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Rezension zu
Alles, was du fürchtest

Ich weiß, was Du während Deines Auslandssemesters gemacht hast

Von: WolfgangB
20.01.2019

Wie bei so vielen Titeln des Genres ist eine ausführliche Rezension ohne handlungsentscheidende Details kaum möglich. Jene, die dieses Buch also noch nicht gelesen haben, sollten sich ihm widmen, wenn sie ... ... zumindest einen der beiden anderen Romane des Autors kennen und von dessen Erzählweise angetan sind oder ... Peter Swanson noch nicht kennen und neugierig sind oder ... Spannungsromane der subtileren Art schätzen oder ... sich an einem Roman versuchen wollen, der für ein vielbearbeitetes Genre einen unkonventionellen Ansatz wählt. Auf jeden Fall ist es ratsam, an dieser Stelle abzubrechen, um idealerweise nach der Lektüre wieder zurückzukehren. Jene, die "Alles, was du fürchtest" bereits gelesen oder gehört haben, sind im folgenden zum Gedankenaustausch eingeladen: Gleich zu Beginn stellt der Autor seine Hauptfigur vor: Kate Priddy bezieht die luxuriöse Wohnung ihres Cousins in einer Bostoner Siedlungsanlage. Seit einem traumatisierenden Erlebnis leidet sie unter einer Angststörung. Sie schreckt vor Beziehungen zurück, und in ihrem Kopf hört sie stets die hämische Stimme jenes jungen Mannes, der sie beinahe getötet hätte. Spätestens, als eine Flasche Wein auf dem Küchentisch steht, weigert sich der thrilleraffine Leser, ihrer Einschätzung zu vertrauen, widersteht sogar dem Impuls, sie aus dem Kreis der Mordverdächtigen auszuschließen. Mit der Frage nach dem Mörder (oder der Mörderin?) beschäftigt der Autor seine Leser vorerst. Ist es der potentiell eifersüchtige Alan, der die Ermordete aus der Ferne angehimmelt, sie durch das Fenster beobachtet hat? Ist es Corbin, der mit ihr ein Verhältnis hat und gerade zum richtigen Zeitpunkt nach London abreist? Als schließlich alle Figuren vorgestellt sind, ist der wahrscheinliche Täter rasch identifiziert. Dieses Rätsel hat somit seinen Beitrag zum Spannungsaufbau geleistet. Weit in den Roman hinein ist jedoch nicht klar, wovon die Geschte eigentlich handelt, die hier erzählt wird. Offenbar spielt der Mord an Corbins Geliebter eine entscheidende Rolle. Obwohl eine diffuse Bedrohung noch in der Luft hängt, ist es eher die Neugier des Lesers auf den gesamten Kontext, auf diese eigentliche Geschichte, die den Roman antreibt. Der Autor führt seine Figuren Zug um Zug entlang der Zeitlinie seiner Erzählung. Dabei wechselt er zwischen Kate, ihrem Cousin Corbin und dem dubiosen Alan. Wenn eine Figur an einem bestimmten Punkt angelangt ist, an der sie einer anderen begegnet, wechselt die Perspektive. Diese andere Figur muss dann nachgezogen, wenn man so will, synchronisiert werden. Dieses Nachziehen bedeutet, dass der Autor alle jene Ereignisse erzählen muss, durch die die zweite Figur an diesen Kreuzungspunkt gelangt. Beispielsweise wird Kate mitten in der Nacht von Corbin aufgeweckt ... der eigentlich in London verweilen sollte. Das Kapitel endet, und im nächsten erfährt der Leser, was Corbin dazu veranlasst, wieder nach Boston zurückzukehren. Dieser beinahe spielartige Ablauf ermöglicht es dem Autor, das Geschehen aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Der Titel des Romans, "Alles, was du fürchtest" (im original "Her Every Fear") klingt nach allumfassendem Horror und kontrastiert somit das statische, helle Cover. Er bezieht sich auf die Grundangst der traumatisierten Kate und in weiterer Folge auf den Antagonisten. Dieser hat sich darauf spezialisiert, in den persönlichen Rückzugsort seiner Opfer einzudringen. Er verschafft sich Zugang zu ihren Wohnungen, erforscht ihre Gewohnheiten, durchwühlt ihre persönlichen Gegenstände. Er bewegt sich so geschickt in den Schatten, dass er unbemerkt bleibt. Die Opfer fühlen eine bedrohliche Gegenwart, stellen geringfügige Veränderungen fest, die sie an ihrem Verstand zweifeln lassen. Mit dieser überaus bösartigen Figur stellt der Autor eine Gewissheit in Frage, die dem Leben Stabilität verleiht: Was, wenn es keinen sicheren Rückzugsort gibt? Was, wenn es nutzlos ist, die Tür zu versperren, weil der Mörder bereits unter dem Bett lauert? Diese Figur des Antagonisten mag man dem Roman als Schwäche auslegen. Er ist nichts außer bösartig, verschlagen und verfolgt geradezu obsessiv seinen Racheplan. Er ist ohne Nuancen entworfen, um den Leser daran zu hindern, auch nur einen Funken Sympathie für ihn zu entwickeln. Seine Motivation ist - außer in seiner eigenen Logik - nicht nachvollziehbar. Der Roman wird aus der Sicht mehrerer Charaktere - nicht jedoch in der Ich-Perspektive - erzählt. Das gibt Nicole Engeln als Sprecherin die Gelegenheit, Distanz zu den Figuren zu wahren. Ihre Schilderung ist weitgehend neutral angelegt, einzig der Antagonist ist durch den Tonfall deutlich erkennbar. Betonungen werden geschickt dosiert, emotionale Nuancen erfahren die Hörer durch Variationen im Sprechtempo. Offen bleibt hingegen die Frage, warum nicht wie im Vorgängerband "Die Gerechte" mehrere Sprecher engagiert wurden. Auch in diesem entwickelt sich das Geschehen aus der Sicht der einzelnen Figuren. Indem jede von ihnen durch eine andere Stimme repräsentiert wird, wirken sie deutlich lebendiger und ziehen die Hörer stärker in die Geschichte. Persönliches Fazit "Alles, was du fürchtest" bietet nicht die daumenschraubenartige Thriller-Spannung, die man möglicherweise erwarten würde. Stattdessen gibt die zeitversetzte Erzählweise dem Roman ein eigenes charakteristisches Gesicht und weckt die Neugier. Einmal mehr spielt Peter Swanson mutig mit den Erwartungen seiner Leser und erweist sich als bemerkenswerter Erzähler.

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