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Rezensionen zu
Der Neue

Tracy Chevalier

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Machtspiele

Von: Frau Lehmann

30.04.2018

Und wieder ein neuer Band im Hogarth Shakespeare Project. Diesmal ist es Tracy Chevaliers Bearbeitung von "Othello". Die Autorin selbst war mir kein Begriff, ihren Bestseller "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" habe ich nicht gelesen, andere Bücher auch nicht. Vielleicht wird sich das ändern, denn ihre Version von "Othello" hat mir wirklich gut gefallen. Ich mag ihre Art zu schreiben, zu beschreiben, den Fluß, die Sprache. Osei, Sohn eines ghanaischen Diplomaten, kommt im letzten Monat des Schuljahres in eine neue Klasse. Eigentlich unnötig, denn der Wechsel zur Junior High steht bevor und die Klassen werden somit umverteilt. Osei hat einige Erfahrung mit Schulwechseln, für einen Diplomatensohn ist das unvermeidbar. Erfahrungen hat er auch damit, das einzige farbige Kind zu sein, er weiß, wie er sich zu verhalten hat, was zu beachten ist. Mit seiner Ankunft verschieben sich Interessenströme auf dem Schulhof, etwas, das Ian, der diese Strömungen zu kontrollieren vermeint, nicht zulassen kann. Und so hat Osei nur durch den Umstand seiner Ankunft einen geheimen Feind... Tracy Chevalier verlegt Shakespeares Tragödie auf den Schulhof einer Elementary School in den 1970er Jahren. Dabei unterlaufen ihr in der Anlage des Romans zwei Schnitzer, die ich gleich zu Anfang erwähnen möchte. Zum einen sind die Schüler dieses Romans zehn, elf Jahre alt, ihr Verhalten entspricht aber dem von ca Dreizehnjährigen. Aufgefallen ist mir dies nur, weil ich nachgeschlagen habe, in welchem Alter eigentlich die Junior Highschool in den USA beginnt. Wenn man sich also vorstellt, man hätte es mit Teenagern zu tun, dann liest sich der Roman weitaus schlüssiger. Zum anderen geht es um die Rassentrennung und ihre Aufhebung. Die erfolgte 1964. Und nicht friedlich. Noch in den Siebziger Jahren wurden farbige Schüler teilweise mit Bussen in weit entfernte Schulen gefahren, um eine "gleichmäßige Mischung" zu gewährleisten. Kein farbiger Vater, keiner der Rassismus am eigenen Leib erlebt hat, hätte sein Kind an eine rein weiße Schule geschickt, nicht für einen Monat bis zum Schulwechsel. Das wäre ein lebensgefährliches Unterfangen gewesen, ein gänzlich unnötiges Risiko. Von diesen beiden grundlegenden Schnitzern abgesehen, ist der Roman sehr dicht geschrieben. Gemäß den aristotelischen Regeln der Einheit von Zeit und Ort spielt sich alles an einem Tag in der Schule ab. Dadurch ist der Handlungsrahmen sehr eng gesteckt, die Handlung intensiv und unverwässert durch Nebenhandlungsstränge. Alles baut sich, zumindest für mich, schlüssig aufeinander auf, auch wenn das Ende dann recht plötzlich kommt. Als Mutter, und "Othello" kennend, habe ich den Roman mit einem stetig wachsenden Stein im Magen gelesen. Man weiß ja, was kommt, kommen muss, und hofft doch darauf, dass in diesem Falle irgendjemand rechtzeitig eingreift, dass es nur dieses eine Mal gut ausgeht. Heutzutage benimmt sich ja kaum noch jemand tragödiengemäß, daher ist es eine großartige Idee, Kinder auf der Schwelle zum Jugendlichen zu wählen, Teenager, die ja doch immer zwischen tiefster Trauer und höchster Freude schwanken, die sich emotional noch nicht eingependelt haben, die einen Tag mit Puppen spielen und am nächsten verliebt sind "auf immer und ewig". Nur dort können Gefühle in so kurzer Zeit so hoch kochen, kann erste Liebe in abgrundtiefe Verzweiflung umkippen innerhalb eines Tages. Und so kann ich sagen, ganz aus dem Bauch heraus, ohne Sprache, Stil, Aufbau etc mit den anderen Büchern der Reihe zu vergleichen, dass dieser Band für mich der bisher schlüssigste ist, der, der mich am meisten gepackt hat, der, der für mich am ehesten den Kern der Sache erfasst hat, nämlich an die Wurzel der Urgefühle des Menschen zu gehen und das, was dort lauert, in Worte gefasst ans Tageslicht zu bringen.

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Der Neue

Von: Miss.mesmerized

16.04.2018

Osei kennt die Situation schon, denn regelmäßig muss seine Familie wegen des Diplomaten-Jobs des Vaters umziehen. Wieder einmal ist er der Neue an einer Schule. Und wieder einmal ist er nicht nur neu und kennt niemanden, sondern so wie auch auf den letzten Schulen wird er der einzige Schwarze sein und argwöhnisch beäugt werden. Im Washington der 1970er ist nicht zu erwarten, dass er mit offenen Armen empfangen wird. Doch er scheint sich geirrt zu haben, denn Dee, das hübscheste Mädchen der Schule ist freundlich und offen und nimmt sich seiner an. Das gefällt nicht jedem – Schüler wie Lehrer beobachten diese seltsame Freundschaft und noch am ersten Schultag gelingt es dem missgünstigen Ian, bekannte Mechanismen in Kraft zu setzen und durch geschickte Manipulation ein schlimmes Drama zu provozieren. Tracy Chevalier hat sich, wie vor ihr schon Anne Tyler, Howard Jacobson oder Margaret Atwood, an der Hogarth Shakespeare Reihe beteiligt, die anlässlich des 400. Todesjahres des Barden große zeitgenössische Autoren aufrief, die bekannten Werke des Dichters in die Gegenwart zu verlagern und neu zu erzählen. In „Der Neue“ greift Chevalier die Tragödie um Othello auf, der als einziger Schwarzer unter den Intrigen Iagos im Veneziens um 1600 leiden muss. Sowohl die grundlegende Figurenkonstellation – die verliebten Osei und Dee gegen den intriganten Ian und seinen Gehilfen Rod, die unerwartet von Dees Freundin das entscheidende Hilfsmittel im Kampf gegen den Außenseiter erhalten – hat Chevalier leicht erkennbar übernommen, ebenso wie die Namen, die ohne große Mühe der Vorlage Shakespeares zuzuordnen sind. Die Gliederung des Romans in fünf Kapitel, der zudem der klassischen Dramenstruktur folgt, ist eine gelungene Anspielung an das Original. Das Setting ist jedoch gänzlich verschieden, vom beschaulichen Venedig verlegt die Autorin die Handlung in das weiße Washington der 70er Jahre und lässt etwa 12-jährige Schulkinder die Rollen übernehmen. Die klingt zunächst abstrus, es zeigt sich aber schnell, dass die menschlichen Beweggründe sich in den 400 Jahren nicht verändert haben und welche Kraft Neid, Missgunst und Rache auch nach so langer Zeit immer noch haben und dass sich trotz der zwischenzeitlichen Aufklärung und der gesetzlichen Gleichbehandlung in der Realität nur wenig in den Köpfen bewegt hat. Eine Reihe von unglücklichen Entscheidungen gepaart mit einem ohne erkennbares Motiv bösartig handelnden Charakter sind die Triebfedern in der Geschichte um den schwarzen Außenseiter. Chevalier gelingt es überzeugend trotz der Nähe zu Othello, eine eigene Geschichte zu erzählen, die auch völlig losgelöst von der Tragödie funktioniert. Ihre Schulkinder agieren genau so, wie man es von Kindern in diesem Alter erwarten würde. Ihr zentraler Konflikt entzündet sich an einem Mäppchen und wirkt absolut glaubwürdig, ebenso wie alle Folgehandlungen, die sich hieraus ergeben. Auch in diesem jungen Alter haben sie schon eine Vorstellung von der Ordnung der Welt, die klar zwischen schwarz und weiß unterscheidet, und sie handeln bereits im vollen Bewusstsein, dass jede Entscheidung, die sie treffen, gewisse Folgen für ihr Ansehen in der Gruppe haben wird. Sie können sogar antizipieren, was geschehen wird, so vertraut sind sie mit den Charakterzügen ihrer Mitschüler. Das Kindsein hindert sie nicht daran, in dieselben Fallen zu treten wie auch Erwachsene. „Der Neue“ konnte meine recht hohen Erwartungen voll erfüllen. Nach den letzten Adaptionen von Atwood und St Aubyn hingt die Messlatte hoch, aber Tracy Chevalier ist es ebenfalls gelungen aus einem alten Stoff eine neue Geschichte zu entwerfen, die von der ersten bis zur letzten Seite überzeugt.

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