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Rezension zu
Wir, die Überlebenden

Ein „zufälliger“ Mord in Zeiten von Kapitalismus und Menschenhandel

Von: buchlesenliebe
19.09.2022

Vor sechs Jahren wurde Ah Hock aus dem Gefängnis entlassen. Drei Jahre war er inhaftiert, verurteilt für einen Mord an einem illegalen Arbeitsmigranten aus Bangladesch, den er mit einem knapp 70cm langen Stock erschlagen hat. Was sind die Hintergründe seiner Tat? Wie wurde aus diesem Mann ein Mörder? Und welche Rolle spielt die Rückkehr seines zwielichtigen Kindheit- und Jugendfreundes Keong dabei? Aufgewachsen ist Ah Hock in einem kleinen malaiischen Fischerdorf; eine Kindheit und Jugend voller Geldsorgen, die wirtschaftliche Existenz stets von der globalen Erderwärmung und deren Folgen bedroht. Der Vater hat die Familie für eine andere Frau verlassen, Hocks aus China stammende Mutter verstarb an einem Darmtumor. Ein traumatisches Erlebnis für den jungen Mann, der lange Zeit in zahlreichen prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt war bis er schließlich Vorarbeiter auf einer Fischfarm wurde. Die Erfüllung eines kleinen Traumes und seiner Sehnsucht nach etwas Wohlstand und sozialem Status. Sein Schicksal, seine Lebensgeschichte – dies erzählt Ah Hock der jungen Promotionsstudentin Su-Min, die ein soziologisches Forschungsprojekt verfolgt. Drei Monate treffen sich die beiden, führen Interviews und informelle Gespräche. Deren Abschriften bilden den erzählerischen Rahmen des Debütromans von Tash Aw. „Ich wollte, dass sie diesen Schmerz mit mir teilte, dass er in ihre Welt eindrang, ihre saubere, glückliche Welt. Er sollte eine Wolke sein, die über ihr hing, egal, wohin sie ging, so wie bei mir, die ganze Zeit und deshalb hörte ich nicht auf zu reden“ (S.381f.). Doch „Wir, die Überlebenden“ – das ist nicht nur die bewegende Geschichte eines jungen Mannes, der einst selbst als „Opfer“ von Kapitalismus und Globalisierung zum „Täter“ wurde. Es ist auch eine Geschichte, die einen tiefen Blick in die malaiische Gesellschaft und ihren Wandel über die Jahrzehnte offenbart. Tash Aw übt mit seinem Debütroman eine unaufgeregte und leise, aber wirkungsvolle Kritik an korrupten, rassistischen und menschenverachtenden Strukturen, innerhalb derer jede*r sich selbst vornehmlich die*der Nächste ist. Und zuletzt sensibilisiert der Autor auf eindrückliche Weise für die Schicksale von Menschen, die aus meiner Sicht in der Literatur weiterhin eher unterrepräsentiert sind – für die zahlreichen Arbeitsmigrant*innen aus Indonesien, Bangladesch und Sub-Sahara-Afrika, die sich unter menschenunwürdigen und ausbeuterischen Bedingungen zu Tode schuften. In Hinblick auf sozio-ethnologische Aspekte ist „Wir, die Überlebenden“ ein unglaublich interessanter und lesenswerter Roman, der einen intensiven Blick in die malaiische Gesellschaft in Zeiten der Transformation in den letzten Jahrzehnten gewährt und meinen Horizont auf dieser Ebene ungemein erweitert hat. Stellenweise empfand ich den knapp 400-Seiten umfassenden Monolog des Ich-Erzählers als zu deskriptiv, emotionslos, nüchtern und partiell auch etwas ermüdend. Es wäre spannend zu wissen, welche Wirkung das Lesen im Original auf mich gehabt hätte. Nichtsdestotrotz eine Leseempfehlung, aber mit kleineren Abstrichen. Denn ein wirklicher fesselnder Pageturner war dieser Roman für mich leider nicht. Übersetzt aus dem Englischen von Pociao und Roberto de Hollanda.

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