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Gewinnspiel Tamina Kallert: Mit kleinem Gepäck

Tamina Kallert: Mit kleinem Gepäck

PROLOG – SYLT IM WINTER

2004. Ich sitze in einer zweispännigen Pferdekutsche, um mich herum eine wunderschöne Dünenlandschaft. Ein zehnköpfiges Filmteam wuselt um mich herum, alle sind darauf bedacht, mich ins rechte Licht zu setzen. Sogar eine Maskenbildnerin ist dabei. Nur für mich. Ich komme mir vor wie eine Prinzessin. Es ist der erste Dreh der ersten »Wunderschön!«-Reise.

Ich bin zwar schon ein alter Hase, was Fernsehen angeht, aber ich habe gerade wieder neu beim WDR angefangen. Während ich darauf warte, dass der Dreh beginnen kann, sage ich noch mal mein Sprüchlein vor mich hin: »Liebe Zuschauer! Herzlich willkommen auf Sylt …« Den Text kann ich im Schlaf, Auswendiglernen war schon in der Schule kein Problem für mich. Und so lautet das Drehbuch: Tamina Kallert fährt, gemütlich eingemummelt in dicke Decken, in einer Pferdekutsche durch das winterliche Sylt. Gut gelaunt und Lebenslust versprühend lädt sie den Zuschauer ein, mit ihr auf Entdeckungsreise zu gehen. Ein toller Einstieg, der dem Zuschauer schon gleich zu Anfang der Sendung zeigen wird, worauf er sich freuen darf.

Aber erst mal arbeiten alle noch konzentriert an dieser ersten Szene. Wie soll die Kameraführung sein? Natürlich soll das Meer zu sehen sein, aber auch die weiß bestäubten, winterlichen Dünen. Gar nicht so einfach! Dann muss das Licht stimmen, auf der Tonaufnahme dürfen keine Störgeräusche sein, die Kutsche muss exakt den besprochenen Weg fahren, nicht zu schnell und nicht zu langsam … Es ist ein Riesen-Bohei. Fast eine Stunde dauert es, bis das Team aufnahmebereit ist. Jetzt fehlt nur noch die fröhliche Moderatorin. Mein Part. In der Zwischenzeit ist mir trotz Decken ganz schön kalt geworden. Kein Problem. Das ist Teil des Jobs. Solange meine Zähne nicht klappern und ich deutlich zu verstehen bin, ist alles gut. Ausatmen. Die Kutsche setzt sich auf das Zeichen des Aufnahmeleiters hin in Bewegung. Tief einatmen, um genug Luft für meine Anmoderation zu haben. »Liebe Zuschauer! Herzlich willkommen auf Sylt …« Beschwingt setze ich zu meinen Erklärungen an, warum Sylt im Winter etwas ganz Besonderes ist. Läuft gut, denke ich noch, da höre ich den Kameramann brüllen: »Haaalt! Stopp!«

Ein störender Poller ist ins Bild geraten. Also wird die Kamera noch einmal ein wenig umgesetzt. Alles zurück auf Anfang. Doch ein Pferdegespann kann schlecht rückwärtsfahren. Der Kutscher muss auf der extra abgesperrten Mole hundert Meter weiter vorne wenden, zurückfahren, noch mal wenden. Klapper-di-klapper-di-klapp machen die Hufe auf dem gefrorenen Boden. Jetzt sind wir wieder in der Ausgangsposition. Wieder laufen die Pferde los, ich atme ein, lächle und fange mit meinem Sprüchlein an. Wieder komme ich über den zweiten Satz nicht hinaus. »Haaalt! Stopp!« Ein Laster ist im Hintergrund durchs Bild gerumpelt. Mit einer Engelsgeduld fährt der Kutscher noch einmal eine Extrarunde.
»Liebe Zuschauer! Herzlich willkommen auf Sylt …«, »Haaalt! Stopp!«

Dieses Mal ist es einer der beiden Tontechniker. »Ich habe ein komisches Knacken auf dem Band, so können wir das nicht senden.« Erneut werde ich bis zum Ende der Mole gefahren und wieder zurück. Ausgangsposition. Meine Zehen spüre ich schon lange nicht mehr. Doch der Zuschauer soll nicht merken, dass mir kalt ist. Denn meine Aufgabe im Team ist: Freude vermitteln. Das ist mein Anspruch. Und den nehme ich ernst. Mit Eisfüßen oder ohne. »Liebe Zuschauer! Herzlich willkommen auf Sylt …«

Beim vierten Mal geht alles gut: Die Pferde laufen brav, keine Möwe schreit, kein Auto hupt. Mein Text ist durch. Wunderbar, das war’s, denke ich. Aber die Redakteurin ist anderer Meinung. Ich soll mich bitte doch noch mal anders hinten in die Kutsche setzen, damit die Kamera eine etwas andere Perspektive aufs Meer und die Dünen einfangen kann. Bevor es weitergeht, drängt sich die Maskenbildnerin nach vorne. Meine Nase ist knallrot angelaufen und ich brauche dringend ein Taschentuch. Mit geübten Handgriffen restauriert sie mich.

Mittlerweile bin ich völlig durchgefroren, trotz dicker Jacke, Schal und Kuscheldecke über meinen Knien. Jetzt was Heißes, das wär wunderbar! Ob meine eingefrorenen Mundwinkel erst auftauen müssen, bevor ich den Tee im Mund behalten kann? Wenn ich jetzt auf meine Jacke schlabbere und mich umziehen muss, würde es für alle nur noch länger dauern. Also lehne ich das Angebot der Maskenbildnerin, die fragend ihre Thermoskanne hochhält, dankend ab. Neue Runde. Konzentration. Mein Gesicht fühlt sich an wie gebotoxt. Vergiss die Kälte! Du willst den Zuschauern rüberbringen, wie toll Sylt im Winter ist. Und das ist es ja auch, wenn man nicht gerade zwei Stunden lang regungslos in einer offenen Kutsche hocken muss. Erst beim fünften Mal ist die Szene endlich im Kasten. Aufnahmeleiter, Tontechniker, Beleuchter – alle sind zufrieden.

Zwei Stunden Herumfeilen an einer Szene, die später im Film kaum 20 Sekunden dauert. Das ist Drehalltag.
Wenn die Zuschauer später vor den Bildschirmen sitzen und mir zusehen, wie ich über das winterliche Sylt kutschiert werde, dann ist nicht sichtbar, wie viel harte Arbeit von vielen Menschen dahintersteckt. Genau das ist meine Motivation: Menschen eine tolle Zeit beim Zuschauen schenken und ihnen Lust aufs Reisen machen. Mit steifen Beinen steige ich aus der Kutsche und komme mir ganz und gar nicht mehr vor wie eine Prinzessin. Eher wie der fast hundertjährige Prinz Philip. Ich habe nur noch einen Wunsch: Wärme! Der Aufnahmeleiter ruft in die Runde: »Umsetzen zum nächsten Drehort!« Aus der kleinen Aufwärmpause wird wohl nichts …

Ich hab Eisfüße, eine rote Nase, vor Kälte tränende Augen – und den schönsten Job der Welt.

Mit kleinem Gepäck

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