Rezension R. Hagencord
Von:
Edgar Guhde
aus Düsseldorf
31.12.2011
Von: Elisabeth Petras
Das neue Werk des Biologen und Theologen Dr. Rainer Hagencords: "Die Würde der Tiere" konnte kaum zu einem geeigneteren Zeitpunkt erscheinen. Mittlerweile ist nicht nur durch Berichte von Tierschützern und Fernsehdukumentationen, sondern auch durch offizielle wissenschaftliche Untersuchungen bekannt geworden, dass die heute übliche Intensivtierhaltung zu erheblichen Schäden, Schmerzen und Leiden der Tiere führt. So zeigt eine aktuelle Studie des Bundeslandwirtschaftsministeriums, dass Puten zu fast 100% an Fußballendermatits leiden - offenbar von den Behörden geduldet (1). Die Tierversuchszahlen sind trotz gegenteiliger Beteuerungen ebenfalls weiter gestiegen und das seit einiger Zeit im Grundgesetz befindliche "Staasziel Tierschutz" scheint daran nicht viel ändern zu können. Daher stellt sich in immer drängenderer Weise die Frage nach der Würde, nach der potentiellen Unantastbarkeit der Tiere. Was dürfen wir mit Tieren tun? Wo liegen die Grenzen? Und was sagt eigentlich die Bibel dazu?
Hagencord zeigt zunächst zunächst anhand seiner eigenen Entwicklung innerhalb der Strukturen der Kirche auf, wie sich die Nichtbeachtung der Tiere, ja auch der von uns mit dem Tier verbundenen menschlichen Eigenschaften wie z. B. der Sexualität auf den Menschen auswirken. Sind wir Menschen nur "Geistseele"? Gibt es eine solche überhaupt und wie war sie biblisch ursprünglich zu verstehen? Sind nicht vielmehr alle Geschöpfe mit der göttlichen Lebensseele (Naep[h]es) beseelt? Was sind wir ohne die Tiere? Können wir von ihnen lernen? Ja, ist nicht eine neue, umfassende, ganzheitliche Weise des Gottesglaubens erst dann möglich, wenn wir unsere Mitgeschöpfe nicht mehr aus Theologie und Ethik ausschließen? Diese Gedanken, die zum Teil schon in früheren Schriften Hagencords zu finden sind, werden hier weitergeführt und mit den Bereichen der tiergestützten Pädagogik, der Lyrik, der Philosophie Martin Bubers, der Theologie des Nikolaus von Kues, der Systematik Karl Barths auf Grundlage Albert Schweitzers und den vielfältigen neuen Erkenntnissen der Verhaltensbiologie verknüpft.
Ausführlich werden die Erkenntnisse Jane Goodalls reflektiert, die durch Beobachtungen belegte, dass Schimpansen zur Trauer, zur prosozialen Hilfe, aber auch zur Empathie bis hin zum "Denken über das Denken" ihrer Mitaffen in der Lage sind. Ausführlich wird auch im pädagogischen Teil auf die unterschiedlichen Fähigkeiten der unterschiedlichen Tierarten eingegangen, die ja zudem noch individuell ausgeprägt sind. Recht als Kamel fühle ich mich, wenn ich lese, kein Kamel liebe es, einen einmal gegangenen Weg ein zweites Mal zu gehen - dies sei scheinbar unter seiner Würde, wie der Autor humorvoll und doch zum Nachdenken anregend bemerkt. Wie anregungsarm sind heutige Intensivtierhaltungen? Werden diese wirklich den Tieren gerecht?
Im theologischen Teil geht Hagencord auf die Schöpfungsberichte, die Psalmen, aber auch auf den philosophischen Text der Bibel und die Rede Gottes an Hiob ein. Sie alle thematisieren nicht nur die enge Verbindung zwischen Mensch und Tier, sondern sie zeigen auch die Beziehung zwischen Gott und seinen Tier-Geschöpfen auf. Die Tiere "schreien zu Gott", sie loben ihn - ja, der Mensch soll, wie die Spruchweisheit besagt, von ihnen lernen und (so lernt Hiob von Gott) durch ihr Verhalten sogar Gott erkennen! Doch nicht nur im Alten Testament, auch in den Apostelbriefen (Kolosser 1, 15ff. u. a.) und der Apostelgeschichte wird deutlich, dass Gott in allen Geschöpfen wirkt - und sie "in ihm und zu ihm" geschaffen sind, wie nicht nur der Kolosserbrief zum Ausdruck bringt. Wenn Gott tatsächlich die Kraft ist, die in allen Lebewesen wirkt und zu dem alles Leben zrückkehrt, so bedingt dieser Gedanke nicht nur einen noch weiter verstärkten Respekt vor den Mitgeschöpfen, er eröffnet auch solchen Menschen Wege zum Glauben, die sich wegen des vermeintlichen Gegensatzes von Evolutionstheorie und Schöpferglauben, der Leibfeindlichkeit oder auch der Schöpfungsvergessenheit der Kirche wegen vom Christenglauben abgewendet hatten.
Vielleicht kann das neue Werk Rainer Hagencords dazu beitragen, die Kirche wieder zu "erden", vor allem aber einer Gesellschaft, in welcher das uns so ähnliche Tier milliardenfach seiner Individualität beraubt unter Missachtung seiner Bedürfnisse in "Kilogramm pro Quadratmeter" für Luxusbedürfnisse einer Oberschicht ausgebeutet wird, die Ethik der Mitgeschöpflichkeit und die verhaltensbiologischen Grundlagen zu liefern.
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Elisabeth Petras
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