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Rezension zu
Japanische Jahreszeiten

Japanische Jahreszeiten - Haiku & Tanka

Von: lustauflesen.de
27.03.2015

Vollendet Schönstes auf kleinem Raum mit sparsamsten Mitteln zu gestalten, das ist der Wesenskern aller japanischer Künste. Auf dem Gebiet der Dichtung gebührt dabei dem Haiku die Krone. Drei Zeilen, siebzehn Silben, die wohl kürzeste Gedichtform der Welt. Haiku sind offene Texte. Sie fordern uns auf, sie im Erleben des Lesens zu vervollständigen. Haiku sagen nicht alles, verschweigen vieles, lassen Gefühle außen vor, sie erschließen sich erst im Zusammenhang der einzeln aufgeführten konkreten Dinge. Traditionelle Haiku sind der Natur verpflichtet, dem Kreislauf der Jahreszeiten, dem gegenwärtigem Erleben. Sternenlicht im Teich - immer wieder trübt der Wind seine Spiegelung. _SORA Das vorliegende Bändchen ist eine bibliophile Köstlichkeit. »Japanische Jahreszeiten. Tanka und Haiku aus dreizehn Jahrhunderten« bietet einen federleichten Einstieg in diese vitale, in ihrer Knappheit doch so überbordend reichen Welt der japanischen Kurzlyrik. Obendrein ist es ein Handschmeichler, gedruckt auf glattem, angenehm gefärbten Papier, mit leuchtend rotem Lesebändchen und edel gestaltetem Einband und Schutzumschlag. Es versammelt rund eintausend Gedichte, das älteste aus dem siebten, das jüngste aus dem 20. Jahrhundert. Zusammengetragen und übersetzt hat sie Gerolf von Coudenhove (1896-1976), Sohn einer japanischen Mutter und eines österreichischen Diplomaten. Seine Sammlung erschien 1963 erstmals in der Manesse Bibliothek der Weltliteratur, ist dort ein Dauerseller in der mittlerweile 8. Auflage und kommt nun in dieser schönen Geschenkausgabe neu zu uns Lesern. Etwas Formenlehre Keine Angst der Oberlehrer meldet sich nur kurz zu Wort und verschwindet schnell wieder. Das Altjapanische kennt nur kurze Vokale und offene Silben, keine Wortbetonung, keinen Reim, keine Hebungen und keinen Wechsel langer und kurzer Silben. Japanische Lyrik zu übersetzen vergleicht Coudenhove mit dem Versuch, unperspektivische japanische Tuschezeichnungen in europäische, perspektivische Olmalerei zu verwandeln. Ein eigentlich unmögliches Unterfangen. Doch im Verlauf der Jahrhunderte hat sich die Konvention durchgesetzt, das Haiku in drei Zeilen zu schreiben mit fünf, sieben und fünf Silben. Der Tanka ist der ältere Bruder des Haiku und besteht aus 5 Zeilen mit fünf, sieben, fünf, sieben und sieben, zusammen also 31 Silben. Das Haiku ist im Prinzip die Kurzform des Tanka und hat ihm einfach die letzten beiden Zeilen abgeknappst. Die Kunst ist es, in diesem Korsett den inhaltlichen Gedankengang und die gezeigten Bilder nicht zu verlieren. Das knappe, aber hochinformative Nachwort von Gerolf Coudenhove beleuchtet und erläutert weitere Details der geheimnisvollen japanischen Dichtkunst. Der Kreislauf der Jahreszeiten Coudenhove hat die Tanka und Haiku nach den fünf Jahreszeiten Japans angeordnet. Frühling, Sommer, Herbst und Winter ist das Neujahr vorangestellt; in der japanischen Kultur wird es traditionell Anfang Februar gefeiert. Neujahr steht für Aufbruch und Neubeginn, Mensch und Natur geben sich der Barmherzigkeit Buddhas hin und vertrauen auf dei Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Betrachtung der Natur mit all ihren Wundern und ihrer Vielfalt in Flora und Fauna stehen im Mittelpunkt aller Haiku und Tanka. Doch auch die kontrastreichen Reize der Landschaft und das alltägliche Leben in und mit der Familie finden ihren Platz. Die hier ausgbreitete Dichtung ist reizvoll dank ihres fein ausbalancierten Wechselspiels von konkreter Beschreibung und flüchtiger Andeutung. Das mit drei Zeilen gemalte Sprachbild besitzt Leerstellen, will vom Leser ergänzt und vollendet werden, von jedem Leser individuell. Die Lyrik gleicht hier der Tuschezeichnung, die auch nur andeutet, dem Betrachter mehr weiße Flächen anbietet als bemalte, mit nur wenigen konkreten Pinselstrichen versucht, das allumfassende Wesen der Natur und des Seins zu erfassen und darzustellen. So ist es nur konsequent, den Gedichten in diesem Band kleine Tuscheminiaturen japanischer Künstler beizugeben. Sie lockern auf und vertiefen zugleich. Haiku und Tanka sind spielerisch, deuten an, skizzieren Bilder des Augenblicks und leiten den Leser doch in metaphysische Tiefen. Keine Angst, Haiku und Tanka zu lesen erfordert keine philosophische Vorbildung, keine tiefschürfenden Kenntnisse der japanischen Kultur und Traditionen, sie verlangen lediglich nach entspannter Offenheit und etwas Ruhe. Dann klingen die in den kurzen Texten angeschlagenen Töne lange weiter. Tiefe Wasser sind immer still und unbewegt; nur der Bergbach rauscht, weil er seicht ist, immerzu wild und laut und aufgeregt! _SOSEI Was mache ich nun mit dem schönen Buch? Wie bei allen Gedichtbänden gilt, in einem Rutsch lesen ist Verschwendung. Ein feines Mahl, serviert und dekorativ angerichtet in fünf Gängen, verschlingt niemand auf einen Happs. O.k., kann man machen, aber endet mit einer Magenverstimmung und jeder Genuss geht verloren. Nachschmecken will ich beim Festmahl dieser Kleinodien jedem einzelnen Bissen. Das Buch gehört auf einen Tisch, ein Sideboard, immer griffbereit zum regelmäßigen Nutzen, als Verteiler von Losungen, als täglicher Gedankenanschieber. In nur drei, respektive fünf Zeilen finden sich Glück und Trauer, Schönheit und Vergehen, Sehnsucht und Hoffnung, Liebesschmerz- und -erfüllung, kurzum, es findet sich die Fülle des Lebens. »Japanische Jahreszeiten. Tanka und Haiku aus dreizehn Jahrhunderten«, zumal in dieser bibliophilen Ausstattung, ist ein wundervoller Einstieg in die Welt der japanischen Dichtung, ohne detaillierte Vorkenntnisse darf und kann hier jede und jeder eintauchen in eine ferne und gleichzeitig doch sehr nahe Welt. Für alle Liebhaber der Lyrik ergeht hiermit ein Kaufbefehl. Ein kleiner Exkurs zum Schluss Kleine Motten taumeln schaudernd quer aus dem Buchs; sie sterben heute abend und werden nie wissen, daß es nicht Frühling war. Das ist eines von drei überlieferten Haiku aus der Feder Rainer Maria Rilkes. Er war einer der ersten deutschen Dichter, die sich der japanischen Kurzlyrik neugierig zugewendet haben, und er gehört damit zu den Gründungsvätern einer mittlerweile 90jährigen Tradition deutschsprachiger Haikudichtung. Auch heutzutage widmet sich eine kleine, aber rege Szene dem Haiku in Deutschland. Die Webseite der Deutschen Haiku-Gesellschaft e.V. bietet einen schönen Einstieg. Dass in Japan Tanka und Haiku auch heute noch, unter anderem bei einem jährlich vom Kaiser ausgelobten Wettbewerb, zu Millionen verfasst werden, muss nicht weiter betont werden. Dickleibige Spezialmagazine drucken in Japan, unbeeindruckt vom hochtechnologischen Zeitalter, so scheint’s, regelmäßig neue Kurzlyrik ab; allerdings verliert auch diese Tradition zunehmend den Rückhalt bei der Jugend im Land der aufgehenden Sonne.

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