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Rezension zu
Die schwarze Frau

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

"Die schwarze Frau" von Simone St. James

Von: Katriona
26.07.2019

Dieses Buch ist interessant, weil es sich irgendwo zwischen Familiengeschichte, Thriller und Gothic-Horror bewegt. Und zumindest ich mochte das sehr gern. Allein das Setting hat es mir angetan: Neuengland im späten Herbst, ein altes Mädcheninternat, das jetzt eine Ruine ist, düstere Landstraßen… Simone St. James beschreibt das alles wunderbar atmosphärisch und erschafft so eine düstere Stimmung, die auf jeder Seite mitschwingt und die Leser.innen in ihren Bann zieht. Auch die Erzählweise fand ich gelungen: Zur Hälfte spielt der Roman im Jahr 1950 und erzählt von den Freundinnen Katie, Roberta, Sonia und CeCe, die auf das Internat Idlewild Hall abgeschoben wurden. Jedes Mädchen bringt eine eigene dunkle Hintergrundgeschichte mit und der gerade erst beendete zweite Weltkrieg steckt den Mädchen auf unterschiedliche Weise in den Knochen. Die andere Hälfte spielt 2014 und dreht sich um die Journalistin Fiona, deren Schwester vor zwanzig Jahren im leerstehenden Idlewild Hall ermordet wurde. Fiona versucht seit Jahren herauszufinden, was genau mit ihrer Schwester Deb passiert ist und, als eine weitere Leiche auf dem Gelände der Schule entdeckt wird, vermischt sich Fionas Geschichte nach und nach mit der Geschichte der vier Mädchen von 1950. Um alles abzurunden spielt der Geist einer rätselhaften jungen Frau eine große Rolle: Schon 1950 geschieht Merkwürdiges in Idlewild und die Mädchen erzählen sich Geistergeschichten über Mary Hand – Und auch 2014 sucht die alte Legende Fiona heim. GOTHIC-GRUSEL MIT ERNSTEM KERN Tatsächlich ist “Die schwarze Frau” viel eher Mysterythriller als wirklicher Horror. Ja, es gibt einen Geist, doch Mary Hands Geschichte ist viel eher Rahmenhandlung und steht nicht im Mittelpunkt. Im Mittelpunkt steht die im Jahr 1950 15-jährige Sonia Gallipeau – Eine französische Schülerin von Idlewild Hall. Ich möchte hier gar nicht zu viel verraten, denn es gelingt Simone St. James wunderbar, Sonias Geschichte einfühlsam und spannend nach und nach zu entschlüsseln und sie mit den Geschichten ihrer Freundinnen Katie, Roberta und CeCe zu verweben. Eins sollte ich jedoch erwähnen, denn es ist ein schwieriges Thema: Es geht um den Holocaust. Ich fand St. James’ Aufarbeitung des Themas sehr gelungen, denn sie macht das aus amerikanischer Perspektive und zeigt auf, wie der Holocaust und der zweite Weltkrieg auch nach Kriegsende weiter im Bewusstsein der Menschen steckte. Es geht viel um PTBS und um psychische Narben, es geht um das KZ Ravensbrück bei Berlin, es geht auch um aus Deutschland ausgereiste Kriegsverbrecher.innen, dieses Thema steht tatsächlich im Mittelpunkt. Das zweite große Thema ist tatsächlich der Umgang mit Überlebenden und Opfern, nicht nur im Kontext zu 1950, sondern auch 2014, als Fiona versucht herauszufinden, was ihrer ermordeten Schwester wirklich zugestoßen ist. Wie Überlebenden und auch Mordopfern die Schuld an dem gegeben wird, was ihnen passiert ist, arbeitet St. James sehr subtil und mit viel Fingerspitzengefühl heraus, ebenso den Einfluss von Privilegien, die weiße, reiche Menschen genießen. Der Originaltitel ist nicht umsonst “The Broken Girls”, denn obwohl es einen Geist gibt, sind es hier menschliche Abgründe und gesellschaftliche Missstände, die für kaltes Grauen sorgen. So kritisiert St. James auch pointiert die amerikanische Polizei, die in der Kleinstadt, in der Fiona lebt, einflussreiche Menschen schützt und Überlebende und Angehörige von Opfern im Stich lässt. Auch hier verwebt die Autorin sehr gekonnt die drei Zeitebenen: Sonias Zeit um 1950, Fionas Gegenwart im Jahr 2014 und Debs Ermordung im Jahr 1994 und zeigt auf, wie wenig sich tatsächlich verändert hat und welche düsteren Abgründe hinter der beschaulichen Kleinstadtfassade schlummern. EIN ECHTER GEIST & DIE GEISTER DER VERGANGENHEIT Sehr gut gefallen haben mir auch die Figuren und ihre Beziehungen untereinander. Fionas Beziehung ihrem Vater Malcolm, der auch bei den Ermittlungen hilft, war schön zu lesen, sowie ihre Beziehung zu Jamie: Jamie ist Polizist, acht Jahre jünger als Fiona und seit einem Jahr mit ihr zusammen, doch beide wissen nicht, wie es mit ihrer Beziehung weitergehen soll. Die eher ungewöhnliche Konstellation dieser Liebesgeschichte hat mir richtig gut gefallen, es gibt wenige Bücher, in denen die Heldinnen jüngere Partner haben oder generell schon zu Beginn in einer Beziehung sind. Die Spannungen zwischen den Figuren machen außerdem einen Großteil der Spannung des Romans aus. 2014 sind es die kleinen Krisen zwischen Fiona und Jamie, die interessant zu lesen waren, aber auch die Feindseligkeit von Jamies Vater Fiona gegenüber, dem nicht gefällt, dass sein Sohn mit einer Journalistin zusammen ist. Besonders gut gefallen hat mir aber, wie sich Sonia, Katie, CeCe und Roberta im Jahr 1950 zusammenraufen, füreinander einstehen und Freundinnen werden, um gemeinsam das Internat Idlewild Hall zu überstehen. Idlewild ist ein Internat für “schwierige” Mädchen, in das die Mädchen von ihren Familien abgeschoben wurden, weil sie Ärger machten. Was das wirklich bedeutet und wie viel 1950er Jahre Misogynie dahintersteckt, wird nach und nach klar und ich fand es gleichzeitig interessant und bedrückend zu lesen, wie zum Beispiel CeCe nach Idlewild verbannt wurde, weil sie die uneheliche Tochter eines einflussreichen Mannes ist, der nichts von ihr wissen will. Simone St. James schlüsselt die Gesellschaft der frühen 1950er und ihre düsteren Seiten gut auf und auch der Mikrokosmos des Internats hat eine ganz eigene bedrückende Atmosphäre. Tatsächlich fand ich die Geistergeschichte selbst nicht gruselig. Mary Hands Geist taucht hier und da mal auf, aber obwohl die Atmosphäre schön dicht und düster war, hatte ich hier kaum Gänsehaut oder habe mich gegruselt. Dafür fand ich die anderen Themen des Romans umso erschütternder und eindrücklicher, sodass ich das zwar schade fand, aber nicht wirklich schlimm, denn hier steht nicht der Geist im Mittelpunkt, sondern die sehr realen Problematiken. So gelingt Simone St. James eine richtige, moderne Gothic Novel: Eine unheimliche Geschichte mit der wunderbar düsteren Atmosphäre von Neuengland im Spätherbst, in der zwar ein Geist umgeht, doch der wahre Horror in den Figuren selbst steckt. Die Autorin verwebt gekonnt drei Zeitebenen und die Geschichten von mehreren Frauen- und Mädchenfiguren. Am Ende kommt dabei eine runde Geschichte mit vielen spannenden Wendungen heraus, die mitreißt und mitnimmt, nachdenklich und auch mal wütend macht und mich voll überzeugen konnte.

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