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Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Die Affinitäten

Von: ralfreitze
27.07.2017

Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single bei Parship. In Facebook werden Freunde und Likes gesammelt. Man trifft sich im Verein um gemeinsame Interessen zu teilen, der Mensch ist nicht gerne alleine, der Mensch ist ein Herdentier. Am liebsten ist er unter seinesgleichen. Die Weißen wollen unter Weißen sein, die Grünen am liebsten mit anderen Grünen über Natur und Ökologie diskutieren, der Städter beäugt misstrauisch das Landei, der Europäer den Amerikaner und der Amerikaner fühlt sich sowieso als einziger verantwortlich für die Welt. Fachmännisch lässt sich mit Liebhabern der Materie am liebsten und besten diskutieren, Neulinge werden nur schwerlich aufgenommen, sie müssen schon die Aufnahmekriterien erfüllen. Parship hütet natürlich eifersüchtig seine Algorithmen, mit denen sie eine Übereinkunft zwischen zwei Menschen ermitteln, es steckt ja schließlich viel Geld dahinter. Geld, das viele Menschen ausgeben, denen der langsame menschliche Kontakt und jahrelanges Kennenlernen zu mühsam sind. Die Milch kann ich ja auch gleich um die Ecke beim Supermarkt kaufen, wieso dann nicht den Partner? Robert Charles Wilson, bekannt aus der prämierten Spin-Trilogie, hat sich die vernetzte Welt zum Anlass genommen, eine fiktive, vernetzte Welt aus zweiundzwanzig Affinitäten zu erschaffen. Adam Fisk studiert Grafikdesign, finanziert durch seine Großmutter. Für seinen Vater, der eine Bauhandelskette aufgebaut hat, ist er wegen der Wahl seines Studienfaches kein richtiger Mann. Aus der unglücklichen Patchwork-Familie und dem miefigen Landleben möchte Adam entfliehen, findet aber in Toronto, seinem Studienort, keinen richtigen Anschluss. So meldet er sich spontan bei dem neuen Persönlichkeitstest der Firma InterAlia an. Die Hälfte der Teilnehmer werden sogenannten Zweigen zugordnet, Affinitäten mit Namen des griechischen Alphabets. „Angenommen, Sie werden einem Zweig zugeordnet, dann begeben Sie sich in Gesellschaft von Menschen, die polykompatibel sind. Manche Klienten sind der irrigen Meinung, dass sie in einem Zweig auf Menschen treffen, die genauso wie sie sind. Das ist nicht richtig. Als Gruppe wird ihr Zweig in physischer, ethnischer, sozialer und psychischer Hinsicht voraussichtlich, eine hohe Vielfalt aufweisen. Unsere Bewertungen blicken weit über Rasse, Geschlecht, sexuelle Neigung, Alter und nationale Herkunft hinaus. In einer Affinitätsgruppe geht es nicht um den Ausschluss von Unterschieden. Es geht um Kompatibilitäten, die tiefer reichen als eine oberflächliche Ähnlichkeit. Unter Menschen der eigenen Affinität ist es statistisch wahrscheinlicher, dass man anderen vertraut, dass man auf Vertrauen stößt, dass man Freunde oder Partner findet und dass man ganz allgemein erfolgreiche soziale Beziehungen knüpft.“ Nachdem seine Großmutter stirbt, sieht sich Adam gezwungen, sein Studium aufzugeben. Er kündigt seine Wohnung und exmatrikuliert sich. Als er das Ergebnis des Tests erfährt – er ist dem Zweig Tau zugeordnet – begibt er sich, erst zögerlich, zu einem Treffen dieses Zweiges. Doch er erfährt, wie zwanglos er sich mit allen Mitgliedern dieses Zweiges versteht. Es existiert eine Art intuitiver Verbindung zwischen allen Personen. Diese helfen ihm nicht nur finanziell über die Runden, er lernt dort auch seine große Liebe kennen und bekommt sofort einen attraktiven Job. Anfangs verläuft es friedlich zwischen den Affinitäten, doch bald möchten sich die beiden Großen (Heth und Tau) von der Firma InterAlia und den monatlichen Zahlungen befreien und Adam merkt, dass er zwar innerhalb der Gruppe absoluten Schutz genießt, doch die allgemeinen Probleme der Menschheit, die im Verlaufe des Buches immer weiter eskalieren, werden nicht besser gelöst und den Affinitäten Außenstehende werden zu Außenseitern. Es hat sich eine neue Form der Elite gebildet. „Die Tatsache, dass es sich nur in einer Affinität abspielt. Dass eine Mauer drumherum ist. Nichts gegen Meir Klein – er hat genau begriffen, dass es keine Einheitsutopie gibt. Man kann hundert Leute zusammenbringen, damit sie ein besseres, erfüllteres, freieres, glückliches, kooperatives Leben führen. Aber das funktioniert bloß mit den richtigen hundert Leuten, nicht mit hundert beliebigen Leuten von der Straße. Und wenn man dann weiß, was man messen und wie man die Zahlen auswerten muss, voilà: die zweiundzwanzig Affinitäten. Zweiundzwanzig Gärten mit zweiundzwanzig Mauern drumherum. Für alle, die reinkommen, ist es bestimmt nett da drin, keine Frage. Aber was heißt das für die vielen Leute, die nicht dabei sind?“ Robert Wilson hat die Form der Netzwerke aufgegriffen, um die soziale Komponente erweitert und einen interessanten und spannenden Science Fiction Roman geschrieben. Dabei hat er eine ruhige unspektakuläre, aber sehr literarische Art zu schreiben und zu erzählen, seine Vergleiche und Charaktere sind genau, sehr differenziert und auf den Punkt getroffen. Wie in Spin überbrückt er geschickt die Jahre und bleibt somit in einem interessanten Erzählfluss. Er webt im Hintergrund die noch kommenden Katastrophen der Menschheit, wie Klimakatastrophen, Hunger, Aufstände und einen drohenden Atomkrieg zwischen Pakistan und Indien geschickt in die Geschichte ein und vermittelt eine dringende Aktualität. Ein bemerkenswerter Pageturner, der nicht nur für Freunde der Science Fiction sehr empfehlenswert ist, sondern sich auch an das normale Publikum richtet.

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