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Will Wiles im Interview zu seinem Hotel-Roman »Kein Leben ohne Minibar«

»Ich verirre mich ständig.« Ein Gespräch mit Will Wiles über Hotelzimmer, Architektur und Schauerliteratur

In einigen Interviews haben Sie erzählt, dass Ihr erster Roman Die Nachhaltige Pflege von Holzböden von Ihrer eigenen, etwas weniger desaströsen, Haussitting-Erfahrung inspiriert wurde. War Kein Leben ohne Minibar das Resultat einer genauso persönlichen Erfahrung oder wurde es von etwas oder jemand anderem inspiriert?

In meinen Beruf als Architektur- und Designjournalist habe ich schon viele Konferenzen und Messen besucht und in vielen Hotels übernachtet. Diese Erfahrung hat mit Sicherheit die Grundlage des Romans Kein Leben ohne Minibar gebildet. Ich liebe Hotels, es sind interessante Orte, aber auch gefährliche – sie lassen alles zu, erlauben dir, einige Aspekte deiner Persönlichkeit beiseite zu legen und mit Neuen zu experimentieren, so zu tun als wärst du, in dieser Zeit, ein anderer. Was passiert also mit der Person, die niemals auscheckt? Ein paar der sozial eingrenzenden Verhaltensmuster werden permanent durchbrochen, sie können für immer zügellos bleiben – ein Monster ist geboren.

In Ihrem Epilog erwähnen Sie, dass der Aufenthalt in Hotels sehr hilfreich für Ihre Recherche war. Ist Ihnen dort auch jemals etwas Ungewöhnliches passiert?

Ich verirre mich ständig – diese endlosen immer gleichen Korridore sind extrem desorientierend. Und man hört nachts überraschend oft seltsame Dinge: verrücktes Lachen, Flüstern, scheinbar direkt vor der Tür, Schreie, die sowohl leidenschaftlich als auch wütend sein können. Um es anders auszudrücken, Hotelzimmer sind mysteriös, weil man sie bei jeder Ankunft neu erfassen muss, welcher Schalter reguliert das Licht und so weiter, und die erhöhte Automatisierung verstärkt dies nur noch mehr. Du kommst in einem Zimmer an und die Lichter sind an, die Musik spielt, dein Name steht auf dem Fernsehbildschirm. Das ist wirklich unheimlich. Modernität und Geistergeschichten überschneiden sich wunderbar, deshalb habe ich eine moderne Geistergeschichte geschrieben.

Basiert Neil Double auf einer Ihnen bekannten Person oder ist er ein Repräsentant von dem, was Sie als Individuum des 21. Jahrhunderts verstehen?

Er ist ein Konstrukt, eine Ausschmückung der etwas problematischeren Aspekte des „Hotel-Charakters“, die ich bereits erwähnte. Gewissermaßen der effiziente Schauspieler des 21. Jahrhunderts, eine Art Algorithmus mit Puls. Man kann diese Art von Charakter jedoch nur mit etwas Empathie schreiben, das heißt, indem man diese Stränge in sich selbst identifiziert.

Wie hat Ihr eigenes Interesse an Architektur Ihren Schreibstil und den Schauplatz des Romans beeinflusst?

Sie sind untrennbar. Aber lassen Sie uns klarstellen was „Architektur“ bedeutet – die Theoretikerin Keller Easterling veranschaulicht dies folgendermaßen: „Die Disziplin der Architektur ist nur verantwortlich für einen Tropfen der weltweiten Fläche, während ein Feuerwehrschlauch den Rest verteilt.“ Und dieses Buch behandelt genau diese Flächen, die von einem Feuerwehrschlauch verteilt werden, die massenproduzierten Orte, gestaltet nach Abbild und Algorithmus. Wir verbringen einen so großen Teil unseres Lebens in diesen Umgebungen, aber sie sind nicht gründlich genug untersucht. Und ihr Echo ist natürlich in meiner Sprache wieder zu finden. Sobald man darüber nachdenkt, eine Geschichte in einer solchen Umgebung zu platzieren, ist Schauerliteratur das selbstverständliche Genre.

Ein wiederkehrendes Thema ist die Debatte zwischen Gleichheit und Individualität. Halten Sie dies für ein wichtiges Thema in Gegenwartsliteratur und -kultur? Und falls ja, weshalb?

Ja, absolut. Aber die Idee des heroischen Individuums, das gegen die Fluten der Moderne kämpft, um seine Individualität zu bewahren, ist verbraucht und veraltet. Zu Beginn, „Individualität“ ist ein sehr modernes Konzept. Individualität kann nicht mehr als heroisch betrachtet werden. Es kann eine toxische Art der Konformität sein. Neil Double, mein Protagonist, ist ein Individuum, der an Individualität glaubt, der vermutlich auf die gleiche Weise ein Bild von sich selbst hat wie Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer. Die Anonymität der Hotelwelt erlaubt es ihm, sich so zu verhalten wie er will, und er muss sich nicht gut verhalten. Es gibt zu viele MidLife-Crisis Geschichten über Figuren, die sich selbst finden wollen. Vielleicht sollten wir stattdessen Geschichten über Figuren schreiben, die andere Menschen finden wollen.

In dem Roman spielen die Gemälde in den Hotelzimmern eine entscheidende Rolle in der Enthüllung des mysteriösen Hotels. Warum haben Sie dieses Motiv gewählt?

Hotelkunstmassenware ist interessant. Es gibt praktische Fragen. Ich habe bereits in Hotels übernachtet, die voll von ähnlichen, aber unterschiedlichen Gemälden waren, und man fängt natürlich an, sich zu fragen, wie sie gemacht wurden, und von wem. Aber auch die Bedeutung: man soll, wenn überhaupt, nur ihre Existenz wahrnehmen, sie nicht wirklich anschauen oder versuchen, sie zu verstehen. Und das ist faszinierend, fast wie ein Jäger im Gestrüpp. Was für eine brillante Weise, um Nachrichten zu verstecken, oder gar etwas Schlimmeres und das direkt in unserem Blickfeld. Die Bilder in Kein Leben ohne Minibar sind, wenn sie alleine stehen, bedeutungslose abstrakte Dinge, aber fängt man an sie zusammenzusetzen, an den Ecken zu verknüpfen, kann man etwas ganz anderes erblicken…

Anderen Interviews zufolge, haben Sie einen Großteil Ihres ersten Romans in der U-Bahn geschrieben. Wo haben Sie diesen Roman geschrieben?

Vorwiegend zu Hause an meinem Schreibtisch. Etwas langweilig, tut mir Leid. Aber ein paar Teile wurden auch in Hotels geschrieben.

In Ihrem Epilog nannten Sie J.G. Ballard als ein literarisches Vorbild. Gibt es weitere Autoren, die Sie beim Schreiben beeinflussen?

Der Schatten von Jorge Luis Borges fällt recht lange auf Kein Leben ohne Minibar, was meines Erachtens unvermeidlich ist, wenn man beginnt über Labyrinthe und Karten und Rekursionen nachzudenken. Außerdem schulde ich der Tradition der Schauerliteratur sehr viel: Poe, HP Lovecraft, Charlotte Perkins Gilman und so weiter. Als Leser bevorzuge und bewundere ich Don Delillo und Umberto Eco. Sachbuchautoren haben auch einen großen Einfluss auf mich: In meinem Dankesgruß erwähne ich den großartigen Architekten Rem Koolhaas, und ich würde auch Mark Fisher hinzufügen, dessen Buch Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? – über die Logik der westlichen Moderne nach Borgese und Kafka – ich während des Schreibens im Kopf hatte.

Wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Kein Leben ohne Minibar

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