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Rezension zu
Die Schwestern von Marzahn

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Absolut lesenswert!

Von: Dr. Bernadette Kalz aus Berlin
25.03.2019

Ein Buch. Drei wahre Geschichten, ein scheinbar verfluchter Ort in verschiedenen Zeiten: zurück in Räume der Mauer, gegenwärtig in der Leere und mit dem Blick nach vorn in kleine Funken der Hoffnung. Ein berührendes Zeugnis, echt, schonungslos, voller Atem und gelöst. Manchmal schwer zu ertragen, einsam-einhüllend, ohne Scham. Die Autorin erzählt die Geschichte von Fabian Krüger, einem Mann, der in der DDR mal jemand war, in seinem Betrieb, in seinem kleinen Wohnreich, mit seiner Frau und einem Kind, so, wie man eben „sein“ konnte in der DDR. Ein Mann, dessen streng-heile, manchmal klein-kariert lackierte Welt zusammenbricht, als er Arbeit, Frau und Kind fast zeitgleich verliert und sich und sein letztes Geld so ganz dem Alkohol übergibt. Immer mit einem Blick von oben auf die Welt, von Platte 13, in Marzahn, auf die Vergangenheit und das Nichts. Die Autorin erzählt auch die Geschichte von zwei kleinen Mädchen, deutsch-kamerunischer Herkunft, deren Mutter nur als Schatten zwischen den Zeilen des Buches schwebt, nie da, nie greifbar, ohne Stimme und Körper. Fabian Krüger nähert sich ihnen, kümmert sich, ärgert sich und wundert sich über die zwei verwahrlosten aber herz-erwärmenden Gören - bis sie verschwinden und sein neu geborenes Herz fast mitnehmen. Und die Autorin erzählt die Geschichte, die zwei Ordensschwestern erzählen, von ihrer Ankunft in Marzahn kurz nach der Wende, ihrer ernsten, geduldigen, liebevoll-heilsamen Annäherung an von der Zeit, dem Misstrauen, der inneren und äußeren Gewalt eingeknickte Menschen. Und sie wiederum erzählen die Geschichte von Marie, der Frau von Fabian Krüger, dem ängstlich-zärtlichen Wesen, fast zerbrochen an der Hülle ihres Mannes, am Tod ihres Sohnes und den Händen ihres Vaters. Christiane Tramitz verbindet diese Lebensadern und zeichnet akribisch genau ihre sie umgebende Gesellschaft, verkrüppelte, liebevolle, körper- und seelen-amputierte Charaktere, die auch mit Mitgefühl und Zuneigung überraschen, etwas, das sie alle so vermissen. Zu nah um wahr zu sein? Tramitz erzählt und lässt erzählen, bis sich die Geschichten immer mehr verweben, übereinander stolpern, berühren, begrenzen und neu öffnen, über den Tod hinaus, über Jahre hinweg, über Dunkel und Helles, über Musiktherapie, Gespräche, Märklin-Eisenbahnloks, einen Drachen und über Träume. Die Ostsee, das eigene Bewusstsein, die Enge und der weite Blick. Alles nimmt sie mit und öffnet uns Räume, um zu begreifen, dass wir nicht Opfer sondern Schöpfer sind, im engen wie im weiten Rahmen, so wir denn können, dürfen und gelassen werden. Ein Buch, das Reaktionen hervorruft, weil es wehtut, weil es die nie wirklich behandelte Wunde von Ost und West anspricht, weil es Extreme in der coolen, billigen Künstler-Selbstverwirklichungsstadt Berlin zeigt, weil es den Finger auf manche Wunden legt. Christiane Tramitz´ Worte berühren, weil sie sich in die Körper, in die Seelen, und in den Schmerz ihrer Protagonisten legen und an kleinen Stellen in Heilung verwandeln. An einem Ort, an dem sie selbst eine Zeit gelebt hat, Marzahn, Berlin. Und dennoch muss man nicht aus Marzahn kommen, um das erzählen zu dürfen, was man liest und nicht wie ich, ein DDR-Ostberlin-Kind sein, um das Buch lesen zu dürfen, um zu erspüren, welchen Teppich die Autorin hier vor unseren Leseraugen knüpft. Lesen nicht werten. Das reicht. Nackt, exakt, rauh und voller Zärtlichkeit zugleich sind die Striche um ihre zerbrechlichen und liebevoll unförmigen Figuren. Es ist eine Einladung an die Menschlichkeit, eine spürbar unermüdliche Recherche und Liebe für die Menschen, die sich selbst vergessen haben, weil sie schon viel früher von anderen vergessen wurden. Die grausamen und schönen Gefühle unter dem Bagger der Zeit. Absolut lesenswert.

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