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»Wollmann widersetzt sich« - ein Roman von Paul Beldt (Heyne Verlag)

1. Ich hatte es ja eigentlich nicht geplant. Aber irgendwann reichte es mir. Man darf seiner Frau einfach nicht alles durchgehen lassen. Seit sieben Wochen zelte ich jetzt im Vorgarten unseres Hauses. Und ich werde solange hier bleiben, bis mir meine Frau unmissverständlich mitgeteilt hat, was sie von dem Mann an ihrer Seite erwartet. Bislang lehnt sie jede Festlegung zwar kategorisch ab, doch ich weiß, dass meine Zeit kommen wird.


2. Inzwischen bin ich eine Art Sehenswürdigkeit in der Gegend. Die Leute fotografieren mich. Sie fotografieren praktisch alles: das Zelt, den Campingtisch, an dem ich esse und meine Zeitung lese, sofern es nicht regnet. Das Gemüsebeet, das Windrad, die Hängematte, in der ich mittags gerne ausruhe, obwohl es eigentlich nichts gibt, wovon ich mich erholen müsste. Das kleine Gehege mit dem Kaninchen, das ich beim Mümmeln und Hoppeln beobachte, was mir seltsamerweise nie langweilig wird, obwohl es im Grunde tagein, tagaus nichts anderes tut, als zu mümmeln und hoppeln.



3. Seitdem eine Boulevardzeitung über mich berichtet hat – „Bernd W. (46 ), verheiratet mit einer hohen Beamtin im Bundesjustizministerium, lebt seit mehreren Wochen im Zelt vor seiner Villa im Grunewald. – Ist die Emanzipation jetzt auch bei den Männern angekommen?“, darunter ein Foto: Ich sitze mit kurzer Hose im Campingstuhl und rauche eine Zigarre –, fahren regelmäßig ganze Busladungen mit Neugierigen vorbei, die es anscheinend nicht abwarten können zu sehen, wie der emanzipierte Mann von heute so lebt. Manchmal, wenn mir danach ist, gebe ich Autogramme und beantworte Fragen. Insbesondere Männer fragen mich, gegen was ich denn protestiere und ob ich ihnen Tipps geben könne. Dabei protestiere ich gegen nichts und kann auch keine besonderen Tipps geben. Ich will einfach nur meine Ruhe haben. Ich will dasitzen, Zeitung lesen und dem Kaninchen beim Mümmeln zuschauen.



4. Wenn Jutta, meine Frau, morgens um acht das Haus verlässt, wünscht sie mir einen guten Morgen, während ich im Zelt liege und kurz grunze. Damit weiß sie, dass ich noch lebe. In meinem Alter sind Herzinfarkte nicht selten, und da ich leichtes – meine Frau meint „erhebliches“ – Übergewicht habe, erbat sich Jutta ein Lebenszeichen „meiner Wahl“, sodass sie sich keine Sorgen zu machen braucht. Meine Frau kann derart nachsichtig sein, dass es nicht zum Aushalten ist. Allerdings hege ich inzwischen den leisen Verdacht, dass ihr Wunsch nicht ganz uneigennützig ist. Denn wenn herauskäme, dass ihr Ehemann tagelang tot im gemeinsamen Vorgarten liegt, wäre das für ihre weitere Karriere im Bundesjustizministerium sicherlich nicht von Vorteil.



5. Alle drei Tage kommt der Initiator des Fan-Clubs, Herr Wündisch, ein frühpensionierter Lehrer aus Wilmersdorf, an den Zaun, um die neuesten Entwicklungen im Vorgarten zu dokumentieren und ins Netz zu stellen. Offenbar sieht er in mir das Symbol einer neuen Generation von Männern, die sich dem Leistungsdruck der Gesellschaft verweigern, um ohne jeglichen Ehrgeiz einfach nur noch zu existieren. Obwohl ich mich nicht als Symbol betrachte, fühle ich mich dem stillen Protest durchaus nahe, weshalb ich Herrn Wündisch gewähren lasse und ihm gestatte, mir Fragen über mein Leben im Vorgarten zu stellen. Dabei sage ich eigentlich nichts Besonderes. Ich rede über meinen Alltag im Vorgarten, was ich zum Frühstück esse, welche Artikel mich in der Zeitung am meisten interessieren, wie ich Unkraut jäte, in der Hängematte schaukel und dem Kaninchen zuschaue, kurz, was ich den ganzen Tag über so treibe, ohne dass mir im Geringsten langweilig wird.



6. Einmal am Tag gehe ich ins Haus, um mich zu waschen und mir Essen zu holen. Es reicht vollkommen aus, sich einmal täglich ordentlich zu waschen. Alle darüber hinausgehenden Maßnahmen zur Abwehr des Eigengeruchs erachte ich inzwischen als Zwangsverhalten. Dabei erlebe ich die Umwelt durch den Dunstschleier meines Körpergeruchs plötzlich ganz neu. Ich habe das Gefühl, auf einmal viel näher am Leben dran zu sein, ja manchmal ergreift mich die rührende Gewissheit einer tiefen Verbundenheit mit den Pflanzen und Tieren. Nachmittags liege ich oft im Gras, stecke meinen Kopf durch eine extra angefertigte kopfgroße Öffnung des Kaninchengeheges und nage an einer Möhre.



7. Seltsamerweise schien mich auch Jutta zunächst nicht zu vermissen. Ich bin immer davon ausgegangen, dass meine Frau keine zwei Tage ohne meine liebende Fürsorge auskommen würde. Offenbar ist das eine schwere Fehleinschätzung.
Die Frage, die ich mir beim Kauen meiner Mohrrübe manchmal stelle, ist: Brauchen uns die Frauen überhaupt noch? Längst bin ich mir nicht mehr hundertprozentig sicher, ob die Beziehung zwischen Mann und Frau angesichts der neuesten Entwicklungen überlebensfähig ist. Und bei diesen Entwicklungen, so scheint mir, gerät der Mann eindeutig ins Hintertreffen.