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Das Geheimnis weiser Menschen

Fünf Ressourcen für ein besseres Leben

Es ist einfacher, einen weisen Menschen zu erkennen, als Weisheit selbst zu beschreiben. Viele von uns denken spontan an den Dalai Lama, an Nelson Mandela, vielleicht an Papst Franziskus. Aber was macht deren Weisheit aus? Und was bedeutet Weisheit eigentlich genau? Fällt sie einem Menschen zu wie eine Gabe, oder beruht sie auf Fähigkeiten, die sich unter Umständen sogar erlernen lassen?
Die Weisheitsforscherin Judith Glück ist diesen Fragen auf den Grund gegangen und hat fünf Eigenschaften festgemacht, über die weise Menschen verfügen: Offenheit für neue Perspektiven, Einfühlungsvermögen, Reflektiertheit, ein kluger Umgang mit den eigenen Gefühlen und Selbstvertrauen. Wenn wir auf diese Ressourcen zurückgreifen, kann es uns gelingen, aus Lebenserfahrungen Weisheit zu gewinnen.

»Weise Menschen kennen das Geheimnis eines gelingenden Lebens.« (Quelle: Happinez, 01.12.2016)

Prinzip 1: Offenheit

Die Bereitschaft, sich auf neue Erfahrungen, andere Denkweisen, Veränderungen einzulassen

Weisheit kann sich nur dann entwickeln, wenn Menschen auch bereit sind, sich verändern zu lassen. Wenn sie also neuen Erfahrungen nicht mit einer vorgefassten Sichtweise begegnen, die sie nach Möglichkeit beibehalten wollen, sondern willens sind, sich überraschen oder beeindrucken zu lassen. Weise Menschen haben sich also bis zu einem gewissen Grad die kindliche Fähigkeit des Staunens, des Wahrnehmens ohne sofortiges Einordnen erhalten.

Offenheit für andere Menschen kann man jederzeit im Alltag trainieren.Besonders spannend und lehrreich ist es, wenn man bei Personen beginnt, die einem eigentlich eher fern stehen. Als Lehrerin könnte man sich einen Schüler auswählen, den man besonders schwierig findet, als Krankenpfleger eine anstrengende Patientin, als Angestellte die unzugängliche Kollegin oder den distanzierten Chef. Versuchen Sie ganz gezielt, Interesse an diesem Menschen zu zeigen, und fragen Sie ihn nach seinem Leben und den Beweggründen seines Verhaltens. Vielleicht entsteht schon allein durch diese Interessensbekundung eine ganz neue Art des Kontakts. Vielleicht verstehen Sie auch nur besser, warum dieser Mensch sich so verhält, wie er es tut, ohne ihn deswegen besonders zu mögen. Vielleicht passiert auch gar nichts oder Sie werden in Ihrem Eindruck bestätigt. Auf jeden Fall aber haben Sie die Möglichkeit zugelassen, dass Ihre fixe Vorstellung von einem bestimmten Menschen etwas aufgelockert und differenziert wird.

Prinzip 2: Der gute Umgang mit Gefühlen

Wie sensibel ist man für die Komplexität der eigenen Gefühle, und wie gut kann man je nach Situation mit ihnen umgehen?

Warum gelingt es uns nicht immer, so zu handeln, wie wir eigentlich gerne handeln würden? Man weiß, dass es besser wäre, sowohl für die Situation als auch für das eigene Wohlbefinden, wenn man sich nicht über die unhöfliche Kellnerin ärgern oder dem Teenager freundlich sagen würde, dass das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine gehört.

Die Intensität unserer Gefühle hindert uns daran, ruhig zu überlegen und klar zu denken, und vor allem auch daran, uns bewusst zu bleiben, wie unwichtig eine Situation eigentlich ist. Weise Menschen können das besser als viele andere, aber auch hier gibt es ein wichtiges Aber: Weise Menschen ignorieren oder verdrängen ihre Gefühle nicht. Sie nehmen sie wahr, messen ihnen Bedeutung bei und wissen eben deshalb mit ihnen auch so umzugehen, wie es eine Situation erfordert.

Prinzip 3: Einfühlungsvermögen

Wir alle haben also von Natur aus eine gewisse Neigung, unser Mitgefühl abzuschalten, wenn es um Menschen geht, die wir als anders und als einer fremden Gruppe zugehörig empfinden. Dieses geradezu instinktive Verhalten hat seine Wurzeln vermutlich ebenfalls in unserer evolutionären Vergangenheit. Es mag ihnen einen Überlebensvorteil gesichert haben, wenn Frühmenschen ihre eigene Gruppe bevorzugten und andere ablehnten und bekämpften, insbesondere dann, wenn Ressourcen knapp waren. Auch heute noch wird die Ablehnung anderer Gruppen dann besonders sichtbar, wenn sie uns real oder vermeintlich etwas wegnehmen könnten.

Zu den vielen Illusionen, die weise Menschen überwunden haben, gehören also auch die Stereotypen, die Vorstellung, dass andere Menschen rein aufgrund der Tatsache, dass sie einer bestimmten Gruppe angehören, bestimmte Eigenschaften haben. Wer weiß, dass Menschen überall verschieden sind, wer überall Freunde gefunden hat, dem wird es schwer fallen, sein Mitgefühl gegenüber anderen abzuschalten. Die meisten von uns, die nicht so viel herumgekommen sind, können zumindest versuchen, darauf zu achten und sich besonders genau zu beobachten, wenn sie merken, dass sie mit jemandem so gar kein Mitgefühl verspüren.

Mitgefühl ist eine wichtige Ressource, die uns helfen kann, weiser zu werden. Dass weise Menschen anderen helfen, indem sie ihnen einen guten Rat geben, ist eine der häufigsten Assoziationen, die schon Kinder zum Begriff Weisheit haben. Weise Menschen sind in der Lage, zu erkennen, was jemand braucht, und ihm das auf eine Art zu vermitteln, die er auch annehmen kann.

Prinzip 4: Kritisches Reflektieren

Weise Menschen denken nach. Sie tun das gerne und mehr als andere Leute, und vor allem denken sie oft etwas weiter. Viele Menschen neigen dazu, einfachen Erklärungen komplizierter Sachverhalte Glauben zu schenken. Wenn ein Politiker verspricht, ein Problem, an dem bisher alle gescheitert sind, einfach durch gesunden Menschenverstand zu lösen, zieht das hoffnungsvolle Wählerinnen und Wähler an, weise Menschen hingegen macht es eher skeptisch. Sie wissen, dass die Hintergründe eines solchen Problems komplex sind, dass es viele Beteiligte mit unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnissen gibt, und dass bei einer allzu einfachen Lösung manche – oft die Schwächeren – auf der Strecke bleiben. Weise Menschen versuchen, Lösungen zu finden, die die unterschiedlichen Gesichtspunkte und Interessen ausbalancieren, so dass insgesamt der bestmögliche Kompromiss gefunden wird. Schon die Bereitschaft, mit allen zu sprechen und sich in ihre Sichtweise hineinzuversetzen, kann manchmal eine Konfliktsituation so weit beruhigen, dass die gemeinsame Suche nach einer Lösung möglich wird.

Prinzip 5: Die Überwindung der Kontrollillusionen

Die realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Grenzen

Wir alle haben unsere Illusionen. Mehr als die Hälfte der Menschen glaubt, überdurchschnittlich intelligent zu sein, fast alle halten sich für gute Menschen und sind zufrieden mit ihrem Leben, und natürlich glauben wir im Allgemeinen, mit unseren Überzeugungen im Recht zu sein. Ein besonders interessanter Bereich sind die sogenannten Kontrollillusionen: Viele Menschen überschätzen den Einfluss, den sie selbst auf die Ereignisse in ihrem Leben haben. So glauben wir, dass uns beim Autofahren nichts passieren kann, weil wir ja erfahren, besonnen und vorsichtig sind. Dass es aber auch passieren kann, dass uns jemand im Vollrausch oder mit Selbstmordabsichten auf der falschen Straßenseite entgegengerast kommt, blenden wir aus, wenn wir uns hinter das Steuer setzen. Es würde uns ja auch nicht viel nutzen, ständig über solche Gefahren nachzudenken! Unserer Lebensfreude ist es wesentlich zuträglicher, wenn wir glauben, dass wir im Großen und Ganzen die Kontrolle über unser Leben haben.

Weise Menschen haben keine Kontrollillusionen oder zumindest weniger als die meisten von uns. Sie wissen aus eigener tiefster Erfahrung, wie viel im Leben passieren kann, ohne dass man es vorausgesehen hat, und dass man andere Menschen nur in den seltensten Fällen verändern kann. Aber dieses Wissen macht sie nicht ängstlich, hilflos oder depressiv, denn ihre Erfahrungen haben sie auch gelehrt, Vertrauen zu haben, das, was geschieht, anzunehmen und damit zu arbeiten. Sie wissen, dass sie die Kraft haben, zu bewältigen, was auch immer passiert.

Durch das Zusammenspiel dieser fünf Ressourcen entsteht eine bestimmte Haltung dem Leben gegenüber, die es ermöglicht, mit allem, was passiert, auf eine konstruktive Art umzugehen und in der Auseinandersetzung mit den eigenen Lebenserfahrungen Weisheit zu entwickeln.

Judith Glück
© AAU/Barbara Maier
Judith Glück wurde 1969 geboren. Studium der Psychologie und Doktorat Universität Wien. 1999 bis 2002 Postdoctoral Research Fellow für Lifespan Psychology am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin. Nach der Habilitation 2002 Rückkehr an die Uni Wien als außerordentliche Professorin für Entwicklungspsychologie. Seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie am Institut für Psychologie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Forschungsschwerpunkte: Entwicklung im Erwachsenenalter und Psychologie der Weisheit.

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