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Rezension zu
Das Verbrechen

Beeindruckend recherchiert und spannend wie ein Thriller

Von: Büchermonster
13.04.2020

Die Konflikte zwischen den amerikanischen Ureinwohnern und den weißen Siedlern zählen wohl zu den beschämendsten Kapiteln der Geschichte der Vereinigten Staaten. Ohne Rücksicht auf fremde Kulturen und gar Menschenleben wurden viele indigenen Völker aus ihren Lebensräumen vertrieben und in Reservaten zusammengepfercht, damit sich die Eroberer ungestört an den Ressourcen der zuvor besetzten Gebiete bedienen konnten. Auch der Stamm der Osage war von den Auswirkungen der weißer Gier betroffen und wurde Ende des 19. Jahrhunderts gezwungen, seine Heimat in Kansas aufzugeben und stattdessen in ein trockenes und steiniges Gebiet im Nordosten Oklahomas umzusiedeln. Ironie der Geschichte: Im Laufe der folgenden Jahrzehnte stellte sich heraus, dass die scheinbar wertlose und unergiebige Region in der Realität einige der größten Erdölvorkommen der USA verbarg und die Osage nun auf Bodenschätzen von unvorstellbarem Wert saßen – und selbst die amerikanische Regierung musste eingestehen, dass die Stammesmitglieder aufgrund der bei der Umsiedlung geschlossenen Verträge die rechtmäßigen Besitzer des Landes und dessen Ressourcen waren. Der plötzliche Reichtum des Osage-Stammes – und seine Folgen Durch die Zahlungen von Pachtgebühren und Bohrlizenzen hatten die Osage plötzlich eine rasant zunehmende Einnahmequelle, deren Ertrag von zunächst geringen Summen auf wenig später schon Hunderte oder gar Tausende von Dollar anwuchs. Allein 1923 nahm der Stamm durch das Erdöl über dreißig Millionen Dollar ein – umgerechnet auf die heutige Kaufkraft ein Erlös von ungefähr 400 Millionen Dollar. Somit kam es zur heute fast schon absurd anmutenden Situation, dass die Osage in den 1920er Jahren das höchste Pro-Kopf-Einkommen der damaligen Zeit hatten und faktisch die reichsten Menschen der Welt waren. Doch wer viel Geld hat macht sich fast zwangsläufig auch Feinde und so schürte der unvorstellbare Reichtum der Ureinwohner den Neid der weißen Siedler und Industriellen, die es auf den Besitz und vor allem auf die sogenannten „Headrights“ der Osage, also die Anrechte auf das Land bzw. dessen Ressourcen, abgesehen hatten. Die Gier wurde dabei noch zusätzlich angestachelt durch Presseberichte, in denen die wohlhabenden Stammesmitglieder als verschwenderisch und unvernünftig dargestellt wurden. So dauerte es nicht lange, bis der Neid und die Habsucht die ersten Menschenleben kostetet… Eine Aufarbeitung der „spektakulärsten Mordserie Amerikas“ „Das Verbrechen“, das True-Crime-Werk des amerikanischen Journalisten David Grann, wird bei der deutschen Ausgabe mit dem Untertitel „Die wahre Geschichte hinter der spektakulärsten Mordserie Amerikas“ auf dem Cover beworben. Das mag angesichts der hohen Anzahl an berüchtigten amerikanischen Serienmördern wie z.B. dem „Zodiac Killer“, dem „Golden State Killer“, „Son of Sam“, John Wayne Gacy und Co. einerseits reißerisch und andererseits übertrieben klingen – zumal wohl die wenigsten überhaupt schon einmal von den Osage-Morden im frühen 20. Jahrhundert gehört haben. Wenn man die 416 Seiten des Buches jedoch hinter sich hat, wird man womöglich ungläubig und mit offenem Mund der Ansicht sein, dass dies gar nicht mal so hochgegriffen ist und der Halbsatz durchaus seine Berechtigung hat. Ein schockierender Mord als Anfang einer jahrelangen Schreckensherrschaft Dabei beginnt die Geschichte zunächst eher unspektakulär mit der Osage Mollie Burkhardt, die David Grann in den Mittelpunkt des ersten von drei Abschnitten seines Buches stellt. Als eine der Einwohner der im Reservat gelegenen Stadt Gray Horse führt sie ebenfalls ein weitestgehend sorgenfreies Leben im Wohlstand, bis ihre Schwester Anna Brown plötzlich verschwindet. Schon in der Vergangenheit hat diese im Rahmen ihres etwas ausschweifenden Lebensstils über die Stränge geschlagen, doch das mehrtätige Fortbleiben ist selbst für Anna ungewöhnlich und gibt Anlass zur Beunruhigung – zu Recht, wie sich wenig später herausstellt, als die Leiche der offenbar erschossenen Frau an einem abgelegenen Ort gefunden wird. Mit diesem Mord beginnt für Mollie Burkhardt und ihren Stamm eine traurige Geschichte unvorstellbaren Leides, die David Grann detailliert und gut verständlich aufarbeitet. Was zunächst noch wie ein Einzelschicksal erscheinen mag, weitet sich mit jedem Kapitel immer mehr zu einem kaum fassbaren Sumpf aus Korruption und Rassismus aus, dessen Ausmaß keine Grenzen zu haben scheint. Die Osage-Ermittlungen als Geburtsstunde des FBI Im zweiten Abschnitt widmet sich Grann dann den Ermittlungen aus behördlicher Sicht, bei denen ein gewisser J. Edgar Hoover eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Der Fall der Osage-Morde ist nämlich auch einer der ersten Fälle des Federal Bureau of Investigation (damals noch „Bureau of Investigation“), das zu dieser Zeit mit völlig neuen Ermittlertypen und Methoden der Kriminalität den Kampf ansagen will. Vorbei scheint die Zeit von Revolverhelden, die mit den Schurken meist kurzen Prozess machten, dabei aber keineswegs über eine besonders gute Ausbildung verfügten. Mit Hoover und dem FBI hielt in gewisser Form auch die Bürokratie Einzug in die Welt der Verbrechensbekämpfung und die neuen Männer des Gesetzes waren Anzugträger, die schon mal ihren Job verlieren konnten, wenn ihre Fallakten nicht den Ansprüchen ihres kompromisslosen Chefs genügten. Der dritte und letzte Teil gibt schließlich noch einige Einblicke in die Nachforschungen David Granns aus heutiger Sicht, die zum Beispiel aus Treffen mit Nachfahren der damals involvierten Personen bestanden. Detaillierte, verständliche und respektvolle Aufarbeitung der Fälle Dem Autor gelingt es auf beeindruckende Weise, sowohl die vielen Einzelschicksale als auch das große Ganze jederzeit übersichtlich und verständlich zu beschreiben, was angesichts der vielen Beteiligten durchaus eine Herausforderung ist. Dadurch, dass Grann aber praktisch im kleinen Kreis anfängt und den Fall dann Schritt für Schritt immer weiter ausweitet, bleiben die jeweiligen Verbindungen und Entwicklungen jedoch immer nachvollziehbar. Zudem hat es David Grann geschafft, eine Vielzahl an (qualitativ überraschend guten) Fotos zusammenzustellen, mit denen er seine Schilderungen unterlegt und die den verschiedenen Namen auch ein Gesicht geben, sodass man beim Lesen auch leicht eine emotionale Bindung zu den Personen herstellen kann. Überhaupt wirkt „Das Verbrechen“ hervorragend recherchiert, wie alleine schon der rund 40-seitige Anhang mit Anmerkungen, Quellennachweisen und Bildhinweisen erahnen lässt. Überdies hat man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass Grann diese Geschichte unnötig aufbauscht um für spektakuläre Schlagzeilen zu sorgen, stattdessen nähert er sich dem Thema und auch den Menschen mit sehr viel Respekt und scheut sich nicht davor, die den Osage angetanen Ungerechtigkeiten klar zu benennen. Diese sind nämlich vor allem auf Rassismus von abscheulichem Ausmaß zurückzuführen: ein Osage-Menschenleben war in den Augen der meisten Weißen schlicht nichts wert und so schien es nicht weiter verwerflich, den Stammesmitgliedern durch anmaßende Vormundschaftsregelungen den Zugriff auf ihr Vermögen zu verweigern oder sie sogar zu töten, um selbst an ihre Besitztümer gelangen zu können. Beeindruckend recherchiert und spannend wie ein Thriller „Das Verbrechen“ ist fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite und bringt eines der dunkelsten Kapitel der amerikanischen Geschichte ans Tageslicht, welches in gewisser Weise auch eine der Schattenseiten des „American Dream“ darstellt. Hier gibt es keine Wilder-Westen-Romantik sondern einen erbitterten Krieg um Öl und den damit verbundenen Reichtum, der auf dem Rücken der amerikanischen Ureinwohner und völlig ohne Skrupel ausgetragen wurde. Wer den eigenen Interessen im Weg stand, wurde schlicht und einfach aus dem Weg geräumt – ohne auch nur den Ansatz eines schlechten Gewissens. „Das Verbrechen“ ist Non-Fiction, wie sie sein sollte: informativ, investigativ und dabei spannend wie ein Thriller – ein Buch, das man wirklich jedem uneingeschränkt ans Herz legen kann.

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