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Rezension zu
Was wir uns erzählen

Nahbare Oral History

Von: not_without_my_books
10.06.2022

„Was wir uns erzählen“ von Clint Smith war in den USA nachvollziehbarerweise ein Bestseller. Der Historiker und Autor wählt einen interessanten Ansatz, um sich mit der Geschichte der Sklaverei in den USA auseinanderzusetzen und dabei die vielen Facetten zu beleuchten. Pro Kapitel wird jeweils ein Ort abgehandelt, der für das Verständnis der amerikanischen Geschichte und wie sie erzählt wird, zentral ist. Warum wird Jefferson als Gründungsvater der USA gefeiert, aber sein Besitz von Sklaven beschönigt? Warum wird die fundamentale Rolle der Sklaverei für den Bürgerkrieg so oft ignoriert? Wie kann es sein, dass heute noch Nachfahren der Südstaatenveteranen die Sklaverei verherrlichen? Smith besucht historische Orte – darunter solche, die die Sklaverei explizit thematisieren und aufarbeiten wie die ehemalige Plantage Thomas Jeffersons. Er nimmt die Leser*innen aber auch an Orte wie das Angola Prison, das bis heute so genannt wird und sich als Mustergefängnis präsentiert, obwohl es noch immer nach rassistischen Mechanismen funktioniert und kaum etwas aufgearbeitet hat. Die Frage, „how the word is passed“ – so der Titel im Original – bleibt dabei nicht unkritisch gegenüber historischer Instrumentalisierung für einen „guten Zweck“. So hinterfragt Smith das Selbstverständnis der nördlichen Staaten, die „Guten“ im Bürgerkrieg gewesen zu sein und reist nach Goreé Island (Senegal), um die Spannung von rassistischer Geschichtsschreibung und mitunter faktenverfälschender Selbstermächtigung darzustellen. Ist es nur verständlich oder auch legitim, mit gar nicht belegbaren Zahlen zu arbeiten, um das Bewusstsein für die Geschichte der Sklaverei zu schärfen, wenn ein Teil der Bevölkerung über Jahrhunderte ihrer Wurzeln beraubt wurde? Es ist gerade dieser selbstkritische Anspruch, der mir sehr gefiel und der auch in unserer Diskussion immer wieder Thema war. Dass zugleich auch die Juneteenth-Feiern ein Kapitel bekommen, verbindet diesen selbstkritischen Anspruch dann mit Selbstermächtigung, Optimismus und politischem Aktivismus. Sprachlich schafft Smith es, die Leser*innen an diese historischen Orte mitzunehmen. Er bietet einen Handapparat zum Nachschlagen seiner Referenzen und findet eine gute Mischung aus persönlicher und wissenschaftlicher Herangehensweise – auch, indem er immer wieder fragt, welche Einblicke ihm als Schwarzem Historiker verwehrt bleiben und welche er gerade deshalb erst erhält. Trotzdem gibt es manches, was mich störte. So kommt auch er leider nicht ohne Holocaust-Referenz aus, wenn er die Absurdität des überwiegend Schwarze Menschen inhaftierende Angola State Prison damit betonen will, dass ein Gefängnis in Deutschland, in dem überwiegend Jüd*innen eingesperrt seien, sicher zu Recht Empörung hervorriefe.. Ich verstehe das Argument, aber hier auf die NS-Zeit zu verweisen, ist vor allem instrumenteller Natur und das halte ich für unangebracht. An anderer Stelle zitiert er mehrere Schülerinnen, die Hegel aufgrund seines Rassismus gänzlich ablehnen – ja, den Rassismus klassischer Philosophen zu kritisieren, ist wichtig. Sie und ihr Denken deshalb in Gänze abzulehnen und sie ausschließlich mit ihrem Rassismus zu assoziieren, greift zu kurz. Und zuletzt fand ich an manchen Stellen die Übersetzung etwas holprig, auch wenn ich natürlich nicht weiß, ob die Sprache im Original bereits ähnlich ist oder nicht. Trotz dieser Kritikpunkte möchte ich das Buch insgesamt aber sehr empfehlen, da es die Auseinandersetzung mit Sklaverei sehr nahbar und ohne viele Vorkenntnisse ermöglicht, dabei zugleich informativ und berührend ist, uns innerhalb einer gemeinsamen Leserunde an vielen Stellen zu lebhaften Diskussionen brachte und zugleich fassungslos und begeistert zurückließ. Die Frage, was wir uns erzählen, gilt schließlich auch für Smith. Und deshalb erhebt sein Buch auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ermöglicht einen Einblick in die Vielschichtigkeit dieses Themas. Dass es dabei nicht dogmatisch ist, sondern ein Bewusstsein wecken möchte und vor allem Fragen auslöst, hat mir sehr gut gefallen.

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