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Rezension zu
89/90

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Zwischen Mauerfall und Mathearbeit

Von: Fräulein Julia
18.05.2015

Lange Zeit gab es – zumindest nach meinem Empfinden – kaum (gute) Romane über die DDR. Seit zwei bis drei Jahren schießen die Bücher allerdings wie Pilze aus dem Boden – und “89/90″ von Peter Richter gehört zu den besonders lesenswerten Beispielen. Nachdem ich kürzlich “Die Geschichte von OL” über Leben in und Flucht aus der DDR von Olaf Schwarzbach gelesen hatte – ein ebenfalls wirklich sehr empfehlenswerte Buch! - packte ich nun die Autobiographie von Peter Richter in mein Urlaubsgepäck. Wobei “Autobiographie” vielleicht etwas hochgegriffen ist, handelt es sich schließlich nicht um die komplette Lebensgeschichte des Autors, sondern lediglich um zwei Jahre seiner Jugend. Aber diese zwei Jahre haben es in sich: Wir schreiben das Jahr 1989 in der Deutschen Demokratischen Republik. Dass sich bald bahnbrechende Dinge ereignen werden liegt im Frühsommer vielleicht schon in der Luft – aber wenn man gerade 15 Jahre alt ist, gibt es wirklich wichtigeres. Nachts über den Zaun ins Freibad einsteigen und nackt ins Wasser springen, Mädchen auf die sich wundersam verändernden Körperformen schauen, Zigaretten rauchen und Alkohol trinken zum Beispiel. Dazu FDJ-Versammlungen und 1. Mai-Demonstrationen und natürlich das Wehrlager mit Stechschritt und Schießübungen als Vorbereitung auf die NVA. Ganz normaler Alltag eben in diesem Staat, der sich den Sozialismus auf die Fahnen geschrieben hat – und natürlich den Frieden. “Bei dem Wort Frieden fuhren einem automatisch Panzer durch den Kopf. Kindergartenlieder, Nachrichten, Schule hatten da eine kognitive Text-Bild-Einheit geschaffen, die offen gesagt bis heute unauflösbar ist: Der Frieden muss bewaffnet sein!” Doch dann fällt die Mauer. “An jenem Freitag erzählten sie einem morgens bei der ersten Zigarette auf dem Schulhof, die Mauer sei offen. Ich hatte verschlafen, ich war ohne Frühstück, und das heißt auch: ohne Deutschlandfunk, in die Schule gehetzt; ich wusste von nichts. Welche Mauer? Was ist los? Die in Berlin!” Doch da kann noch so viel Weltgeschichte stattfinden, im Physikunterricht gibt es trotzdem eine Leistungskontrolle und die nächste Mathearbeit steht auch vor der Tür. Matheformeln interessieren die Jugendlichen in den folgenden Monaten am wenigsten: Plötzlich verwandeln sich altbekannte Kumpels aus dem Freibad in kahlgeschorene und Parolen rufende Neonazis, man selber zählt sich zur linken Seite, man sich immer wieder bei explosiven Straßenschlachten in Dresden-Neustadt gegenüber, es werden Zähne ausgeschlagen und wahllos aufeinander eingeprügelt. Eine eher ungemütliche Atmosphäre, um erwachsen zu werden. Der eher idyllisch (wenn auch nicht unkritisch) beschriebene Alltag in der DDR, die knallharten Umbrüche in der so genannten “Wende”, die “Wiedervereinigung” und die um sich greifende Pest der Neonazis, vermischt mit den stinknormalen Nöten und Sorgen eines Heranwachsenden – das Alles hat Peter Richter dermaßen genial, humorvoll und (trotz unzähliger Ereignisse) stringent zu Papier gebracht, dass ich mich bei der Lektüre der über 400 Seiten nur ungern stören ließ. Was den Mann – wir waren schließlich im Urlaub – zunächst störte. Bis er mit lesen an der Reihe war…

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