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Rezension zu
Das Erbe des Tennos

Ein überaus lehrreicher Blick auf Japan

Von: Andreas
23.11.2023

Wenn uns Japan mit seiner Politik und seinem politischen System am ähnlichsten uns Europäern erscheint, so ist das Land im Grunde den meisten von uns fremd. Das liegt nicht nur an der Entfernung. Sondern auch daran, dass die Geschichte des Landes und seine internen Strukturen im Allgemeinen wenig zu hören und zu erfahren ist. Was also verbirgt sich in diesem Inselstaat, der eine recht einsame Insel der Demokratie in einer ansonsten von Diktaturen dominierten Weltregion ist. Vor nicht allzu langer Zeit war das Thronjubiläum von Queen Elizabeth II eine Meldung auf der ganzen Welt. Mit einer Regentschaftszeit von 70 Jahren führt sie die Rangliste an, auf der an dritter Stelle der Tenno Hirohito, der 62 Jahren lang (1926-1989) auf dem Chrysanthementhron saß, rangiert. Mit Hirohito und seiner unrühmlichen Rollen während des 2. Weltkrieges trat auch die älteste Dynastie regierender Monarchen in ein neues Zeitalter ein. Wieland Wagner betrachtet, ausgehend vom heutigen Tenno Naruhito, dem Enkel Hirohitos, die gegenwärtige Rolle des japanischen Kaiserhauses und zieht Vergleiche mit dem, was man darüber aus den vergangen 2.600 Jahren – so weit reicht die Legende der Tennos zurück – weiß. Was heraussticht, das ist der fundamentale Unterschied zu den europäischen Königshäusern, die allesamt eine sehr öffentliche Rolle spielen. Denn das japanische Kaiserhaus ist in alten Ritualen verfangen, die dem Tenno und seiner Familie ein streng reglementiertes Leben und streng reglementiert Formen der Kommunikation vorgeben. In Japan sorgt es noch immer für Aufruhr und Turbulenzen, wenn sich ein Tenno, wenn auch nur verklausuliert und symbolhaft, über aktuelle Ereignisse äußert; selbst wenn das nur über kleine Abweichungen vom Protokoll zu erkennen ist. Es erinnert in gewisser Weise an ein Märchen, in dem ein entrückter König oder eine entrückte Prinzessin über der Welt der Untertanen thronen. Der Tenno hat keine praktische Macht, die liegt, wie auch bei den Monarchien in Europa, beim Parlament. Im Ringen um Einfluss auf das Kaiserhaus, in dessen aufgezwungener Neutralität gegenüber dem Tagesgeschehen und der geteilten Meinung der Bevölkerung über den Wert und Sinn von Monarchen finden sich Europa und Japan ebenfalls zusammen. Das Buch wirft einen kurzen Blick auf die Geschichte Japans, die Gründungsmythen und die zurückliegenden Jahrhunderte. Es geht in diesem Buch jedoch vor allem um die jüngere Vergangenheit und Gegenwart, konkret um die Zeit seit dem Jahr 1926. In die er Zeitspanne gab bzw. gibt es drei Kaiser: Hirohito (1926-1989), Akihito (1989-2019) und eben Naruhito (2019-heute). Ein Jahrhundert, in dem sich die Welt und Japan in zuvor nie dagewesen Weise änderten. Die Geschichte der Tennos ist auch die Geschichte des Landes. Man liest dabei über viele Parallelen, die sich vor allem im Vergleich mit Deutschland erkennen lassen. Das Vorbild Preußen und das Deutsche Kaiserreich spielten eine Rolle bei den Eroberungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Mandschurei und Korea von Japan besetzt und gnadenlos ausgebeutet wurden. Die Achse mit Deutschland fand ihren gewalttätigen Höhepunkt im 2. Weltkrieg. Doch auch danach lassen sich Parallelen finden, als beide Staaten sich in kurzer Zeit von brutalen Aggressoren in beinahe schon pazifistische Staaten wandelten. Aber es gibt auch einen sehr bedeutenden Unterschied: Wenn es in Deutschland in einigen Bereichen zu einer Aufarbeitung der Verbrechen in der Nazizeit kam, so geschah vergleichbares in Bezug auf die Kriegsverbrechen in Japan bis heute nicht. Im Gegenteil konnte Tenno Hirohito, der sich im 2. Weltkrieg uneingeschränkt hinter die Kriegstreiberei der Regierung gestellt, ja sie sogar angeführt hatte, seine Position auch nach Japans Niederlage weiterhin behalten. Während führende Politiker und Militärs hingerichtet wurden, musste Hirohito „lediglich“ auf seine Stellung als „Gott“ verzichten, blieb aber ansonsten unbehelligtes Oberhaupt des Staates. Erst Tenno Akihito veränderte die Rolle des Kaisers. Seine Amtszeit war geprägt von Naturkatastrophen und Gewalttaten innerhalb des Landes. Akihito füllte seine Rolle als moralische Autorität mit Überzeugung aus und er war es, gemeinsam mit einer Frau Michiko, der es verstand den Menschen Hoffnung zu geben. Das leitet auf eine weitere Besonderheit der Politik Japans über. Obwohl das Land im Grundsatz eine Demokratie ist, so ist das ganze System dennoch sehr unflexibel, es haben sich so etwas wie Erbpachten auf Parlamentssitze herausgebildet, in der die Liberaldemokratische Partei beinahe durchgehend den Premierminister stellt. Eine Partei, in der Nationalismus und Vergangenheitsverleugnung quasi programmatisch sind. Mänerdominanz und das weit verbreitete Rollenbild der Frauen als duldsame Wesen in der zweiten Reihe, nehmen einen bedeutenden Teil des Buches ein. Es ist ein Blick auf die Gesellschaft Japans, der einen der wesentlichen Unterschiede zu unserem Kulturkreis hervorhebt. In Bezug auf die Familie des Tennos bedeutet das aber auch, dass der Fortbestand der Dynastie gefährdet ist. Denn es gibt nur einen männlichen Nachkommen und die Politik hat trotz der schon seit langer Zeit bekannten prekären Lage keinen Beschluss gefasst, dass auch Frauen auf dem Thron sitzen können. Es bedarf, so ein Schluss, den man aus diesem Buch ziehen kann, einer Runderneuerung der Demokratie und der Verwaltung des Staates (worin sich Japan ja nicht stark von den meistens anderen Demokratien unterscheidet). Wie Akihito gezeigt hat, kann der Tenno eine starke Rolle dabei spielen, die Meinung der Bevölkerung zu beeinflussen. Es muss sich noch zeigen, ob Naruhito sich dieser Aufgabe stellen will und vor allem kann. Folgt man den Ausführungen von Wieland Wagner, dann wäre ein „Tenno der Menschen“ wichtig, als Gegenpol zur weitgehend den Bedürfnissen großer Teile der Bevölkerung entrückten Politikerkaste. Ein überaus lehrreicher Blick auf Japan, abseits von Fukushima, Tsunami und Erdbeben, ein Buch voller interessanter, überraschender und auch befremdlicher Details über ein nach wie vor rein männerdominiertes Land, das uns zugleich sehr ähnlich und unglaublich fremd ist. Wer sich für die Welt und die Weltpolitik interessiert, für die/den ist „Das Erbe des Tenno“ eine wirklich sehr empfehlenswerte Quelle.

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