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SPECIAL zu Sadie Jones »Jahre wie diese«

Hinter den Kulissen des Herzens

Sadie Jones über ihren neuen Roman JAHRE WIE DIESE

Vor einiger Zeit fiel mir ein Foto in die Hände, das während der Proben für „Betrogen“ entstand, als dieses Stück Harold Pinters 2013 in New York neu auf die Bühne gebracht wurde. Auf diesem Foto sind drei Menschen zu sehen; sie berühren sich weder, noch sehen sie sich an – sie sind durch irgendetwas miteinander verbunden, das unserem Blick verborgen bleibt. Sie befinden sich offensichtlich bei der Arbeit – auch wenn der Spaß, den sie dabei haben, die Situation nicht nach Arbeit aussehen lässt –, und man braucht einen Moment, um zu erkennen, um wen es sich handelt: Es sind Rafe Spall, Rachel Weisz und Daniel Craig. Sie machen nicht das, was wir Schauspieler oft tun sehen: vorgeben, jemand anderer zu sein, oder für ein Interview ihr „wahres Selbst“ zeigen. Der Fotograf hat sie in einem ungezwungenen Moment eingefangen, leicht verletzlich. Sie scheinen unglaublich glücklich, das strahlt durch die Linse, über den Rahmen des Bilds.

Das unsichtbare Etwas, das diese drei Personen verbindet, ist das Theaterstück. Es ist die Energiequelle im Bild; wir sehen Menschen, die sich selbst vergessen, während sie eine andere Welt erschaffen. Als ich das Foto in die Finger bekam, schien es mir gleich bekannt; es war, als sähe ich den Geist eines Urahnen meines Romans JAHRE WIE DIESE. Da waren sie: drei Menschen, die Elemente einer archetypischen Ménage-à-trois; wartend; bereit, ihr Innerstes preiszugeben. Pinters „Betrogen“ ist die Geschichte eines Akts der Untreue, die vor dem Hintergrund der Gesellschaft der Siebziger auf Jahre der Lüge zurückblickt. In meinem Roman geht es ebenfalls um Liebe und Täuschung (und er spielt auch in den Siebzigern), aber die Figuren sind viel jünger, ihre Fehler frisch und ihre Lügen schmerzen sie noch zu sehr, als dass sie jahrelang ohne Folgen bleiben könnten.

Die Mitwirkenden von JAHRE WIE DIESE sind: Luke Kanowski, ein Theaterautor; Nina, eine Schauspielerin; Leigh, eine Bühnenmanagerin; Paul, ein Produzent. Sie lieben die falschen Menschen, fügen Schmerzen zu und verkomplizieren ihr eigenes Leben und das der anderen. Ihre Schicksale sind ineinander verschränkt, die Theaterwelt verbindet sie. Die Sechzigerjahre hatten „Schicklichkeit“ und Zensur abgeschafft, aber Shows wie das Musical „Hair“ ebneten nicht nur künstlerischer Freiheit den Weg, sondern ebenso billigen West-End-Komödien, Sex-Revuen und Striplokalen. Laurence Olivier kämpfte um eine bleibende Spielstätte für das National Theatre; Tom Stoppard, Simon Gray, Caryl Churchill und andere schrieben Stücke von selten erreichter Meisterschaft, aber das Establishment war immer noch reaktionär und sexistisch, und die Geschmacklosigkeit der Popkultur erreichte ungeahnte Höhen – mit The Osmonds, Dana, Benny Hill, Rüschenhemden und Kummerbünden, Maxiröcken und nach hinten geworfenen Haaren. Die Streiks der Bergarbeiter sorgten für Stromsperren, die berühmt-berüchtigte Dreitagewoche wurde ausgerufen und die Kunstförderung stand unter Beschuss, aber trotzdem sprossen überall kleine Theatergruppen aus dem Boden. Diese so genannten Minibusbrigaden brachten das Theater an Schulen und in die Arbeitervereine und veränderten dessen Wahrnehmung von Grund auf. Theater war nicht länger ein elitäres Vergnügen, es umfasste alles – von John McGrath’s inzwischen berühmter 7:48-Theaterkompagnie bis hin zu Alan Ayckbourns Komödien. Jeder, der denken konnte, ging ins Theater – und redete darüber, stritt darüber. Theater war wichtig.

Wenn es in den Sechzigern darum gegangen war, den Teetisch umzustoßen, dann waren die Achtziger bemüht, ihn wieder aufzustellen und für ein Businesslunch zu decken. Die Siebziger meines Romans wären dann vielleicht die Partys dazwischen. Sie wären bevölkert mit Schauspielern, Agenten, Produzenten, Autoren. Sie würden nach Whisky riechen, von Drogen beflügelt sein, auf den Plattenspielern liefe Soul und ein Getränkewagen mit Eiskübel und Sodaspritzer stünde in der Ecke. Es würde heftig geflirtet, über Ideologien debattiert und über schlechtes Benehmen würde mit einer Großzügigkeit hinweggesehen, wie wir sie uns heute, in unserem puritanischen einundzwanzigsten Jahrhundert, gar nicht mehr vorstellen können.

Luke Kanowski flieht in dieses London der Extreme aus einer verzweifelten Jugend heraus. Er ist 22 Jahre alt. Zum ersten Mal in seinem Leben findet er Menschen, die sind wie er: nicht gesellschaftsfähig, auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, nach einem Zuhause, nach Liebe; Menschen, die dieselben Dinge brauchen wie er. Ninas Jugend ist anders, doch ähnlich schädigend verlaufen. Auf der Bühne fühlt sie sich beurteilt, ist panisch, aber gleichzeitig auch eins mit sich selbst, wie sie es in der realen Welt nie ist. Paul, der angehende Produzent, ist von ihnen allen der am einfachsten Gestrickte, er liebt das Theater und muss sich beweisen, und Leigh … Leigh ist eine Schriftstellerin, aber ihr Talent ist noch zu zart, als dass sie es bemerken würde. Sie begnügt sich mit einer Ausbildung hinter den Kulissen. Diese vier sind Menschen, für die schon die Alltagswelt Schauspielerei erfordert und Konformität unangenehm ist. Erst in ihrem Umgang miteinander und im Erschaffen von Kunst finden sie das das wahre Leben mit all seinen Gefahren, den vielen Hindernissen, die sich der Freude in den Weg stellen – und das wahre Glück.

Jahre wie diese

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