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Rezension zu
Wenn nachts der Ozean erzählt

Was für ein starkes, gutes, wichtiges Buch!

Von: Buntes Tintenfässchen
02.03.2017

Die Geschichte hat mich vor allem aufgrund der brisanten und aktuellen Thematik interessiert und ich war sehr gespannt darauf, wie Zana Fraillon diesen schweren und wichtigen Stoff umsetzt. Vorab: In diesem Buch geht es um ein Flüchtlingskind, das in einem Flüchtlingscamp in Australien aufwächst. Das sollte man stets im Hinterkopf behalten und auch, dass die Bedingungen in europäischen Erstaufnahmelagern oftmals schon menschenunwürdig sind. Dass es aber noch viel, viel, viel schlimmer geht - das führt Fraillon einem in Wenn nachts der Ozean erzählt vor Augen. Die Geschichte wird aus der Sicht des (vermutlich) 12-jährigen Subhi erzählt, einem Jungen, der in einem Flüchtlingslager irgendwo in Australien geboren wurde und dieses noch nie in seinem Leben verlassen hat. Die Welt beschränkt sich für ihn also auf das Fleckchen staubiger Erde innerhalb des Zauns. Schon allein dieser Gedanke ist so unfassbar traurig und regt zum Nachdenken an: Was hat denn Subhi verbrochen, dass er nicht raus darf? Dass er nicht leben darf? Was seine ältere Schwester, die angesichts der Verhältnisse im Lager bereits völlig abgestumpft ist, und was seine Mutter, die sich und ihre Kinder aufgegeben und einfach nicht mehr die Kraft hat, um überhaupt aufzustehen? Was hat sein bester Freund Eli verbrochen, der einzige Überlebende seiner Familie, der es nur so weit geschafft hat, um in einem anonymen Lager vor sich hinzuvegetieren? Was haben all diese Menschen verbrochen, außer auf ein besseres Leben in Frieden zu hoffen? Schon allein diese Ausgangssituation ist mir wahnsinnig an die Nieren gegangen. Und dann ist da Zana Fraillons Schreibstil, der einfach genial ist. Klar, eindringlich, ehrlich und doch so metaphorisch, dass er einfach perfekt zu einem Kind als Erzähler passt. Subhi, der Dinge, für die er keine Worte findet, umschreibt, der plötzlich mitten im Erzählen abbricht, wenn es zu schmerzhaft für ihn wird oder er nicht weiter weiß. Subhi, der dieses Lager als sein Zuhause betrachtet, der sich gar nicht vorstellen kann, dass es da draußen eine noch viel größere, beeindruckendere Welt gibt. Und der es doch versucht, indem er jede Nacht das Nachtmeer auferstehen lässt und von seinem Vater träumt, der ihn sicher irgendwann holen wird. Diese kindliche Naivität und das unerschütterliche Vertrauen in das Gute im Menschen - das hat mich ein ums andere Mal schlucken lassen. Subhi ist für mich als Leser real geworden, hat mir seine Geschichte erzählt und mich mit seinen Worten tief berührt. Ebenso wie Jimmie, die zwar im "Draußen" lebt, sich aber in ihrem Leben genauso gefangen fühlt wie Subhi. Gemeinsam mit Subhi flüchtet sie sich in die Magie der Geschichten und gemeinsam können die beiden von einem besseren, freien Leben träumen. Diese Freundschaft ist so pur und so mächtig und das, obwohl sie ganz ohne große Worte und Gesten auskommt. Es ist einfach deutlich zu spüren, dass Subhi und Jimmie schon alleine durch die Nähe des jeweils anderen Trost finden. Das ist ein so bewegender und wunderschöner Gedanke. Dem gegenüber steht jedoch die harte, nur schwer zu ertragende Realität im Camp. Dass Flüchtlinge teilweise unmenschlich behandelt, zusammengetrieben und maximal am Leben erhalten werden - das kennt man (leider, LEIDER!) auch von den Lagern in Europa. Das Ganze steigert sich in einem australischen Flüchtlingscamp, wie Fraillon es darstellt, aber noch einmal bis hin zu unermesslicher Grausamkeit und Brutalität. Diese Menschen werden dafür bestraft, dass es sie gibt und dass sie in dieses Land kamen, um zu überleben. Niemand möchte sie haben: In ihrem eigenen Land werden sie verfolgt, gefoltert, ermordet und in dem Land, in dem sie Schutz suchten, werden sie zusammengepfercht wie Vieh, anonymisiert und tot geschwiegen. Teilweise haben mich die Zustände in diesem Lager sogar an die Konzentrationslager im Dritten Reich erinnert - und das ist KEINE Übertreibung. Es ist für mich einfach unbegreiflich, wie man sich das Recht herausnehmen kann, Menschen so zu behandeln. Wie man sie der Willkür grausamer Aufseher aussetzen kann, die einfach nur die Macht genießen, die sie in diesem Job haben, weil sie zuhause vermutlich nichts zu melden haben. Es tut mir leid, aber ich kann gar nicht sagen, wie wütend mich das alles macht. Natürlich ist Subhis Geschichte Fiktion, aber Fraillon gelingt es, ihn zum Leben zu erwecken. Er ist da und starrt einen an und man kann sich ihm einfach nicht entziehen. Und man darf es auch nicht. Man darf nicht wegsehen - nicht bei dieser Geschichte und nicht in der Realität. Man weiß einfach, dass dieses Schicksal, das einen so betroffen macht, vermutlich Tausende und Tausende von Kindern überall auf der Welt ereilt. Und man darf sie einfach nicht vergessen oder verdrängen, denn es sind Menschen, die es verdient haben, dass man sie wahrnimmt, sich an sie erinnert und sie wertschätzt. Und Zana Fraillon ruft einem das auf geniale, eindringliche Weise ins Gedächtnis. Schaut nicht weg! Mein Fazit: Was für ein starkes Buch und was für eine unendlich traurige, bewegende Geschichte. Zana Fraillon findet genau die richtigen Worte für etwas, für das es eigentlich gar keine Worte gibt. Ich habe immer noch einen dicken Kloß im Hals und bin immer noch wütend auf all die Menschen, die sich über andere erheben. Ich kann nur jedem empfehlen, dieses Buch zu lesen. Allerdings finde ich die Altersempfehlung des Verlags (ab 12) nicht angemessen, denn die Geschichte ist definitiv schockierend, ehrlich und stellenweise grausam. So grausam, dass man es selbst als Erwachsener nur schwer erträgt.

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