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Rezension zu
Ein ganzes Leben

Tief beeindruckend

Von: Michael Lehmann-Pape
09.02.2016

„Hinker! Hinker!“. So schallt es Andreas Egger aus Kindermund oft hinterher, wenn er sich zu Fuß auf den Weg in und durch das kleine Dorf am Talgrund macht. Worte, Hänseleien, die ihn kaum berühren, die ihn nicht mehr stören. Auch wenn die Ursache für dieses Hinken, sein eines, kaputtes Bein durchaus eine lebenslange Verbitterung wert gewesen wäre. Aber so einer ist Andreas nicht, der als Kind in das Dorf kam, der nicht mehr weiß, woher er eigentlich kam, der hier und da noch einen „Hauch Wärme“ im Gedanken an irgendeinen anderen Ort empfinden mag, aber andererseits viel zu sehr im hier und jetzt der Dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts lebt, als darüber viel nachzusinnen. Der im Wirtshaus auf eine Bedienung trifft, Marie. Der sich erinnert an den Ziehvater, genauso hart im Denken wie mit der Hand oder der Gerte, in diesem Dorf, das damals noch nicht einmal Elektrizität besaß. In dem das Leben hart war, der Alltag keine Zeit für kuschelige Gefühle ließ. Der mit Marie Pläne entfaltet, gemeinsam mit ihr in seinem solide wirkenden Haus sitzt. Der kurz zuvor den alten Johannes Kalischka, ausgemergelt, fast erfroren, versuchte, auf dem Rücken ins Tal zu tragen und wenig Dank dafür erhielt. Außer dem Hinweis auf die „kalte Frau“, die auch auf ihn, Andreas, warten würde. Aber, wie auch am (unprätentiös und dennoch ergreifenden Ende des Buches), als Andreas diese „kalte Frau“ meint, zu sehen, da entpuppt sie sich als jemand ganz anderes, als er dachte. Und sein kräftiges „Noch nicht“ wird für eine Weile noch Bestand haben. Bestand haben in einem einfachen Leben eines „kleinen Mannes“ durch die Jahrzehnte von altem, harten Bergbauernleben hindurch über die Modernisierung des Tals (bei der Andreas als Bauerbeiter an so manchen Orten mitwirkt), über die Kriegsjahre (einer der beiden Momente, an denen Andreas Egger die nähere Umgebung verlassen wird) hin zur Wiederkehr, zum erleben (und studieren) der Menschen, der Touristen, zum Genuss des Alleinseins und zum Fahren, Getrieben werden, wovon auch immer, hin zur „Endstation“. Und das alles, dieses ganze Leben mit wenigen (und nicht unbedingt höchsten) Höhen und wirklich tiefen, dramatischen Niederungen und überaus harten Erlebnissen verfasst Seethaler in einer solch klaren, einfachen und dennoch differenzierten und bildkräftigen Sprache, dass man als Leser gar nicht anders kann, als dieses eine Leben fast „wie von Innen“ zu betreten. Im Anblick von Menschen, denen „der Tod bereits hinter der Stirn hockte“ über ein „sich durchkämpfen“ hin zu einer inneren Rundung eines Lebens, die erst in der Begleitung des Mannes durch all die Jahre verstanden werden kann. Denn im nur äußeren Ergehen verbleibt viel, viel Luft zur Klage und Bitterkeit. Die Seethaler ebenso klar und direkt benennt, die er seiner Hauptfigur und damit auch dem Leser ungefiltert zumutet. Ruhig. Einfach. Mit vielfachen emotional nachvollziehbaren Momenten der Stille und der der Einsamkeit des Menschen. Mit der ebenso Emotionen hervorrufenden Art des Menschen (hier der Touristen) zu plappern und zu plappern ohne jemals etwas auszusagen (eine wundervolle Szene , was diesem jungen Touristen geschieht, der sich vor lauter Begeisterung über die Berge nicht mehr ein bekommt). Eine wundervolle Lektüre. Über ein einfaches Leben am Rande der Zivilisation, was auch für das innere Erleben des Mannes zutrifft. Und, in gewisser Weise, auch ein Liebesroman bis zum Schluss, der eher verdeckt im Menschen Eggert seine Kreise zieht.

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