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Rezension zu
Die Glücklichen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein Generationsporträt

Von: lesenslust
15.08.2015

Georg, Isabell und Matti: Eine Kleinfamilie wie aus dem Bilderbuch. In ihrer reizenden Altbauwohnung in Hamburg leben sie ein glückliches Leben. Das Viertel mit seinen bonbonfarbigen Häuserfassaden, gusseisernen Geländern und von Blumen übersäten Balkonen spiegelt ihre Lebensfreude wieder. Aus den Ladengeschäften und Cafés ihrer Straße dringen lebendige Gesprächsfetzen an ihr Fenster, werden Teil ihrer Gespräche am Frühstückstisch. Es ist ein unbekümmertes Leben, das ihnen steht wie ein schickes Accessoire. “Die Arbeit ist geprägt von dem Wort Defizit, das Produkt sei defizitär, mindestens zweimal im Jahr erklärt ihnen das jemand aus dem Management, und es klingt dann, als wären sie eine Horde Kinder, die dankbar sein sollte, dass sie noch jemand mit Müh und Not durchfüttert.” Zitat, Seite 69 Georg ist Redakteur bei einer Tageszeitung. Er überarbeitet Texte, verwaltet Projektpläne und porträtiert manchmal auch das Leben von Aussteigern auf dem Land. Kein Riesenjob, aber immerhin einer, der ihnen ein gutes Leben finanziert. Schließlich steht es ihnen gut. Doch die Zeitung muss sparen. Es werden Stellen abgebaut und irgendwann muss auch Georg daran glauben. Es kommt zur Kündigung. Er bezieht Arbeitslosengeld. Es fühlt sich an wie Geld auf Bewährung. „Sie spielte wie unter einer Glasglocke. Jeder konnte ihr dabei zusehen. Sie hatte den Klang verloren, und die Leichtigkeit.“ Zitat, Seite 18 Isabell ist Cellistin. Sie spielt im Orchestergraben eines Musicals. Es ist nicht die Karriere im Symphonieorchester, von der sie einst träumte, aber immerhin verhilft es ihnen zu den wöchentlichen Einkäufen im Feinkostladen und den Besuchen in den teuren Bio-Cafés ihrer Stadt. Nach der Babypause steigt sie rasch wieder in den Job ein, aus Angst auf der Strecke zu bleiben. Und spielt. Doch ihre Melodien haben an Leichtigkeit verloren. Die Hände beginnen zu zittern. Der Druck ist zu groß. Sie lässt sich krankschreiben. Wird gekündigt. Die innere Unruhe wächst unaufhaltsam. Als “die Glücklichen” arbeitslos aufeinander treffen, beginnt die Mauer der Unbeschwertheit zu bröckeln. Unsicherheit und Selbstzweifel gesellen sich zu ihnen. Plötzlich ist ihr Alltag nicht mehr von Lachen und Freude, sondern vielmehr von Kummer und Schuldzuweisungen geprägt. Ein täglicher Kampf um ein harmonisches Miteinander beginnt, lässt Georg und Isabell Stück für Stück voneinander entfernen. Irgendwann müssen sie ihrem Scheitern ins Gesicht blicken. Einem Scheitern, an das sie nie denken wollten. “Es ist wie eine Probe. Sie werden etwas herausfinden. Über sich als Paar, als Familie. Oder irrt er sich? Radiert er mit all diesen Maßnahmen den Alltag aus? Höhlt ihn aus, um die Fassade zu retten? Wenn er das wüsste. Er braucht eine klare Richtung, eine Zukunft. Er will endlich wissen, wohin, ohne dieses Gefühl der Enge in der Brust, und wenn, und wenn, und wenn.” Zitat, Seite 200 “Die Straßen ihres Viertels sind nichts für Versager, die Nacht schärft die Konturen dieser Wirklichkeit, das Herz klopft hart gegen die Brust, bereit zur Flucht, und sie sehnt sich nach Schlaf, vereint mit Matti (…), so möchte sie einschlafen und nicht mehr zurückkommen in diese Wirklichkeit. (…) Sie zieht die Knie an den Körper und rutscht näher an den Atem ihres Kindes; verwerflich ist diese Sehnsucht, gemeinsam unterzugehen.” Zitat, Seite 256 Der Leistungsdruck in unserer Gesellschaft steigt stetig. Täglich werden wir mit Veränderungen konfrontiert, die unausweichlich scheinen. Mehr Leistung für weniger Geld ist die Devise. Einsparungen sind Gang und Gebe. Im Gegensatz dazu verändern sich die Lebensgewohnheiten der Menschen. Man strebt nach mehr, will sich fortan noch gesünder ernähren und nachhaltiger leben. Lebensmittel vom Discounter scheinen ausschließlich für die Mittelklasse, wer dazu gehören will braucht Bio-Obst von Demeter, hochpreisige Energieshakes und Steak vom argentinischen Weiderind. Mit jedem neuen Firmensitz, jedem Ladengeschäft und jeder Grünanlage verändert sich das Stadtbild. Ein Wandel vollzieht sich. Lässt die Viertel szeniger werden und die Mieten steigen. Reißt uns ein großes Loch ins Portemonnai und lässt unsere Unbeschwertheit verpuffen. Mit erschreckender Präzision führt uns Kristine Pilkau diese Veränderung vor Augen. In ihrem Debütroman “Die Glücklichen” zeichnet sie das Bild einer nervösen Generation, unserer Generation. Sie entscheidet sich dabei für die Sicht aus einer jungen Familie, wie wir sie alle in unserer Nachbarschaft finden. Hier heißen sie Georg und Isabell, aber eigentlich könnten sie auch jeden anderen Namen tragen. Es sind Menschen wie du und ich. So nimmt sich Bilkau zwei jungen Eltern an, die völlig unerwartet ihre Stellung in der Gesellschaft verlieren. Die verzweifeln und plötzlich alles in Frage stellen, die auseinander triften anstatt zusammenzuhalten. Georg und Isabell werden zu Einzelkämpfern, können sich nicht mehr in die Augen sehen. Die Angst zu scheitern ist allgegenwärtig. Auf dem Heimweg schaut er wieder in die Fenster der anderen, dringt mit seinem Blick in ihre hellen Räum ein. Früher haben er und Isabell das oft gemeinsam gemacht. Zusammen schauten sie in fremde Zimmer. Bei abendlichen Spaziergängen wurden sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher, geschmackvoller Deckenlampen, moderne, offene Küchen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer. Signale gesicherter Existenzen, die ihnen immer ein wohliges Gefühl gaben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Inzwischen sagen alle dasselbe: Wir können, du nicht. Zitat, Seite 200/201 Mutig und schamlos setzt sich Bilkau in ihrem Debüt mit existenziellen Fragen auseinander: Wie definiert man Glück? Ab wann gilt man als gescheitert? Wie bewahren wir unser Ansehen in der Gesellschaft? Mit ihrem Blick hinter die glitzernde Fassade bohrt sie in offene Wunden. Ganz bewusst hält sie uns den Spiegel vor Augen. Scheint uns darin bestärken zu wollen, unserem Stil treu zu bleiben und uns keinen Stempel aufdrücken zu lassen. Wir sollten glücklich sein, wenn wir es wollen und nicht, wenn wir es müssen.

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