Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Vom Frühling und von der Einsamkeit

Weimarer Sittenbild oder der Gerichtssaal als Bühne einer Epoche

Von: buecherundschokolade
16.02.2023

Gabriele Tergit hat mit ihrem Gesellschaftsroman Effingers einen Jahrhundertroman geschrieben, der teilweise mit Buddenbrooks verglichen wird & dessen Neuauflage 2019 sie fast vier Jahrzehnte nach ihrem Tod 1982 wieder deutschlandweit berühmt machte. In der frühen Weimarer Republik war Elise Reifenberg - so Tergits bürgerlicher Name - vor allem als Journalistin sehr erfolgreich & für ihre Gerichtsreportagen, die in der Weltbühne oder dem Berliner Tageblatt erschienen, berühmt. Die interessantesten Reportagen sind im vorliegenden Band Vom Frühling und von der Einsamkeit versammelt. Tergit zeichnet in den Reportagen, die bis auf eine Ausnahme alle zwischen 1924 & 1933 erschienen sind, ein buntes Sittenbild der Zwischenkriegsjahre. Das ist manchmal lustig, wenn missgünstige & zanksüchtige Nachbarinnen sich in Beleidigungen & Meineiden ergehen, mal tragisch, wenn Frauen wegen Abtreibungen (auch damals 218) gnadenlos verfolgt werden. Es treten auf: falsche Adlige, alte Jungfern, Heiratsschwindler, gefallene Mädchen, lustige Dirnen, Kuppler, Totschläger, aber auch Prominente. Etwa der wegen Beleidigung (seines Zahnarztes) angeklagte Alfred Döblin oder rasende Ufa-Schauspielerinnen. Aber auch die düstere politische Situation wirkt sich in den Gerichtssälen mehr & mehr aus. Regelmäßig finden sich Nazis & Kommunisten auf der Anklagebank, wobei Zweitgenannte mit Abstand härter bestraft werden. Gut, dass es engagierte Verteidiger wie Hans Litten gibt. Und der Rechtsstaat stirbt auf Raten, als die Reichsregierung unter Franz v. Papen 1932 Sondergerichte einführt, Verteidigungsrechte eingeschränkt & Rechtsmittel gegen Urteile (Todesurteile!) ausgeschlossen werden. Der lakonische & gleichzeitig ironische Stil der Reportagen hat mir gut gefallen. Tergit hält auch mit ihren Ansichten nicht hinterm Berg, sie schreibt im besten Sinne als engagierte Journalistin. Daher eine entschiedene Empfehlung für diese Reportagensammlung, die eine eindringliche & spannende Lektüre darstellen.

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.