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Rezension zu
Die unterirdische Sonne

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein Ein-Blick in die Welt von Kindern (und Jugendlichen), die urplötzlich aus unserem Leben verschwinden.

Von: Alice Frerichs aus Westerstede
12.03.2014

Rezension: Die unterirdische Sonne von Friedrich Ani Wer könnte das Buch besser verstehen als ein Mensch, der auf anderer Ebene ähnlich Schlimmes erlebt hat? Als Kind kannst du – wie im offenen Vollzug – ebenso wie in einem Keller eingesperrt sein. Während ich mir anfangs nicht über meine wahren Beweggründe klar war, weshalb ich grad dieses Buch ausgesucht habe, kam bei der Lektüre bei mir Stück für Stück ein Zulassen der Vergangenheit zum Vorschein, und ich halte nun mit beiden Händen fest, dass nicht ich mich schämen sollte sondern die, die mir das angetan haben. Aber zum eigentlichen Buch: Als ich eruierte (über den Klappentext), was mich auf 333 Seiten erwarten würde war mein erster Gedanke, ob ich dieses Thema so lange würde verfolgen können und meine Sorge war, ob ich mich langweilen würde. Nichts desto trotz habe ich das Buch vor dem Schlafengehen verschlungen, bis mir die Augen zufielen. Nach und nach werden ein paar Kinder und Jugendliche aus einem mehr oder weniger intakten Umfeld gekidnappt und in ein Haus auf eine Insel gebracht. Dort werden sie in den Keller gesperrt, schlafen auf Matratzen, bekommen meist zu Essen und Trinken. Täglich wird ein Kind (oder zwei) für kürzere oder längere Zeit „nach oben“ geholt, was auch für die zurück gebliebenen eine schreckliche Qual bedeutet. Fatal ist, dass die Kinder, trotz aller Scham und Qual, im Keller nicht miteinander über das reden dürfen, was oben mit ihnen geschieht. Außerdem ist es verboten, sich untereinander über „sich selbst“ und die eigene Herkunft zu unterhalten. Die Kinder dürfen Fernsehen und werden Tag und Nacht durch Kameras bewacht. Es wird ihnen klar, was es bedeutet, Fernsehen zu dürfen. Es bedeutet, dass die Entführer sich ihrer Sache ganz sicher sind. In diesen Tagen, Wochen und Monaten müssen auch „Verluste“ verkraftet werden. Durch die wenigen eingeworfenen Sprachfetzen der Entführer und Täter den Kindern gegenüber wird klar, wie sehr sie durch die Handlungen nicht nur körperlich und seelisch misshandelt werden. Auch das stetige Eingehämmert bekommen über ihre Wertlosigkeit trägt dazu bei, dass die Kinder versuchen (müssen), allein mit ihrem innerlichen, seelenverzehrenden Feuer abzurechnen. Eine Abrechnung die, je länger die Zeit voranschreitet ohne Hoffnung auf Hilfe, sich immer mehr gegen sich selbst richtet. Was bedeutet, dass die Kinder sich so sehr selber schuldig fühlen, dass sie die Demütigung, dass ihnen vielleicht keiner glauben wird, dass ihre Pein nicht ernst genug genommen wird, dass eventuell nach einer Rettung keine richtige Hilfe stattfindet, kein Verständnis von irgendeiner Seite … dazu führt, sich selber aufzugeben und der Beschluss, niemandem davon zu erzählen (erzählen zu müssen). Die Scham, öffentlich vorgeführt zu werden, das ganze eben geschilderte Empfinden, empfinden alle diese Kinder gleichermaßen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass dies ein Leben lang anhalten kann, auch wenn man auf eigenen Beinen steht. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass, wann immer ich mich „hinausgetraut“ habe, erstmal eins übergedroschen bekommen habe und selbst jetzt, mit über fünfzig Jahren, sind es nur Schritte in Millimeterangaben, die ich gehen kann. Während ein Chefarzt einer Klinik einmal sagte, ich solle das doch einfach vergessen, es wäre ja schon so lange her, dachte ich nur … aber die Wunden sind nicht verheilt. Nicht verheilt, da es erstens totgeschwiegen wurde, was passiert ist und man nur vergessen (oder vergeben) kann, wenn man echte, fachliche Hilfe bekommt. Wir, die Betroffenen, setzen ein ewiges Lächeln ins Gesicht, oder zeigen ein Gesicht ohne Emotionen, aus denen nur todtraurige Augen herausschauen. Das Buch endet für meine Begriffe sehr der Hilflosigkeit überlassen. Es gibt nur in gewisser Weise ein Happy End, wobei das eigentliche Ende offen bleibt, so dass der Leser seine eigenen Gedanken dazu produktiv betätigen kann und auch soll. Das Buch „Die unterirdische Sonne“ von Friedrich Ani gehört den Kindern. Der (anfangs auftauchende) Wunsch, mehr über die Abartigkeit und die Hintergründe des Tuns der Entführer und Peiniger zu erfahren, verblasst mit der Zeit und es wird klar, dass es die Kinder in ihrer Situation in den Hintergrund stellen würde. Es würde ihnen das Wort nehmen, welches ihnen gebührt. Seltsamerweise hat mich vieles in diesem Buch in meinem Tagbewusstsein kaum berührt, denn ich habe meine eigene Schale, meinen eigenen Panzer aufgebaut, was mir beim Lesen des Buches klargeworden ist. Dennoch, je mehr Zeit nach dem Lesen vergeht, spüre ich die Veränderung, die mit mir vorgeht. Die Mutlosigkeit kämpft mit dem Mut. Es wird schwerfallen, wenn Menschen, deren Kind spurlos verschwunden ist, dieses Buch lesen. Hilfreich ist das in der Situation nicht. Eher sollten dieses Buch Menschen lesen, die Hilfe und Beistand geben sollten. Gerne hätte ich klargemacht gesehen, dass Gott dennoch bei den Kindern ist und eine Strafe auf jeden Fall kommt. Wenn nicht in diesem, dann in einem anderen Leben oder nach deren eigenen Tod. Aber bei so viel Hoffnungslosigkeit wären solche Worte als Hohn dahergekommen. Ein Buch, welches uns in großer Betroffenheit zurücklässt.

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