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Boris Koch bei der Literatur-Aktion #buchpassion

Boris Koch
© Anna Kuschnarowa
Im Rahmen der Literatur-Aktion #buchpassion, die der Literatur-Blog kapri-zioes.de ins Leben gerufen hat, erzählt Euch unser Kinder- und Jugendbuchautor Boris Koch, welches Buch ihn zur Leseratte gemacht hat, welche Erlebnisse aus seiner Kindheit seine Einstellung zum Lesen und Schreiben maßgeblich geprägt haben und wie er sein Talent erkannt hat.

Immer, wenn ich gefragt werde, was mir Literatur bedeutet, komme ich sehr schnell auf ein Erlebnis aus meiner Kindheit. Ich muss damals um die zehn gewesen sein, vielleicht ein, zwei Jahre jünger oder älter, als ich zum allerersten Mal im Kino war. Wir fuhren mit der ganzen Familie 30 km nach Augsburg in die Stadt und sahen Das Dschungelbuch in der Nachmittagsvorstellung. Ich war restlos begeistert, vom Kino, vom Film, vom ganzen Erlebnis. Auf dem Rückweg erzählte mir mein Vater, dass es die Verfilmung eines Buchs war.
„Hast du das?“, fragte ich aufgeregt.
„Ja“, sagte er wie selbstverständlich, und ich wollte Moglis Abenteuer unbedingt gleich noch einmal erleben. Ich weiß noch, wie ich abends im Bett lag und das Buch begann. Ein altes Taschenbuch mit vergilbten Seiten, keine Kinderfassung. Und der Dschungel war sofort wieder da, doch es war anders als im Kino. Es war dunkler, wuchernder und komplizierter, nirgendwo wurde gesungen. Alles erschien mir so viel lebendiger. Der bunte Film verblasste mit jeder Seite mehr, ja, ich war nachträglich enttäuscht von ihm, vielleicht sogar ein wenig wütend. Ich war viel zu jung, um die Unterschiede zwischen den verschiedenen Medien – Film, Buch, Hörspiel, usw. – wirklich zu begreifen und sie zu berücksichtigen, ich hatte einfach nur das Gefühl, der Film hätte das Buch verraten.
Ich weiß es nicht, ich habe den Film seitdem nicht mehr gesehen, und vielleicht tu ich ihm unrecht, aber mir blieb immer diese eine Erfahrung, dass der Dschungel im Buch der größere, weitere, gefährlichere und eben lebendigere war.

Schon von klein auf war ich von Unmengen Büchern und Geschichten umgeben. Bücher meiner Mutter, meines Vaters und die zahlreichen Überreste aus dem Antiquariat meines Opas, der gestorben war, als ich fünf war. Auf langen Autofahrten erfand mein Vater für meinen Bruder und mich die Abenteuer von Ali mit seinem fliegenden Teppich, um uns zu unterhalten, und auch daheim drängten wir ihn manchmal, sie zum Besten zu geben. Abends am Bett erzählte meine Mutter mir manchmal von Kasper & seinen Freunden, und verwandte darin meine Erlebnisse des Tages, sodass ich diese verarbeiten konnte. Sie tat es so geschickt, dass ich nicht den pädagogischen Nutzen sah, sondern nur eine Geschichte hörte.
Natürlich hatte ich auch eigene Bücher, und noch bevor ich in die Schule kam, bin ich im Wolfspelz zu den wilden Kerlen gesegelt und habe als Krebs Paul einen Piratenschatz gehoben und mich in einer Truhe vor einem riesigen Hai versteckt. Als Grundschüler bin ich aus einem Waisenhaus oder Kinderheim ausgerissen, genau weiß ich es nicht mehr. Ich habe mit Winnetou die Weiten des Westens entdeckt, und bald darauf mit Kara Ben Nemsi den abenteuerlichen Orient.

Für Zeugnisse habe ich kein Geld bekommen, sondern Bücher. Sie waren einfach immer da. Das waren natürlich auch andere Medien: Hörspiele, Fernsehserien, Comics, Musik, usw. Doch die meiste Zeit griff ich zum Buch.
Rückblickend lassen sich bestimmt hundert Argumente fürs Lesen finden: das Intime und Persönliche von Lektüre, die Möglichkeit des eigenen Tempos, das Anregen der Phantasie, die Möglichkeit komplexerer Gedanken und Zusammenhänge, was auch immer. Theoretische Überlegungen, die man gern anstellen kann, die aber allein nicht ausreichen. Denn Liebe hat nichts mit Theorie zu tun, Liebe ist da, wo – wie in der Eingangsepisode – der Dschungel am größten und lebendigsten ist.

Nach meiner Liebe zum Schreiben gefragt, habe ich jahrelang augenzwinkernd auf fehlende andere Talente hingewiesen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Mit 14, 15, 16 schrieb ich nur für mich. Gedichte und kurze Texte, mit denen ich das zu fassen versuchte, was mich umtrieb, überwiegend das Negative. Wut, Angst, Schmerz und unerwiderte Gefühle. Alles Schöne schrieb ich nicht nieder, das genoss ich einfach. Ich schrieb zu Seventeen Seconds von the Cure, saß auf dem Fensterbrett und starrte in den abendlichen Nebel, der die große Esche an der Gartengrenze fast verschluckte. Natürlich schrieb ich auch bei anderem Wetter, aber das ist mir am Eindrücklichsten in Erinnerung geblieben.
Damals hatte ich den kindlichen Traum, Profifußballer zu werden, schon längst begraben, ebenso den, Stuntman zu sein, und war noch nicht auf „experimentelle Archäologie“ a la Thor Heyerdahl und Marcus Junkelmann gestoßen. Ich war kurz davor, mir einen Bass zu kaufen, um „Rockstar“ zu werden.
Ich träumte von großen Bühnen und Touren, doch mir fehlte sogar die Fingerfertigkeit für die Bassline in einer Punkband ohne Demo – ganz zu schweigen vom Talent als Komponist. Ein Jahr lang übte ich mit unserer Band, dann kam eines Tages ein Freund bei unserer Probe vorbei, hörte einen Song und sagte: „Boris, gib mir mal deinen Bass.“ Er hatte noch nie einen in der Hand gehalten und fragte daher: „Was sind denn das für Seiten?“
Nach der Antwort spielte er aus dem Stegreif eine bessere Bassline als ich – technisch sauberer. Und ich erkannte meine Grenzen.
Der Freund – Martin Kraemer (http://www.kraemerjazz.de/) – ist jetzt Musiker.

Als ich jedoch anderen Leuten erstmals eine Geschichte von mir zeigte, war die Reaktion positiver, und ich sah ein, dass mein Talent mit Worten größer war als das mit Tönen. Dass ich nicht Zeichnen konnte, hatte ich schon vorher eingesehen.
Kunst besteht aus Talent und Üben, heißt es, und auch, dass man viel lernen kann. Vielleicht wäre ich also mit viel Fleiß am Bass noch ein Stück weiter gekommen, aber das spielt keine Rolle. Denn inzwischen habe ich begriffen, dass es nicht nur Talent und Üben gibt, sondern noch etwas entscheidendes Drittes:
Immer, wenn ich den dringenden Wunsch verspürte, mich auszudrücken, da habe ich zwar Musik eingeschaltet, aber ich habe nicht zu meinem Bass gegriffen. Sondern ich habe mein Notizbuch und den angekauten Bleistift genommen und mich in Worte geflüchtet, habe mit der Sprache gerungen, um meinen Schmerz und meine Freude auszudrücken. Egal wovon ich geträumt habe, Sprache und Geschichten waren immer mein Medium, wenn es ans Eingemachte ging. Mein Weg, mich auszudrücken, wenn es wirklich darauf ankam, wenn ich innerlich gebrannt habe, wie man so schön sagt.
Den Umgang mit Sprache, Pinsel und Instrumenten kann man – bis zu einem gewissen Grad – lernen. Aber dieses Brennen nicht. Und ich brenne eben für Sprache und Bücher, für Geschichten und – vielleicht irgendwann – auch für Songtexte. Man kann schließlich nie wissen, denn Sprache kann einen überall hin verschlagen.

Mehr Infos im Blog kapri-zioes.de.

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