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Interview mit Tim Mälzer zu HEIMAT

Tim Mälzer im Interview zu seinem Kochbuch HEIMAT

Tim Mälzer
© Philipp Rathmer
Für sein neues Kochbuch hat Tim Mälzer sich auf eine kulinarische Reise vom Bodensee bis nach Sylt begeben. Welche Überraschungen er erlebt hat, was Traditionsküche hierzulande besonders gut kann und warum Heimatliebe durch den Magen geht, erzählt er im Interview.

Sie sind in Pinneberg, Schleswig-Holstein, geboren und fühlen sich in der Metropolregion Hamburg verwurzelt. Welche typischen Gerichte aus dieser Region schmecken für Sie nach Heimat?

Grünkohl, Steckrübeneintopf, Labskaus und Bratkartoffeln.

Warum geht die Liebe zur Heimat bei fast allen Menschen durch den Magen?

Die Familie ist der erste Freundeskreis, den man hat. Man wird in etwas hineingeboren und man wird versorgt. Prägung ist eine ganz entscheidende Phase in der menschlichen Entwicklung, und in dieser Phase wird man auch kulinarisch geprägt. Die Familie lebt ja meisten an einem festen Ort, und ich glaube, dass daher diese Verbindung kommt.


In Ihrem neuen Kochbuch HEIMAT stellen Sie Gerichte vor, die hierzulande traditionell zu Hause gekocht werden. Welche Merkmale kennzeichnen diese Küche?

Diese Küche ist keine Drei-Komponenten-Küche, das soll heißen, es gibt keine drei, vier Töpfe gleichzeitig auf dem Herd. Klassische Hausmannskost ist eine relativ simple Sache – sei es ein Blumenkohl mit Käsesoße, sei es eine Frikadelle mit Kartoffelsalat, sei es die Roulade mit Salzkartoffeln – es sind immer nur ein, zwei Komponenten, die zusammengeführt werden, maximal ein kleiner Salat dazu, aber so, dass man sich nicht wie in einem Gourmetrestaurant mit einer unterschiedlichen Differenziertheit von Konsistenzen, Geschmäckern, Gewürzen, Süße-Säure-Spielen et cetera den Kopf macht, sondern die Gerichte müssen einfach das Herz berühren und das war´s. Produkt und gutes Handwerk stehen bei der Hausmannskost im Vordergrund.


Viele hierzulande lieben die mediterrane Küche, bewundern die französische Kochkunst und sind fasziniert von der geschmacklichen Vielfalt und Exotik der asiatischen Küche. Die deutsche Küche gilt dagegen als wenig feinsinnig, fett und fleischlastig – nichts für Gourmets. Wird die deutsche Küche unterschätzt?

Ja, komplett. Es ist wie so oft: Der Held im eigenen Land zählt wenig, und das gilt insbesondere für die Küche. Wenn man das Heimatkochbuch durchblättert, wird man feststellen: Es hat einen sehr mediterranen Touch. Die gesamte Art und Weise wie angerichtet wird, wie gekocht wird. Es wirkt gar nicht so derb und deftig. Fleischlastig ja, aber wir sind ein landwirtschaftlich geprägtes Land, wir haben Milchwirtschaft, wir haben Schweine, Ziegen und Geflügel in allen Qualitätsstufen und Varianten.

Und unser Traditionsessen ist oftmals durch den Anlass geprägt, sprich, den Sonntagsbraten. Im Mittelpunkt stehen selten Alltagsgerichte, die von montags bis freitags auf den Tisch kommen, sondern der Eindruck vom Traditionsessen ist durch bestimmte situative Essen geprägt, und die finden meist an Wochenenden, Feiertagen und Geburtstagen statt. Geht man zum Beispiel nach Frankreich, dann stellt man fest: Sie kochen genauso. Dort wird nicht wesentlich filigraner gekocht, vielleicht auf der Ebene des professionellen Restaurantkochs, aber die traditionelle französische Küche ist nicht gekennzeichnet durch Feinheit und Raffinesse. In Italien ist es das gleiche: Ein Ossobuco ist nicht raffiniert. Ob Ossobuco oder Roulade – da sehe ich keinen großen Unterschied. Nur in unserer Wahrnehmung: Ossobuco klingt besser als „Ruuloade“ (Tim Mälzer zieht das Wort augenzwinkernd in die Länge). Oder gucken Sie sich unsere Maultaschen an. „Maultasche“ klingt schon so ein bisschen maulig. Ravioli hört sich viel besser an.


Was kann die traditionelle Heimatküche in Deutschland im Vergleich zur Küche anderer Länder besonders gut?

Wir haben wirklich herausragende Produkte. Doch ich möchte betonen, dass es nicht um einen Wettbewerb der Länderküchen geht. Es geht um die Aufforderung, sich einmal unmittelbar vor der Haustür umzusehen. Es lohnt sich, denn wir haben so viele gute Sachen.
Um Kulinarik zu genießen, braucht man nicht extra nach Spanien, Italien oder Frankreich reisen. Man wird ganz schnell begeistert sein von der Vielfalt und der Abwechslung der Heimatküche, die sich auch in diesem Buch spiegelt. Wir waren gerade mitten in der Produktion – da waren wir auch schon fertig, weil das Buch nicht mehr Seiten hatte. Dabei hatten wir erst eine Auswahl allgemein heimatlicher Gerichte aufgenommen und waren noch gar nicht auf feinere regionale Unterschiede eingegangen.


Sie erzählen in Ihrem Buch, Sie hätten ein paar Klassiker gründlich entstaubt. Können Sie dafür Beispiele nennen?

Zunächst habe ich mich beim Entwickeln der Rezepte immer sehr stark an den Produkten orientiert, zum Beispiel mit Räucheraal andere Dinge gemacht als immer nur Aalsuppe. Die Kohlroulade ist sehr viel leichter, mediterraner und zeitgemäßer, als wir sie sonst kennen. Und das gilt für viele Gerichte in meinem Buch: Neu und besonders macht sie der leichte, etwas mediterrane Blick. Übrigens sind die Bilder, die man in meinen Büchern sieht, echt, da gibt es keinen Foodstylisten, da ist kein Haarspray, kein Lack dran, das sind wirklich gekochte Gerichte.

Gab es auf Ihrer kulinarischen Reise durch Deutschland – Sie kennen die Küchen der Welt und geben mit HEIMAT Ihr nunmehr sechstes Kochbuch heraus – noch Überraschungen und Neuentdeckungen für Sie?

Ich war ständig überrascht. Wie gut die Produktqualität in Deutschland ist und wie nah alles ist. Denn man denkt immer, man muss tausend Spezialitätenläden aufsuchen. Und dass das Handwerk in Deutschland gerade wieder eine Renaissance erlebt, die mehr als unterstützenswert ist.


War es auch das, was Sie bei Ihren Begegnungen mit Produzenten am meisten fasziniert und begeistert hat? Sie haben sich ja vom Bodensee bis nach Sylt mit Landwirten, Viehzüchtern, Fischern, Gärtnern, Weinbauern, Bierbrauern, Köchen und Bäckern ausgetauscht.

Ja, und dass alle sich auf eines berufen: auf gutes Handwerk. Da ist kein Spinner dabei gewesen, kein Ferrarifahrer, der gesagt hat: „Ich mach das einzig tolle Bier!“, sondern er hat gesagt: „Ich mache ein hervorragendes Bier, so wie viele andere auch, und das und das ist sein Charakter.“ Die Leute, die wir besucht haben, haben jeweils in ihren Produkten eine Ecke, eine Kante, einen Charakter gezeigt, eben etwas ganz Besonderes und keine industrielle Gleichförmigkeit.


Wie steht es heute in der Gastronomie um die Pflege der deutschen Küchentradition?

Das Problem ist: Die Heimatküche ist nicht unbedingt eine Tellerküche. Einen Schweinebraten kann man natürlich auf dem Teller anrichten, aber er muss im Großen gekocht werden. Und wenn ein Wirtshaus keinen großen Durchlauf hat und nur alle zwei Tage einen Schweinebraten verkauft, kann er nicht in dieser Brillanz angeboten werden, in der wir ihn erwarten. Für einen Kartoffelsalat müsste ich heutzutage rein kalkulativ 8,50 Euro nehmen, weil er mit sehr viel Arbeitskraft verbunden ist. So viel kann ich aber nicht verlangen, weil er für die Menschen nach wie vor ein 2,50 Euro-Gericht ist. Ein Rinderfilet bereitet mir wenig Arbeit, aber ich kann es teuer verkaufen, weil es anders wertgeschätzt wird. Selbstgemachte Maultaschen erfordern ihre Zeit, es steckt Handwerk drin und man muss auf den Punkt arbeiten, eine relativ komplexe Angelegenheit also, aber die Leute sagen: „Maultaschen für 20,-- Euro würde ich nicht essen.“ Meines Erachtens wird die Heimatküche deshalb eine häuslichere Küche bleiben. Und wir sind selber ein wenig schuld daran, wenn wir lieber sechsmal die Woche zum Italiener gehen, als das lokale Wirtshaus zu unterstützen.


Pizza und Pasta zählen vor allem bei Kindern zu den Lieblingsgerichten. Mit Ihrem Projekt „Klasse, Kochen!“, einem Kochwettbewerb für Schüler, engagieren sich
stark dafür, Kindern Ihr Wissen über ausgewogene Ernährung und leckeres, frisch zubereitetes Essen weiterzugeben. Stehen Traditionsgerichte wie Rinderrouladen und Königsberger Klopse, Matjes, Rotkohl und Milchreis in Familien heute überhaupt noch auf dem Speiseplan?


Es gibt Familien, in denen sehr viel gekocht wird, allerdings nicht mehr so stark regional. Die Globalisierung hat Einzug in die heimischen Küchen gehalten, was ich gut und richtig finde. Ich denke allerdings, dass ein paar Sachen in Vergessenheit geraten, weil sie aufwendig in der Kochzeit sind. Nicht in der Zubereitungszeit. Eine Roulade dauert zwei Stunden. Fertig. Aber die Zubereitung der Roulade dauert eigentlich nur zwanzig Minuten. Und die Kochzeit ist das, was den Leuten manchmal im Weg steht.


Hat sich die deutsche Heimatküche im Hinblick auf Gastronomie und Produzenten in den letzten 20 Jahren verändert?

Ich glaube, eine Zeitlang war Preis das alles entscheidende Segment. Hauptsache billig. Doch gerade in den letzten fünf bis zehn Jahren findet ein Umdenken statt. Die Regionalität lebt wieder hoch, und damit meine ich echte Regionalität. Man ist bereit, bestimmte Produkte genau in ihrer Region zu lassen. Darin besteht Vielfalt und Authentizität.

Natürlich kann ich überall auf der Welt Nudeln und Pasta essen oder ein Iberico-Schwein, aber wo bekommt man schon ein richtig schönes Schwäbisch Hällisches Landschwein? Ich esse zum Beispiel wirklich gern Weißwürste, aber nur in Bayern. Ich will sie nicht in Hamburg essen.


Zu einem guten Essen gehört das passende Getränk. Welchen Einfluss haben in Deutschland Bier und Wein auf die Küche?

Den Einfluss sieht man relativ deutlich. Norddeutsche Küche ist stärker vom Bier beeinflusst, vom eher herben, bitteren und kräftigen Geschmack, je weiter man sich nach Süden bewegt – abgesehen natürlich davon, dass es in Bayern auch sehr viel Bier gibt – desto stärker wird der Einfluss des Weins. Es gibt in Deutschland hervorragende Weine, und je raffinierter das Getränk, desto raffinierter auch ein bisschen die Küche.


Der Moment ist gekommen, die Heimatküche neu zu entdecken, davon überzeugen Sie mit Ihrem Buch. Was macht die traditionelle deutsche Küche so zeitgemäß?

Im Zeitalter der Globalisierung und des alles rund um die Uhr Haben-Wollens, bedarf es manchmal eines Ruhepols: Es ist die gute alte Feuerstelle. Mir geht es nicht darum, dass wir nur noch deutsche Traditionsgerichte essen. Aber wir lassen andere Kulturen oftmals sehr hochleben, sei es die italienische Pastakultur, die französische Esskultur oder die asiatische Küche, und vergessen dabei, dass wir selber so viel Schönes haben. Wir haben bisher sehr viel über den Tellerrand hinausgeguckt, jetzt ist es an der Zeit, auch einmal wieder zu fragen: Was können wir?

© Mosaik Verlag, Interview: Elke Kreil

Heimat

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