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Rezension zu
Faber oder Die verlorenen Jahre

Achtung

Von: Constanze Matthes
15.11.2016

Es gibt Hans Fallada, es gibt Thomas Mann. Zwei Namen, zwei Schriftsteller, die wohl viele kennen. Sei es durch die Lektüre in der Schule, sei es durch das Lesen in den folgenden Jahren. Gerade erlebt Fallada mit einer Reihe an Neuausgaben, im Aufbau Verlag erschienen, eine gewisse Renaissance. Doch es gibt Autoren jener Zeit, deren Namen und Werke heute nahezu vergessen sind. Jakob Wassermann (1873 – 1934) zählte zu Lebzeiten zu den meist gelesenen Schriftstellern. Heute kennen ihn wohl die wenigsten. Doch womöglich könnte eine Neuausgabe wieder die Aufmerksamkeit auf sein literarisches Werk lenken. In der Reihe „Bibliothek der Weltliteratur“ hat nun der Schweizer Manesse Verlag Wassermanns Roman „Faber oder Die verlorenen Jahre“ aus dem Jahr 1924 veröffentlicht. Die Geschichte ist recht schnell erzählt, erinnert der Roman doch nahezu an ein Kammerspiel. Denn das Geschehen, das vermutlich nur wenige Tage oder Wochen umfasst, vereint nur wenige Personen. Der junge Architekt Eugen Faber kehrt nach dem Ersten Weltkrieg und mehreren Jahren der russischen Gefangenschaft nach Hause zurück. Eine Flucht glückte, die sich nahezu über den gesamten Erdball von Sibirien über China und Amerika nach Deutschland erstreckte. Doch keiner erwartet den Heimkehrer auf dem Bahnsteig des heimatlichen Bahnhofs, da er seine Rückkehr trotz jahrelanger Korrespondenz mit seiner Frau Martina zuvor nicht angekündigt hatte. Und auch die Begeisterung hält sich Grenzen – bei seiner Frau, bei seinem Sohn Christian, der sich an den eigenen Vater nicht mehr erinnern kann. Jakob Fleming, einstiger Freund der Familie, der auch um deren schicksalhafte Ereignisse weiß, ist der erste vertraute Mensch, den Faber aufsucht. Selbst mit der Zeit entsteht keine vertraute Verbindung. Eher sind es Fremdheit und Sprachlosigkeit, die den Graben zwischen Faber und seiner Familie, auch zu seiner Schwester Klara und seiner Mutter, nur noch größer und tiefer werden lassen. Statt einer respektvollen Annäherungen herrschen Vorwürfe und auch eine gewisse Kälte. Während Faber in der Ferne um sein Leben bangte sowie Leid und Tod erfuhr, haben sich die vertrauten Menschen in ihrem eigenen Leben ohne ihn eingerichtet; vor allem Martina, die ihn zwar vermisst, ihm regelmäßig Briefe schreibt, die sich aber einer eigenen Lebensaufgabe gestellt hat: An der Seite der sogenannten Fürstin kümmert sie sich in der Kinderstadt um verwahrloste und missbrauchte Kinder und Jugendliche. Von den entsetzlichen Geschehnissen im Krieg und in der Gefangenschaft erfährt der Leser nahezu nichts, nur das Lager und die Flucht wird an wenigen Stellen thematisiert. In einem Gespräch mit seinem Sohn spricht Faber von der Weite des Landes. Gespräche, lange Dialoge sowie Berichte der anderen Protagonisten sind es auch, die diesen Roman bestimmen. Oft hat man das Gefühl, eine Tragödie mit einer Abfolge aus Monologen und Dialogen zu lesen. Wassermann richtet bei der Ausgestaltung seines Romans sein Augenmerk zudem voll und ganz auf die Personen, ihre Gesten, ihre Gedanken und Handlungen werden sehr ausführlich und detailliert beschrieben. Die Umgebung oder das Interieur eines Raumes bleiben hingegen im Hintergrund. „Faber oder Die verlorenen Jahre“ ist damit vor allem ein psychologischer Roman, der sowohl die kleinen, als auch großen Winkel im Innenleben einer Person ausleuchtet. Dieses Buch sollte man deshalb auch nicht ohne Weiteres nur dem Bereich der Anti-Kriegs-Literatur zuordnen. Es kann vielmehr auf unterschiedliche Weise gelesen werden, und wer es denn will, kann es in verschiedene Schubladen legen. So ist es auch ein Emanzipations-Roman, blickt man vor allem auf die Figur der Martina, die als selbstständige und selbstbewusste Frau ihren eigenen Weg gefunden hat und ihn auch geht. Die Germanistin und Literaturkritikerin Insa Wilke, die für diese Neuausgabe ein Nachwort verfasst hat, nennt „Faber“ vor allem ein politisches Buch, „das für eine offene Gesellschaft plädiert, auf der Basis einer genau reflektierten Auseinandersetzung mit Fragen von Freiheit und Bindung.“ Hat Wassermann im Großen und Ganzen Figuren geschaffen, zu denen der Leser kaum eine emotionale Bindung aufbauen kann, scheint Fides, die Haushälterin der Familie sowie Kindermädchen und einstige Frau des getöteten Umstürzlers und Privatgelehrten Heinrich Kapruner. Sie ist die einzige Person, die jene Fremdheit und Kluft zwischen den Eheleuten Faber auf eindrucksvolle Weise und voller Klugheit wirklich erklären kann und gegenseitige Achtung zwischen den Menschen fordert. So wie der Krieg weit im Hintergrund bleibt, werden die darauf folgenden politischen Unruhen, der beginnende Kampf zwischen Links und Rechts zwischendrin die Liberalen und Konservativen, der letztlich die kommende Katastrophe heraufbeschwört, leicht angedeutet. Der Roman „Faber“ sollte heute nicht nur wiederentdeckt und wiedergelesen werden, um sich an seinen Schöpfer und sein Schaffen zu erinnern. Vielmehr zeigt das Werk wie reich die Literatur der damaligen Zeit war und vor allem wie politisch. Eine Haltung, die Wassermann indes ins Abseits bringen sollte. Im Jahr der Machtergreifung Hitlers wird er aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen, seine Bücher verboten. Die weiteren dunklen Jahre des Dritten Reiches und des folgenden Zweiten Weltkriegs sollte Wassermann nicht mehr erleben – er stirbt am Neujahrstag 1934: verarmt und seelisch gebrochen.

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