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SPECIAL zu Sebastian Haffner »Geschichte eines Deutschen. Als Engländer maskiert.«

Aus dem Leben eines hellsichtigen Beobachters

Rezension von Daniela Steffgen

Kaum eine deutsche Erinnerungsgeschichte hat in den vergangenen Jahren so viele Leser in ihren Bann gezogen wie die Autobiographie des Juristen und Publizisten Sebastian Haffner (1907-1999). Klar und eindringlich, dabei seine berührende Gefühlswelt nicht verleugnend, beschreibt Haffner seine Berliner Lebensjahre zwischen 1914 und dem nationalsozialistischem Machtantritt 1933. Die Erzählung beginnt mit einem "Paukenschlag": dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der Europa aus der Sommerfrische reißt. Das siebenjährige Kind erlebt ihn als faszinierendes "kriegerisches Spiel". Daraus wird rasch bitterer Ernst. Auf dem Boden der Niederlage von 1918 sieht der Heranwachsende politische Radikalisierung und Hass gedeihen. Die Hyperinflation vernichtet ganze Vermögen, auch das der Familie des Autors. Von den Krisenjahren der Weimarer Republik begünstigt, beginnt schließlich der Aufstieg des Nationalsozialismus. Haffner, mittlerweile Jurastudent, beobachtet ihn mit Abscheu. Diese ersten Jahrzehnte seines Lebens sind für ihn, den Bürgersohn, von Zerfallserscheinungen geprägt: "Die Welt, in der ich gelebt hatte, löste sich auf, verschwand, wurde unsichtbar, täglich und selbstverständlich, in aller Lautlosigkeit."

Exil in England
1938 zieht er die Konsequenzen und emigriert nach England. Dort wartet bereits seine schwangere Verlobte auf ihn, eine Jüdin nach nationalsozialistischer Klassifikation. Bereits 1939 beginnt Haffner in England mit der Niederschrift seiner "Geschichte eines Deutschen". Das Manuskript bleibt allerdings unvollendet, weil er die Arbeit an einem anderen Buch in Angriff nimmt: "Germany: Jekyll and Hyde". Das Werk soll den Engländern die Ereignisse in Deutschland erklären. 1940 wird es sein erster Erfolg. Haffners Memoiren hingegen werden erst posthum in seinem Nachlass gefunden und 2000 veröffentlicht. Sie finden auf der Stelle ein überwältigendes Echo.

Die DVA legt nun, anlässlich des 100. Geburtstags des Autors und des 175jährigen Verlagsjubiläums, eine Sonderausgabe der Erinnerungen Haffners vor. Die dank neuer Manuskriptfunde angereicherte Lebensbeschreibung wurde ergänzt durch das 1989 mit Jutta Krug geführte Interview des Autors "Als Engländer maskiert". Es setzt dort ein, wo die "Geschichte eines Deutschen" aufhört: Das Gespräch wirft Licht auf die Entscheidung des Autors, ins Exil zu gehen, auf die Jahre in England und schließlich Haffners Rückkehr nach Deutschland. Gemeinsam mit den biographischen Bemerkungen Uwe Soukups am Ende des Buches vermittelt es ein lebendiges Bild von Haffners Leben nach 1933.

Geschichte eines Privatmannes
Einzigartig an Haffners Lebensbeschreibung sind nicht nur die frühen, hellsichtigen Urteile über das große Vernichtungspotenzial des Nationalsozialismus, die vereinzelt - rasch widerlegte - Vorwürfe provoziert haben, der Text müsse wenigstens in Teilen jünger sein als angegeben. Einzigartig ist auch der Blickwinkel, aus welchem heraus Haffner seine Erinnerungen präsentiert. Der Autor erzählt die Geschichte eines Privatmannes und seiner alltäglichen Berührungspunkte mit den politischen Ereignissen, ohne dabei die "großen Entwicklungen" aus dem Auge zu verlieren: aus öffentlich angeschlagenen Heeresberichten muss der zeitgenössische Beobachter die Wahrheit über die Kriegslage herauslesen; die Wichtigkeit einer Zeitungsnachricht beurteilt er anhand der Dicke der Schlagzeilen; das Aussehen der Geldscheine informiert ihn über den Stand der Inflation. Bei dieser Methode zeigt sich Haffners besondere Fähigkeit, erlebte Situationen und Episoden mit hohem Symbolcharakter atmosphärisch dicht wiederzugeben. Der Leser gewinnt den Eindruck, die einzelnen Geschichten "enthielt(en) in einer Nußschale das ganze Dritte Reich" (Sebastian Haffner). Die Auswanderung seines besten Jugendfreundes, eines Juden, ist eine solche Geschichte. Sie macht deutlich: Hier erzählt der Freund, und gleichzeitig der "historisch schreibende Journalist", als der er sich selbst versteht.
Sebastian Haffner
© Peter Rondholz
Ruhige Sprache
Haffners ausgewogene Erzählkomposition bedient sich einer ruhigen, auf Genauigkeit bedachten Sprache. Gleichzeitig gelingt ihm ein absolut unverwechselbarer, müheloser, angenehmer Plauderton - sein Markenzeichen, wodurch die Lektüre so fesselnd und ausgesprochen kurzweilig wird. Haffners Wortschatz und seine Reflexionen über den allgemeinen deutschen "Nationalcharakter" kennzeichnen ihn dabei ganz als Kind seiner Zeit - wie hart auch immer seine Kritik gegenüber den Deutschen und ihrer Affinität zum Nationalsozialismus ausfällt. Nie kommt ihm dabei die Fähigkeit zur Selbstkritik abhanden. Zu den erkenntnisreichsten Stellen des Buches gehört deshalb die Schilderung, wie er 1933 im Rahmen seiner juristischen Ausbildung für mehrere Wochen in ein nationalsozialistisches "Schulungslager" in Jüterbog muss. Eindrucksvoll schildert er die breite Spanne seiner widerstreitenden Empfindungen - vom körperlichen Ekel, welcher das Gebaren der Nationalsozialisten bei ihm, dem Bildungsbürger, auslöste, und der Verführung durch die Sicherheit der Kameradschaft. Selten ist ein derartiger Zwiespalt so offen beschrieben worden. Dies ist eine der letzten Episoden aus der "Geschichte eines Deutschen", von der man sich wünscht, der Autor hätte sie nicht unvollendet gelassen.

Sebastian Haffners Memoiren sind der kraftvolle und ehrliche Bericht eines scharfsinnigen Beobachters, der die Jahre auf dem Weg in die deutsche Katastrophe schonungslos unter die Lupe nimmt. Mit dem Blick fürs Wesentliche schuf er eine Erzählung, die durch ihren unnachahmlichen Stil und ihre Eindringlichkeit erkenntnisreiche Unterhaltung ohne Beispiel bietet.

Daniela Steffgen
München, November 2007