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Rezensionen zu
Die Geschichte von Adam und Eva

Stephen Greenblatt

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Stephen Greenblatt liebt Geschichten. Das wird nicht nur durch seine märchenhaft-imposante Sprachgewalt und durch die ebenso nonchalant wie liebevolle Art deutlich, mit der er die Protagonisten seins Buches begleitet, ihnen quasi über die Schulter schaut. Greenblatts Liebe zum Geschichtenerzählen ist vielmehr eingebettet in eine komplette Daseinsphilosophie. Denn er fragt ganz grundlegend, was es ist, was uns eigentlich zu Menschen macht. Es sei die Fähigkeit, uns Geschichten zu erzählen, Mythen und Legenden zu kreieren, durch die wir uns über den Stammesverband hinaus organisieren können, die Zusammenhalt und Identität stiften. Dabei befindet er sich im Einklang mit Yuval Noah Harari, der in seiner „Geschichte der Menschheit“ ganz ähnliche Einsichten vermittelt. Ganz abgesehen von der unmittelbaren Plausibilität dieser Thesen, findet damit auch eine veritable Ehrenrettung der guten alten Geisteswissenschaften statt, die in dieser Lesart ja die heutzutage vom „Markt“ stärker nachgefragten MINT-Disziplinen erst ermöglichen. Eine dieser Mythen, die zu einer der wirkmächtigsten der Menschheitsgeschichte werden sollte, ist die Geschichte von Adam und Eva. Nach immens erfolgreichen Büchern zu Shakespeare (2004) und dem Pulitzer-gekrönten Renaissancebuch „Die Wende“ (2012) widmet sich Greenblatt nun ihnen. Auf anderthalb Seiten, im Ersten Buch Mose, der Genesis, knapp abgehandelt, geht von der Erzählung mit ihren Stichworten „Mann und Frau“, „Apfel“, „Schlange“, „Paradies“, „Sündenfall“ und „Vertreibung“ eine bis heute ungebrochene Faszination aus. So ziemlich jeder Aspekt der Geschichte wurde über die Jahrhunderte aus unterschiedlichsten Blickwinkeln analysiert, interpretiert und beleuchtet. Als sich Christentum und Judentum in den ersten Jahrhunderten unserer Zeit auseinanderentwickelten, gab es durchaus viele christliche Gelehrte, die am liebsten ganz auf das jüdische Alte Testament, und mithin auf die Genesis, verzichtet hätten, als es darum ging, welche Bücher Eingang in den Bibel-Kanon finden sollten und welche nicht. Die Zweiheit setzte sich jedoch durch. Zu sehr lebte das Neue Testament von der Figur des Jesus Christus als Erfüllung dessen, was im Alten Testament verheißen worden war. Antike Gelehrte, die an Platon, Aristoteles und Cicero geschult waren, rümpften die Nase ob der Einfachheit des Genesis-Textes. Anschaulich referiert Greenblatt den intellektuellen Diskurs der Zeit: Während einige Gelehrte dafür plädierten, den Text lediglich symbolisch zu verstehen und jeden Aspekt der Geschichte, auch den Adam-und-Eva-Mythos, sorgfältig zu entschlüsseln, hielten andere dies für eine grobe Verfälschung von Gottes Wort und suchten eher zwischen den Zeilen nach verborgenen Sinnfragmenten. Doch wo kam die Genesis, wo kam die Schöpfungsgeschichte, wo kamen die Geschichten von der großen Sintflut und Adam und Eva überhaupt her? Carel von Schaik und Kai Michel hatten zuletzt in ihrem „Tagebuch der Menschheit“ (2016) primär evolutionsbiologisch argumentiert: Als Strafe für den Frevel, den Adam und Eva im Paradies begangen hatten, als sie die Früchte des verbotenen Baumes aßen, sollte der Mensch fortan „im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen“. War dies ein fernes Echo der Neolithischen Revolution, als der Mensch das relativ entspannte Leben als Jäger und Sammler an den Nagel gehängt und mit der ungleich anstrengenderen Landwirtschaft begonnen hatte? Der bekannte Biologe und Sachbuchautor Jared Diamond hatte in diesem Zusammenhang vom „schlimmsten Fehler der Menschheitsgeschichte“ gesprochen und Harari war ihm darin gefolgt. Greenblatt_SAdam_und_Eva_184868.jpg Greenblatt wiederum argumentiert im vorliegenden Buch aus einer anderen Richtung, die viel mit der Tradierung kollektiven Erzählguts zu tun hat: In den Büchern des Alten Testaments, die zumeist um 500 vor unserer Zeit niedergeschrieben wurden, spiegelt sich ganz deutlich eine propagandistische Absicht der Hebräer wider, die durch die Selbstvergewisserung, die dieser Prozess mit sich brachte, erst zu Juden wurden. Seit Entdeckung der Tontafeln des assyrischen Gilgamesch-Epos im frühen 19. Jahrhundert wissen wir, dass die biblischen Erzählungen babylonische „Vorfahren“ hatten, die teilweise bis zu 1.000 Jahre älter datierten. Die Schmach des Babylonischen Exils, als die verschleppten Hebräer „an den Strömen von Babel (…) saßen (…) und weinten, wenn [sie] an Zion dachten“, sollte getilgt werden (Psalm 137, 1). Und so liest sich die Genesis an vielen Stellen wie ein Gegenentwurf zu entsprechenden altorientalischen Vorbildern: Während der babylonische Schöpfungsmythos ein wüstes Chaos aus Krieg, Mord, Inzucht und Verrat unter den Göttern beinhaltet, aus dem schließlich der Sturmgott Marduk als Sieger hervorgeht, heißt es zu Beginn der Genesis schlicht: „Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.“ Es gehört schon einiges an Chuzpe dazu, nach der Zerstörung des hinterwäldlerischen Jerusalems mitsamt des Tempels und nach den Exil-Jahrzehnten im Schatten der babylonischen Prachtbauten auf die Idee zu kommen, dass der eigene Gott eigentlich der stärkste von allen sei und alles, was sich zugetragen habe, lediglich als Prüfung und als Strafe für Fehlverhalten gedeutet werden müsse. Aus dieser moralisierenden Betrachtungsweise – Fehlverhalten führt zu Strafe – ergeben sich dann auch die wesentlichen Unterschiede zwischen den altorientalischen Schöpfungsmythen und dem Alten Testament: Bei den Babyloniern fluteten einige Götter die Erde, weil die Menschen sich zu lebhaft vermehrt und schlicht „zu viel Lärm“ gemacht hatten. Im Alten Testament führen die Verderbtheit und Sündhaftigkeit des Menschen zur Sintflut. Was nun die ersten Menschen angeht, kamen die Babylonier gar nicht auf die Idee, ein „Urpaar“ wie Adam und Eva zu erfinden. Dort waren die Menschen einfach schon da und auch von Anfang an Städter. Bei Adam und Eva handelt es sich dann nicht nur um einen Schöpfungsmythos für das Volk der Hebräer, sondern, dem Anspruch Jahwes entsprechend, um einen Schöpfungsmythos der gesamten Menschheit. Doch während im Gilgamesch-Epos die Menschwerdung des Tierwesens Enkidu als Triumph und Segen erscheint, wird die eigentliche Menschwerdung Adams und Evas nach der Vertreibung aus dem Paradies zur Tragödie: Die Genesis, so Greenblatt, stellt altbabylonische Glaubensinhalte buchstäblich auf den Kopf. Von diesen im wahrsten Sinne des Wortes mythischen Anfängen ausgehend, folgen wir Greenblatt durch die Jahrhunderte: Wir lesen vom nichtkanonischen Thomasevangelium mit seiner Gleichberechtigung von Mann und Frau, mithin Adam und Evas, verweilen lange bei Augustinus und seinen verklemmten Bestrebungen, selbst den ehelichen Beischlaf noch in den Bereich der Sünde herabzuwürdigen, wir durchleben die Renaissance mit ihren intellektuellen Bemühungen zur Neuinterpretation des Adam-und-Eva-Mythos anhand der Wiederentdeckung antiken Wissens, erkunden Leben und Werk des John Milton („Paradise Lost“), und wir begleiten James Darwin auf seiner Reise mit der Beagle und lernen: Der menschliche Evolutionsstammbaum stellt sich auf dem momentanen Stand der Forschung eher als „verwucherter Busch“ und weniger als Stammbaum dar. Adam und Eva aber hat es wirklich gegeben und gibt es wirklich. Doch wer ihnen den Atem des Lebens eingehaucht hat, war mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht der alttestamentarische Gott, sondern „der erste Erzähler“.

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