
Im Herbst 2003 wird mein Buch »Samira und Samir« erscheinen, in dem ich das Leben eines afghanischen Mädchens beschreibe, das sich mit den strikten Regeln der islamischen Männergesellschaft nicht abfinden will. Außerdem arbeite ich bei der ISAF und am Drehbuch für die Verfilmung von »Nach Afghanistan kam Gott nur zum Weinen«.

Frau Shakib, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview mit Siba Shakib führte Siegrid Kroeber