Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Der Fremde aus Paris

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Wie sich eine Reißbrett-Entscheidung konkret auf ein Volk auswirkt

Von: gaia
21.08.2020

In diesem voluminösen Roman erzählt Isabella Hammad eine Geschichte angelehnt an die ihres Urgroßvaters, welcher 1914 aus Nablus/Palästina (im heutigen Israel) nach Frankreich zum Studieren geschickt wurde, um nicht in die osmanische Armee und damit in den Ersten Weltkrieg eingezogen zu werden. Dort verblebt er nur vier Jahre seines Lebens und kehrt in seine Heimat, welche sich durch die Zerschlagung des Osmanischen Reiches und die Verwaltungsansprüche von Franzosen und Briten im Umbruch befindet, zurück. Bald werden die Konflikte in dem - noch nicht existierenden - Land immer einnehmender, da eine vehemente, jüdische Siedlungspolitik von Seiten der Briten vorangetrieben wird. Araber sehen sich in Palästina zunehmend unterdrückt und begehren - auch innerhalb der Familie des Protagonisten Midhat - mitunter gewaltsam auf. Wir begleiten die Entwicklung eines Streifens Erde über nur wenige Jahre hinweg bis Mitte der 1930er Jahre und können bereits die verheerende aktuelle Lage kommen sehen. Hammad erzählt diese Episode aus ihrer Familiengeschichte natürlich nicht neutral. Hier wird eindeutig der palästinensischen Sicht auf die politisch-historischen Ereignisse der Vorzug gegeben. Es wird verdeutlicht, dass es sich beim Nahost-Konflikt wenig bis gar nicht um einen religiösen gehandelt hat, sondern einen, der vielmehr zwischen Palästinensern und den britischen Besatzern aufflammte. Eine Wertung der jüdischen Siedler bleibt größtenteils außen vor. So wird uns die Möglichkeit gegeben, einen Blick auf eine historische Entwicklung mit starken Auswirkungen bis in die Gegenwart zu werfen und eben nicht den "Filter des Westens" dabei aufzuhaben. Ich denke, hier liegt das Hauptanliegen der Autorin. Leider bettet sie die Geschichte in eine grobe Rahmenhandlung bezüglich einer Liebesgeschichte zwischen Midhat und einer jungen Französin Jeannette. Diese soll vor allem in das Buch einleiten, führt jedoch durch eine fehlende emotionale Tiefe und eher blasse Charakterzeichnung zu einem zähen, ungelenken Einstieg in das Buch. Für mich brauchte das Buch ungefähr 300 Seiten bis es zündete und mein Interesse - vor allem an den historisch-politischen Ereignissen - weckte. Am liebsten hätte ich bis kurz vor diesen Punkt, das Buch mehrfach weggelegt, da ich dachte, es handle sich lediglich um eine flache Liebesgeschichte im historischen Setting. Sobald die Liebesgeschichte in den Hintergrund rückt, kann die Autorin durch interessante Einblicke in die Geschichte Palästinas glänzen. Mit dem Roman versöhnt hat mich eine unerwartete Wendung am Schluss bezogen auf die Liebesgeschichte. Der Schreibstil von Hammad kann als unaufregend, weniger ausgefeilt beszeichnet werden. Das Buch strotzt nicht gerade vor Subtilität, alles wird ausgesprochen, nichts bleibt ungesagt. Leider kann die Sprache nicht sehr gut Emotionen transportieren. Ich habe das Buch aus Interesse gelesen, weniger weil ich in die Geschichte hineingesogen worden bin. Sehr lehrreich ist dann diesbezüglich auch die Timeline zu "Schlüsselereignissen bei der Entstehung der palästinensischen und syrischen Nationalbewegung" im Anhang. Insgesamt handelt es sich um einen ambitionierten Roman mit großer Rechercheleistung im Hintergrund. Die im Klappentext gepriesene "(unmögliche) Liebe zwischen den Kulturen" bleibt schablonenhaft und hätte verkürzt dargestellt werden können. Fraglich bleibt, ob man mit der Leküre eines Sachbuchs zum Thema Palästina mehr Erkenntnisse gewonnen hätte. Wahrscheinlich ja. Trotzdem handelt es sich um eine lohnenswerte Lektüre als Einstieg in das Themengebiet.

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.