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Stephanie Schuster: »Der Augenblick der Zeit«, Blessing Verlag

»Der Augenblick der Zeit« – ein Roman auf den Spuren Leonardo da Vincis

»Leonardos Werke erzählen Geschichten. Wir nehmen einen Augenblick wahr und befinden uns sofort in der Zeit von damals – eben im Augenblick der Zeit.«

Im Gespräch mit Stephanie Schuster über Kunst, Leonardo da Vinci und ihren Roman »Im Augenblick der Zeit«

Wie und wo haben Sie für Ihren Roman recherchiert?

Stephanie Schuster: Ich habe mich zu Anfang wieder intensiv mit Malerei und Kunst befasst, auch mit Kunstfälschung. Ich war z. B. im Doerner Institut in München, das auf Gemäldeanalyse spezialisiert ist. Dort habe ich mit Oberkonservatorin Dr. Heike Stege gesprochen, sie hat mich im Institut herumgeführt und mir die verschiedenen Verfahrenstechniken erklärt, die
zum Aufdecken von Fälschungen, aber auch zur Gemälderestaurierung verwendet werden. Oft können alte Gemälde trotz mühevollster Rekonstruktion nicht mehr vollständig wiederhergestellt werden. Die Handschrift eines Künstlers ist einmalig, das macht Kunst im Zeitalter der Digitalisierung und Reproduzierung so spannend und immer noch einzigartig.

Ein Teil meiner intensiven Recherche über Leonardo da Vinci fand in Mailand statt, wo er als Hofkünstler bei den Sforzas lebte und wo der größte Teil meines Romans spielt. In Mailand findet man noch heute viele Zeugnisse von ihm. Im Viertel San Marco steht eine Schleuse, die er entworfen hat. Im 15. Jahrhundert war Mailand von Kanälen durchzogen. Wo heute Straßen sind, sah es einst aus wie in Venedig. Auf diesen alten Wasserwegen wurde der rosaschimmernde Marmor aus Norditalien bis zum Dom transportiert.
Sehr beeindruckt war ich vom Stadtschloss, der mächtigen Festung der Sforzas, die auch Geheimtüren und -gänge hat, was natürlich unbedingt in den Roman mit aufgenommen werden musste. Leonardo hat im »Castello Sforzesco« nicht nur die prunkvollen Säle gestaltet, Labyrinthe aus Blattwerk an den Wänden, er war auch Kriegsbaumeister, Musiker und Kostümbildner für »Il Moro«, den damaligen Herrscher Ludovico Sforza, der ausgefallene Hoffeste liebte. Und er hat viele Jahre am »letzten Abendmahl« gearbeitet, das im Refektorium von Santa Maria delle Grazie zu sehen ist. Nur eine begrenzte Besucherzahl darf eine Viertelstunde in den abgedunkelten Raum, und als ich endlich davorstand, war ich sehr ergriffen.

Leonardo war ein Universalgenie, er hat sich mit allem befasst, was das Menschsein ausmacht. In der Leichensektion kannte ich mich durch frühere Recherchen schon aus, in Sternkunde und Sterndeutung recherchierte ich mit Hilfe einer Astrologin und eines Astronomen. Zu Leonardos Zeiten war das noch eine vereinte Wissenschaft, die oft Ärzte verübten. Als Patient ließ man sich zur Ader und erhielt zugleich Prophezeiungen, die der Sternkundige aus den Planetenkonstellationen herauslas.
Um meine Figuren in der Gegenwart besser zu verstehen, war ich in Berlin und habe den Lichtplaner Olaf Adam getroffen, der wie Oliver Rauch im Roman das optimale Licht in Museen ausrichtet. Seine Arbeit ist Demut vor der Kunst, sagt er. Das beste Licht bemerkt man nicht. Licht spielt bei Farben und in der Malerei überhaupt eine große Rolle, genauso wie der Schatten. Die Kapitelnamen sind Pigmentnamen und sie führen vom Dunklen ins Helle. So habe ich mich mit der Farbherstellung und der Wirkung der Farben auf unsere Gefühle beschäftigt.


Malen Sie selbst auch und hatten Sie schon einmal eine Malblockade, wie Ihre Figur, die Künstlerin Ina Kosmos?

Stephanie Schuster: Ja, ich male seit ich einen Pinsel halten kann. Mein Vater, Josef Wagner, ist Maler, so wuchs ich mit der Selbstverständlichkeit auf, sich durch Kunst auszudrücken, erfuhr aber auch die Schwierigkeit, Anerkennung für das Erschaffene zu finden und davon leben zu können. Zugleich liebte ich Bücher und Geschichten und träumte davon, eines Tages selbst einen Roman zu schreiben und auch zu illustrieren. Eine Malblockade wie meine Hauptfigur hatte ich noch nicht, dafür bin ich Expertin in Schreibblockaden. Da ich einige Jahre ausschließlich mit dem Schreiben verbrachte, hatte ich das Malen etwas aus den Augen verloren. Das Schreiben an »Der Augenblick der Zeit« hat mich zurück zu meinen Wurzeln gebracht. Ich habe wieder mit der freien Malerei und Illustration begonnen, was vor dem Schreiben für Erwachsene mein Hauptberuf war. Der Roman ist also für mich persönlich auch eine kreative Reise gewesen.


Ihr Roman beruht zum Teil auf historischen Fakten, welche sind das?

Stephanie Schuster: Alle Figuren in der historischen Perspektive gab es wirklich. Die Habsburger Familie um den Kaiser Friedrich III. und seinen Sohn Maximilian I., der sich selbst als »der letzte Ritter« bezeichnete. Dann die Hofkünstler und Hofbaumeister der Sforzas, die Herrscherfamilie der Sforzas selbst, die Donaugesellschaft in Wien, die Wiener Universität und ihre Gelehrten. Die Geschichte der Entstehung von »La bella principessa« wird aus der Sicht von Georg Tannstetter erzählt. Er war ein bayerischer Astronom, Astrologe, Leibarzt des Kaisers, Humanist und Mathematiker. Seine Lebensstationen von Rain am Lech bis nach Wien habe ich sorgfältig recherchiert. Er sagte Maximilian I. den Tod voraus, als er eine Sonnenfinsternis berechnete. Seither trug der Kaiser auf all seinen Reisen einen Sarg bei sich. Und tatsächlich, 1519, als der Mond die Sonne verdunkelte, wurde der Kaiser gebrechlich und starb bald darauf. Mein Hauptaugenmerk galt aber der Kaiserin, Bianca Maria Sforza, die als aufbrausende Italienerin im spartanischen Innsbruck sehr unglücklich gewesen sein muss, auch weil sie Maximilian I. keine Kinder gebären konnte. Sie, Tannstetter und Leonardo sind im Roman durch die Fakten und besondere Geheimnisse eng verbunden.


Erzählen Sie uns die wahre Geschichte hinter dem Gemälde »La bella principessa« und wie Sie davon erfahren haben.

Stephanie Schuster: Ich habe einen Dokumentarfilm über das Bild gesehen und wusste sofort, darüber möchte ich schreiben. Der Kunsthändler Peter Silverman hat es bei einer Auktion entdeckt und ist auf den Widerspruch zwischen Katalogtext und Darstellung gestoßen, angeblich soll es sich um ein deutsches Gemälde aus dem 19. Jahrhundert handeln. Die besondere Malweise, die Kleidung und Frisur deuten aber auf ein viel älteres Bild hin. Wäre es ein echter Leonardo, wäre es 100 Millionen Euro wert. Darum bat er den englischen Leonardo-Experten Martin Kemp, das Porträt zu analysieren, und tatsächlich stellte sich heraus, dass es auf Kalbshaut gemalt wurde, die aus der Zeit der Renaissance stammt. Aber das ist erst der Anfang einer langen Beweiskette und am Ende kann man vermutlich nicht mit Sicherheit sagen, ob Leonardo es wirklich gemalt hat. Dies war für mich Inspiration pur, so konnte ich rund um das Bild eine eigene Geschichte erfinden, und wie so oft, stieß ich auf viele historische Details, die ich in meinen Roman einband.


Gibt es immer noch verschollen geglaubte Leonardo-Bilder, die heutzutage wieder auftauchen?

Stephanie Schuster: Ja, erst kürzlich wurde der »Salvator Mundi«, nachdem seine Echtheit bewiesen war, für 450 Millionen Dollar versteigert. Frau Dr. Stege vom Doerner Institut erzählte mir, dass sie fast jede Woche einen »Leonardo« oder »Van Gogh« oder eine »Gabriele Münter« zur Analyse angeboten bekäme, die jemand auf dem Dachboden oder in Großtante Olgas Vermächtnis entdeckt habe. Natürlich kennen auch die Fälscher Tricks, um den Kunstmarkt weiterhin mit »Meisterwerken« zu bedienen. Leonardo hat relativ wenige Gemälde hinterlassen, einige sogar gar nicht fertig gemalt. Die Gründe waren vielfältig und das bietet Stoff für Spekulation und die Hoffnung, dass wirklich noch weitere Bilder von ihm existieren.


Wer würde einen echten Leonardo da Vinci erkennen und mit welchen Techniken kann man die Echtheit nachweisen?

Stephanie Schuster: Wissenschaftler untersuchen das Bild auf die chemische Zusammensetzung, analysieren die Farben und Farbschichten. Fälscher werden überführt, wenn sie z. B. Tubenfarbe für ein altes Gemälde verwenden, die es damals noch nicht gab. In der Renaissance war Farbherstellung ein sehr aufwendiges Prozedere, auch gesundheitsschädlich, weil viele Pigmente und Malmittel giftig waren. Ideal ist es natürlich, wenn man Fingerabdrücke findet und sie nicht von den vielen Besitzern stammen, sondern von Leonardo. Auf »La bella principessa« wurde ein Fingerabdruck entdeckt, und was das bedeutet, darüber habe ich im Roman geschrieben.
Kunsthistoriker, die sich mit Leonardos Werk, seinen Schülern und seinem Umfeld auskennen, können das Bild in die richtige Epoche einordnen. Sie kennen sich auch mit Leonardos Malweise aus, wie der bei der »Mona Lisa« oder auch auf seinen vielen Zeichnungen, die er mit einem Silberstift anfertigte. Als Letztes müssen die Expertisen noch juristisch überprüft werden. Was sich wie trockene Wissenschaft anhört, ist äußerst spannend. Denn Leonardos Werke speichern nicht nur die Pigmente und Pinselstriche, sie erzählen Geschichten, die des Malers und seines Modells. Beim Betrachten aktivieren wir mit unseren Augen die gesamten Sinne. Wir nehmen einen Augenblick wahr und befinden uns sofort in der Zeit von damals. Eben im »Augenblick der Zeit«.

München, März 2018

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