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Rezension zu
Die Schneekönigin

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

vielschichtiger Roman, der zum Nachdenken anregt

Von: Die Vorleser
22.05.2016

Das Buch beginnt an einem verschneiten Abend in New York, an dem Barrett eine Erscheinung hat; er sieht das Licht. Es ist ein blasses türkisblaues, transparentes Licht, ein Schleierfetzen, höher als die Sterne. Barrett ist es als wenn das Licht, zu dem er hinaufsieht, auf ihn hinuntersieht. Barrett ist 38 Jahre alt und sieht sich als Figur tragischer Leidenschaft, als Soldat der Liebe. Gerade hat wieder ein Freund mit ihm Schluss gemacht, den er wieder einmal für den Richtigen hielt. Aber nun hat sich der Himmel geöffnet und ein Auge hat ihn betrachtet und sich dann wieder geschlossen. Ist Barrett auserwählt oder hat er sich das Wunder nur eingebildet? Tyler ist Barretts älterer Bruder, ganz der Musik und Poesie hingegeben. Tyler ist an diesem Abend ein Schneekristall ins Auge geflogen als er das Schlafzimmerfenster schließen will. Natürlich forderte der Kristall in Tylers Auge und der Titel des Buches mich auf, nochmal das Märchen von Hans Christian Andersen zu lesen: Wäre der Schneekristall ein winziger Teil von Andersens zerbrochenen Zauberspiegel, dann sähe Tyler jetzt alles verkehrt oder hätte nur Augen für das, was bei einer Sache verkehrt wäre. Und tatsächlich ist Tyler kein fröhlicher, positiver Mensch. Er leidet darunter, dass ihm der große musikalische Durchbruch noch nicht gelungen ist. Nun versucht er einen genialen Song für seine krebskranke Freundin Beth zu schreiben. Es soll sein Hochzeitssong werden, ein Song für seine sterbende Braut, ein Song in dem sich seine Brillanz bündelt, seine Hoffnung auf Heilung, seine Liebe zu Beth: „Frostige Hallen durchwandern in der Nacht Auf der Suche nach dir auf deinem Thron aus Eis“ Barrett, Tyler und Beth wohnen zusammen in einer Wohnung in einem New Yorker Stadtteil, indem die Mieten erschwinglich und die Menschen noch normal sind. Tyler liebt die Beiden und fühlt sich für sie verantwortlich, will sie gerne in eine schönere Wohnung in einem besten Stadtteil bringen, wenn er den großen Durchbruch als Musiker erst geschafft hat. Er leidet an der Dummheit der Menschen und einer möglichen Wiederwahl Buschs. Nur das Kokain, sein Schnee, bringt ihm die ersehnte Klarheit, die notwendige Lebendigkeit, es erneuert „seine Zugehörigkeit zur Welt“. Barrett und Tyler, beide sehr begabt und intelligent sind seit ihre Mutter auf dem Golfplatz von einem Blitz getötet wurde, ziellos durchs Lebens gegangen. Barrett als beinahe Literat und Philosoph mit vielen Jobs. Zur Zeit arbeitet er in einem Edel-Vintage Laden, der Beth gehört. Barrett mag die für ihn einfache Tätigkeit des Verkaufens, bei der er Lesen und Denken kann. T-Shirts zusammenlegen hat für ihn fast Zen-Qualität. Und daneben betreibt er seine geheimen und einsamen Studien. Ausgehend von seiner Lieblingsheldin Madame Bovary, die jeden Tag aufs Neue auf das große Erlebnis hofft, arbeitet er an der Suche nach der „Weltformel“. Und er hofft weiter darauf, dass die Liebe ihn findet. Tyler arbeitet als Barmann, der an einigen Abenden als Musiker auftritt. Doch Beth Krebsdiagnose hat ihn verändert. Beths Pflege hat seinem Leben eine Aufgabe gegeben, „hat einen erfolgreichen Menschen aus ihm gemacht“. In Andersens Märchen gelingt es der kleinen Gerda ihren Freund Kay aus den Fängen der Schneekönigin zu entreißen und ihre Tränen befreien ihn von seinen Glassplittern. Und tatsächlich scheint auch in Cunninghams Schneekönigin ein Wunder zu geschehen: Beth scheint sich gegen alle Erwartungen wieder zu erholen. War es das Wunder des Lichts oder Tylers Song der Liebe? Schon vor Jahren habe ich von Michael Cunningham „Die Stunden“ (The Hours) gelesen. Ein tolles Buch, eine Hommage an Virgina Woolf . Verfilmt wurde es mit Meryl Streep, Julianne Moore und Nicole Kidman. Auch die Anlehnung an Hans Christian Andersen Märchen „Die Schneekönigin“ ist Cunningham hervorragend gelungen. Seine Schneekönigin ist ein anspruchsvoller Roman, da die Personen, ihre Aussagen und Gedanken sehr vielschichtig sind. Barrett ist meine Lieblingsfigur. Er macht einfach immer weiter, erlebt, sammelt, besteht. Er hat nämlich eine bedeutende Entdeckung gemacht: „Hohe Wellen zu schlagen, eine vielbeachtete Karriere zu machen ist nicht nötig, nicht einmal für jene, die über einen hochbegabten, überdurchschnittlich wendigen Verstand verfügen“. Neben Barrett, Tyler und Beth gib es noch weitere interessante Personen in Cunnighams Buch wie die Mitbesitzerin des Vintage Geschäftes Liz . Oder Andrew, Liz wesentlich jüngerer Liebhaber. Auf einer Silvesterparty lernen wir auch Ping und seine Begeisterung für Jane Bowles kennen. Ping erklärt Jane Bowles zur Schutzheiligen aller verrückten Ladies. Jane Bowles war mit dem Schriftsteller Paul Bowles zusammen und lebte mit einer Frau in Marokko. Und tatsächlich habe ich in meinem Bücherschrank ein Buch von Paul Bowles, indem er über seine Erlebnisse schreibt (Taufe der Einsamkeit, Reiseberichte 1950-1972). Da ich jetzt wieder Lust bekommen habe seine Reiseberichte noch einmal lesen, werde ich euch demnächst davon mehr berichten. Die Schneekönigin ist ein anspruchsvoller und auch bewegender Roman, der mir viele Impulse gegeben hat. Seine Vielschichtigkeit und Tiefe regen zum Nachdenken an. Luchterhand Literaturverlag, 2015; aus dem Amerikanischen von Eva Bonn Seiten 282, 21,99€

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