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Willibert Pauels: Lachen, leiden, Lust am Leben

Willibert Pauels: Lachen, Leiden Lust am Leben

»Der plausibelste Hinweis, dass es Wasser gibt, ist der Durst.«
Eugen Drewermann



Damit sind wir bei der zweiten möglichen Antwort auf die Frage: Warum tragen alle Menschen, die nicht gerade Psychopathen sind, in sich die Sehnsucht, dass wir mehr sind als ein biochemischer Zellhaufen? Nämlich: Weil wir mehr sind! Nicht, weil das für die Arterhaltung sinnvoll ist, sondern weil es wahr ist. Wir haben diese Sehnsucht, weil es eine Quelle gibt, die diese Sehnsucht stillt. Wie der Theologe Eugen Drewermann es formuliert hat: »Der plausibelste Hinweis, dass es Wasser gibt, ist der Durst!« Und dieser Durst ist uralt. Aurelius Augustinus formulierte vor mehr als 1.700 Jahren: »Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir.« Und der Psalmist schrieb schon vor 2.600 Jahren in einem der ältesten Texte der Weltliteratur: »Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir.«

Apropos Hirsch: Ein kleiner Hirsch steht am Bergsee und trinkt von dem klaren Wasser. Als sich die Wasseroberfläche beruhigt, betrachtet er sein Spiegelbild und ruft, völlig begeistert von sich selbst: »Ich bin der König der Tiere!« Wieder nimmt er ein paar Schlucke, wartet, bis sich das Wasser beruhigt, ergötzt sich an seinem Spiegelbild und ruft: »Ich bin der König der Tiere!« So geht es noch zwei-, dreimal. Plötzlich donnert eine schwere Pranke auf seine Schulter nieder. Der kleine Hirsch dreht sich um und sieht einen riesigen Grizzlybär hinter sich stehen, der ihn wütend anbrüllt: »Waaaas bist du?« »Och«, sagt der Hirsch, »man sagt viel, wenn man was getrunken hat!«

Den Durst nach Gott sehr poetisch in Worte gefasst hat auch der Dichterpriester Ernesto Cardenal. Politisch hat der inzwischen über 90-Jährige meiner Meinung zwar nach nicht alle Latten am Zaun, weil er immer noch für den Kommunismus plädiert, aber in seiner religiösen Sprache ist er für mich ein wahrer Goldmund.

Er schreibt: »In den Augen aller Menschen wohnt eine unstillbare Sehnsucht. In den Pupillen der Menschen aller Rassen, in den Blicken der Kinder und Greise, der Mütter und liebenden Frauen, in den Augen des Polizisten und des Angestellten, des Abenteurers und des Mörders, des Revolutionärs und des Diktators und in denen des Heiligen: In allen wohnt der gleiche Funke unstillbaren Verlangens, das gleiche himmlische Feuer, der gleiche tiefe Abgrund, der gleiche unendliche Durst nach Glück und Freude und Besitz ohne Ende.«

Für Ernesto Cardenal ist diese Sehnsucht eine Sehnsucht nach Gott, das Verlangen ein Verlangen nach Gott, der Durst ein Durst nach Gott. »Dieser Durst, den alle Wesen spüren«, schreibt er, »ist die Liebe zu Gott. Um dieser Liebe willen werden alle Verbrechen begangen und alle Kriege gekämpft, ihretwegen lieben und hassen sich die Menschen. Um dieser Liebe willen werden Berge bestiegen und die Tiefen der Meere erforscht, für sie wird geherrscht und intrigiert, gebaut und geschrieben, gesungen, geweint und geliebt. Alles menschliche Tun, sogar die Sünde, ist eine Suche nach Gott. [...] Der unstillbare Hunger der Diktatoren nach Macht und Geld und Besitz ist in Wirklichkeit Liebe zu Gott. Der Liebende, der Forscher, der Geschäftsmann, der Agitator, der Künstler, der kontemplative Mönch, alle suchen sie dasselbe, nämlich Gott und nichts als Gott.«