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Rezension zu
Gehe hin, stelle einen Wächter

Harper Lee: "Gehe hin, stelle einen Wächter"

Von: Liesa
04.08.2015

Es gibt kaum jemanden, der “Wer die Nachtigall stört” noch nicht gelesen hat, das glaube ich jedenfalls. Bei uns stand es für den Englisch-Leistungskurs in der Schule sogar regelmäßig auf dem Lehrplan, ich selber hatte nie Englisch-Leistungskurs, war aber neugierig und las es trotzdem zu Schulzeiten, weil ich es nicht ertragen konnte, dass Leute aus meinem Jahrgang über ein Buch sprechen, das ich selber nicht kannte. Und was soll ich sagen – ich habe mich sofort verliebt, in die Figuren, die Handlung und insbesondere den Schreibstil, der sich unverkennbar auch in “Gehe hin, stelle einen Wächter” wiederfindet, obgleich dort noch nicht so ausgereift und wortmalerisch, wie in “Wer die Nachtigall stört”. Ein wenig hatte ich mit mir gerungen, ob ich “Gehe hin, stelle einen Wächter” lesen sollte. Auf der einen Seite war ich wirklich neugierig, wollte wissen, was Harper Lee sich ursprünglich für eine Geschichte erdacht hatte und hatte auch nichts dagegen, abermals in das spannungsgeladene Maycomb einzutauchen. Auf der anderen Seite standen die zahlreichen negativen Rezensionen, die ich überall schon im voraus las und die für das Buch nichts gutes verhießen. Ich wollte mir auch nicht mein Bild der Charaktere, das ich aus “Wer die Nachtigall stört” nachträglich verderben lassen. Letztendlich hat aber doch meine Neugierde gesiegt und ich habe mich völlig unvoreingenommen an das Buch herangewagt. Harper Lee ist es abermals gelungen, ein atmosphärisches Maycomb zu erschaffen. Jean Louise, die in diesem Buch bereits 26 ist und nur noch selten mit ihrem Spitznamen aus der Kindheit, “Scout”, angesprochen wird, lebt mittlerweile in New York und ist nur noch einmal im Jahr zu Besuch in ihrer alten Heimat. Umso erschütterter ist sie, als sie bei diesem Besuch plötzlich Seiten an ihrem Vater, ihrem Fast-Verlobten und überhaupt an der gesamten Bevölkerung Maycombs entdeckt, die mit ihren eigenen moralischen Überzeugungen alles andere als im Einklang stehen. Gerade von ihrem Vater, den sie stets moralisch über alles erhaben angesehen hat und der ihre gesamte Kindheit, Jugend und auch jetzt noch im Erwachsenenalter absolutes und unanfechtbares Vorbild in all seinen Meinungen und Handlungen für sie war, ist sie mehr als enttäuscht, nachdem sie herausgefunden hat, dass er sich an einem Bürgerrat beteiligt, der die Rechte der Schwarzen begrenzen und kontrollieren will und auch Treffen des Ku-Klux-Clans beiwohnte. Für sie gerät ihr gesamtes Weltbild durcheinander, da sie sich plötzlich der schmerzhaften Tatsache bewusst wird, dass auch ihr Vater nicht unfehlbar ist und es an der Zeit ist, ihr eigenes Gewissen und ihre eigenen Überzeugungen von denen ihres Vaters abzukoppeln und sich von ihm zu emanzipieren. Es ist ja ein wenig umstritten und angezweifelt, wie “Gehe hin, stelle einen Wächter” nun plötzlich doch wieder aufgetaucht ist und warum es gerade jetzt veröffentlicht wurde, ob das wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen ist, oder ob es sich nur um eine Farce handelt – ich für meinen Teil glaube jedenfalls nicht – und dieses Gerücht ist durchaus im Umlauf – dass das Buch von einem Ghostwriter geschrieben wurde. Dafür ist der Stil von Harper Lee einfach viel zu unverkennbar und nicht nachahmbar. Allerdings kann ich durchaus verstehen, weshalb dieses Manuskript nicht gleich von Anfang an veröffentlicht wurde. In “Gehe hin, stelle einen Wächter” gibt es einige Passagen, in denen Jean Louise sich an ihre Kindheit zurückentsinnt und ich muss gestehen, dass ich diese Rückblenden am allerliebsten gelesen habe und ich somit den Vorschlag der Lektoren, die Geschichte komplett 20 Jahre zurückzuverlagern, durchaus als begründet und auch wünschenswert ansehe und auch wirklich froh bin, dass wir so in den Genuss von “Wer die Nachtigall stört” kommen durften. Für mich ist “Gehe hin, stelle einen Wächter” keine zwingende Fortsetzung zu “Wer die Nachtigall stört”. Einige Details aus dem ersten Buch finden sich zwar durchaus dort wieder, die Charaktere sind die gleichen, das Setting auch, aber man kann “Gehe hin, stelle einen Wächter” durchaus auch unabhängig davon lesen. Trotzdem ist für mich – sowohl von der Handlung, als auch vom Schreibstil und dem ganzen Drumherum – “Wer die Nachtigall stört” das literarisch wertvollere Buch. Ich habe die Reise zurück nach Maycomb zwar genossen, finde auch die Botschaft, die in dem Buch steckt, wichtig und gut, aber konnte dennoch nicht die Verbindung zu den Figuren aufbauen, die ich in “Wer die Nachtigall stört” zu ihnen gewinnen konnte. Alles in allem gebe ich “Gehe hin, stelle einen Wächter” 3 von 5 Sternen und rate allen Kritikern, Zweiflern und auch allen anderen Interessierten, sich ein eigenes Bild von dem Buch zu verschaffen.

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